Er zog sich auf eine Alm zurück und melkte Kühe, er schuftete auf dem Bau und spielt in einer Hardrockband: Dies ist die außergewöhnliche Geschichte des Skistars Dominik Paris, der am Samstag Abfahrts-Weltmeister werden will.

Sport: Dominik Ignée (doi)

Stuttgart - Gold! Irre! Der Wahnsinn! Dass Dominik Paris den WM-Titel im Super-G gewann, haben ihm nicht nur alle gegönnt, weil er ein netter Bursche ist – sondern ein außergewöhnlicher Mensch. Sein Lächeln verrät, dass man im Leben nicht alles so ernst nehmen muss, schon gar nicht sich selbst. Wenn er überdies bei Pressekonferenzen seinen südtiroler Dialekt auspackt, hat der Lausbub auch noch im strammen Alter von 29 Jahren seine helle Freude daran, dass die Zuhörer ins Schwimmen geraten. Es klingt ein bisschen nach deutscher Sprache – ist aber nicht notierbar, weil keiner was versteht.

 

Um das Phänomen Dominik Paris zu verstehen, muss man innerhalb seiner turbulenten Vita weit zurückblättern. Vor elf Jahren war seine Karriere bereits am Ende bevor sie losging. Wenig Disziplin, keine Geduld, kaum Geld, stattdessen zog es den orientierungslosen Teenager ins Nachtleben. „Ich war viel unterwegs, habe ständig gefeiert“, erinnert sich Paris. In seinem Heimatort Ulten, einer 3000-Seelen-Gemeinde in der Provinz Bozen, herrschte deshalb im Hinblick auf eine Sozialprognose für Paris ein gewisse Einigkeit: „Der Junge bringt es mal zu nichts“, hieß es.

So konnte es nicht weitergehen

Dominik Paris wollte keinem der Lästermäuler etwas beweisen, nur sich selbst. „Ich hatte gemerkt, dass es so nicht weitergehen konnte“, sagt er und fasste einen originellen Entschluss. Andere Athleten hätten sich im Kraftraum einquartiert oder die Laufeinheiten verdoppelt – Paris wählte einen anderen Weg. Um fit zu werden, zog er aus in die Schweiz. Auf einer Alm am Splügenpass suchte er die Einsamkeit, stieg um 3.30 Uhr aus den Federn, melkte 120 Kühe, stemmte Baumstämme, machte Bergläufe und kam in der Hochgebirgs-Idylle so zur Ruhe, dass er darüber nachdenken konnte, was er aus seinem Leben machen wollte – oder auch nicht.

Paris kam zu sich selbst. Und traf eine Entscheidung. Skirennläufer, aber klar – so lautete nach der Frischzellenkur die Antwort. „Das war der Wendepunkt in meinem Leben, ich habe dort gelernt, wie wichtig es ist, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren und dass es keinen Ersatz für harte Arbeit gibt“, sagt er. Mit anderen Worten: Die Zeit der Flausen war vorbei. „Ich hatte mich von der Jugend verabschiedet und auf das Erwachsenenleben umgeschaltet.“

Auf der Alm geläutert

Nach drei Monaten auf der Alm kehrte er also geläutert heim – mit zwölf Kilo weniger und freiem Kopf. Die Jahre zuvor waren nicht einfach. Das Budget des Vaters, eines Skilehrers, war begrenzt. Also schuftete Paris zwei Jahre auf dem Bau. Er schleppte Zementsäcke, schwitzte sich im Sommer fast zu Tode und fühlte sich in den Arbeitsschuhen, als stehe er „stundenlang barfuß auf hartem Stahl“. „Nie wieder“, sagte er sich. Dann tauchte er ab. Ins süße Leben. Bis die Idee mit der Alm kam.

„Dort wollte ich sehen, ob mein Talent für die Weltspitze ausreicht“, meint er, und heute lässt sich sagen: Wie gut, dass er es versucht hat. Silber und Bronze gewann er schon bei Großveranstaltungen, aber eben noch nie dieses „verdammte“ Gold wie jetzt in Are. Das zweite könnte am Samstag nach der Abfahrt winken. Da geht der Italiener als Kitzbühel-Sieger mit breiter Brust und Favorit an den Start. Das Märchen vom Jungen, der lange nicht wusste, was er wollte, bewegt sich also in Richtung eines weiteren, wunderbaren Happy-Ends. Doppelgold für den „Domme“, wie sie den Skilehrersohn nennen, das können sie im Ultental dann fast nicht glauben – es wäre unfassbar.

Zwölf Siege sind kein Zufall

Dabei hat Paris immer wieder sein Potenzial gezeigt. Zwölf Weltcupsiege sind keine Zufallsprodukte, allein drei davon holte er auf der Streif, der Mutter aller Abfahrten. Ohnehin bringt der Rennläufer die besten Zutaten mit. Bei einer durchschnittlichen Körpergröße von 1,83 Meter kommt er auf ein beachtliches Kampfgewicht von 106 Kilogramm. Wenn sich dieses Kraftpaket ins Eis rammt, nimmt es fahrt auf und ist fast nicht aus der Spur zu bringen.

Ganz bitter aus der Spur flog Dominik Paris derweil im Jahr 2013. Damals verlor er seinen zwei Jahre älteren Bruder René bei einem Motorradunfall im Ultental. Paris hörte davon, er befand sich in der Nähe. „Ich fuhr hin und sah meinen Bruder auf der Straße liegen, es war ein Schock“, sagt der Südtiroler, der lange Zeit brauchte, um dieses Schicksal zu verarbeiten. Doch sein Bruder, meint er, hätte gewollt, dass er weitermacht, nie aufgibt, an sich glaubt. Dominik Paris, der im Sommer Vater eines Sohnes wurde, hat es getan – er entfloh der Trauer mit Trainingsfleiß.

Hardrock ist sein Leben

Um heute zu sich zu kommen, geht es derweil nicht mehr auf den Splügen – stattdessen in den Musikkeller. Dominik Paris ist Sänger einer Hardrockband und spielt ausgezeichnet Gitarre. Rise of Voltage nennt sich die Gruppe, Paris schreibt die meisten Songs selbst. Für die Italiener ist er deshalb auch der „Metallaro delle nevi“, der Schneemetaller. Doch entsprechend der Aktualität titelte die Zeitung „Corriere dello Sport“ dieser Tage: „Wir lieben Paris!“.

Das könnte für die französische Hauptstadt gelten – meint aber einen einzigartigen Menschen aus Ulten.

Wer gewinnt die Abfahrt am Samstag? In unserer Bildergalerie finden Sie die größten Konkurrenten von Dominik Paris