Wer bei der Ironman-WM auf Hawaii zu den Favoriten zählen will, muss sein gesamtes Training detailliert planen. Sebastian Kienle aus Mühlacker nutzt dabei allerhand moderne Technologie – er hat Sensoren an den Füßen und geht mit dem Rad in den Windkanal.

Sport: Jürgen Kemmner (jük)

Kailua Kona - Platz fünf bei der 70.3-WM. Kein schlechtes Ergebnis, doch Sebastian Kienle war im September gar nicht zufrieden in Nizza. „Meine Schwimmleistung war enttäuschend“, sagt der Triathlet zum Wettkampf über die halbe Ironman-Distanz. Ist abgehakt. Kienle blickt voraus, hat Großes vor. Am Samstag will der Ausdauerspezialist aus Mühlacker den zweiten Sieg nach 2014 über die Ironman-Distanz auf Hawaii feiern; im Glutofen 3,8 km Schwimmen, 180 km Radfahren und 42 km Laufen. Um nicht erneut schon nach dem Schwimmen auf verlorenem Posten zu kämpfen, hat der 35-Jährige die Nizza-Pleite analysiert. „Natürlich wird innerhalb von fünf Wochen kein super Schwimmer aus mir, da arbeite ich ja schon zehn Jahre dran“, sagt er selbstironisch, „aber wir haben erkannt, dass ich zu wenig im Freiwasser trainiert habe.“ Also war Kienle in der Vorbereitung auf die WM in Kona zweimal pro Woche im Pazifik.

 

Wettkampf- und Trainingsanalysen zählen zum täglichen Brot eines Triathleten. Wenn einer auf Weltniveau unterwegs ist wie Kienle, ist es jedoch nicht damit getan, Zeiten im Schwimmen, Radfahren und Laufen mit alten Tabellen zu vergleichen und in den Körper hineinzuhören. Wenn es in einem Acht-Stunden-Kampf um Sekunden geht, sind Helfer im Vorfeld nötig. Ohne Technologie im Training könnte sich Kienle die Reise nach Hawaii sparen, die einige Tausend Euro kostet. „Wenn eineiige Zwillinge für einen Ironman trainieren“, erläutert er, „einer nützt Technologie, der andere nicht, dann wäre der ohne im Wettkampf chancenlos.“ Das beginnt bei den Laufschuhen, was Kienle ein böses Déjà-vu beschert. Vergangenes Jahr musste der Hawaii-Zweite von 2016 wegen Schmerzen an der Ferse aufgeben, also war der Schuhhersteller gefordert. An Kienles Schuhen wurden Sensoren befestigt, die Beschleunigung und Aufprallkräfte messen – die Daten wurden an den Ausrüster geschickt, der Parameter wie Fußstellung und Dämpfung optimiert, um ein Gleichgewicht aus Be- und Entlastung zu erreichen. Seine Füße sind längst akribisch vermessen, sie werden regelmäßig gescannt. „Wir überprüfen stets, wo wir noch was verbessern können“, sagt Kienle. Nun geht er mit neuen Hightech-Schuhen auf die 42 Kilometer.

Kienle fährt auf dem Ergometer virtuelle Rennen

Mit seinem Rad stellt er sich in den Windkanal, um die optimale Körperposition herauszufinden; zudem sollen Ingenieure entschlüsseln, wie sein Helm gestaltet werden muss – es geht um den besten Kompromiss zwischen Aerodynamik und Belüftung. Denn die Öffnungen erzeugen unerwünschte Wirbel, die den Luftwiderstand erhöhen. Doch bei mehr als 30 Grad Celsius auf der Radstrecke wäre es eine Vorstufe zum sportlichen Selbstmord, den Kopf nicht zu kühlen. Fürs Training wurden auch an den Radkurbeln Sensoren angebracht, die die Belastung messen. Der simple Dreisatz funktioniert nicht: eine lange Strecke plus ein hohes Tempo gleich eine harte Einheit. „Bei viel Gegenwind muss man hart treten, ist aber nicht schnell, dadurch wird das Bild verzerrt“, erklärt der Triathlet, „die Sensoren rücken das Ergebnis zurecht.“

Um seine Körperwerte unter Belastung zu erfassen, trägt der 35-Jährige einen Brustgurt und auch mal eine Maske – Herz- und Atemfrequenz, Körpertemperatur, Sauerstoff-Aufnahme sind keine Geheimnisse, sondern Daten, die man analysieren und in Kennzahlen transferieren kann, um Maßnahmen abzuleiten. „So haben wir erkannt, dass ich im Zellstoffwechsel noch Potenzial nach oben habe“, verrät Kienle. Als Folge hat er seine Fettverbrennung forciert, um die Kohlenhydratspeicher lange zu schonen. Was er da exakt tut, verrät er nicht.

Was die Technologien praktisch macht: Sie sind mobil einsetzbar. Sämtliche Daten werden auf Kienles Uhr am Handgelenk übertragen und gespeichert – er muss nicht wie beim EKG verkabelt werden und im Labor laufen. Einen Spaßfaktor bringt die digitale Welt auch mit sich: Beim Radeln auf dem Ergometer kann Kienle ein virtuelles Rennen gegen Konkurrenten fahren.

Wer übertrainiert ist, der schläft schlechter

Kienle, der Gigabyte-Sammler. Doch eine noch so große Datenbank ist wertlos, wenn Zusammenhänge nicht hergestellt werden. Mit Trainer Philipp Seipp und einem Sportmediziner kämpfen sie sich durch den Byte-Dschungel, vergleichen neue Kennzahlen mit alten und erörtern die daraus resultierenden Trainingsinhalte. Dabei hilft ihnen die digitale Revolution, neue Software bettet die Daten in Kienles spezifischen Kontext ein, so fällt die Interpretation leichter. „Man kann feststellen, dass man übertrainiert ist, wenn die Schlafqualität sinkt“, sagt Kienle.

Für einen Aspekt aber hat er keinen Technologie-Helfer. Für die mentale Fitness. „Am Ende sind es nur der blanke Wille und die mentale Stärke, die einen gewinnen lassen“, sagt der Sportler. Soll heißen: das Rennen antizipieren und wissen, wie man reagieren wird, wenn ein Szenario eintritt. Und stets positiv denken. Dabei tragen die technischen Hilfsmittel doch zu einer optimalen psychischen Verfassung bei. „Dadurch bekomme ich das gute Gefühl, dass ich mich bestmöglich auf Hawaii vorbereitet habe“, sagt Sebastian Kienle. Eigentlich muss am Samstag nur noch die Achillessehne halten.