Die Betriebsräte verlangen eine Perspektive für die bestehenden Standorte und die Mitarbeiter. Das Ifo-Institut ist skeptisch, dass der Transfer der Belegschaften ins E-Zeitalter gelingt.

Stuttgart - Die Prognose des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung ist für die Beschäftigten in der Autoindustrie ernüchternd. Die Wissenschaftler gehen zwar davon aus, dass die E-Mobilität Jobs in Deutschland schaffen kann, womit der absehbare Stellenabbau bei den Verbrennungsmotoren zumindest teilweise kompensiert würde. „Dass dies aber die gleichen Beschäftigten oder sogar Beschäftigte innerhalb des gleichen Unternehmens wären, ist unwahrscheinlich“, heißt es in einer Studie. Das Ifo-Institut hat im Auftrag des Verbands der Deutschen Autoindustrie (VDA) untersucht, welche Folgen ein Zulassungsverbot für Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor im Jahr 2030 hätte.

 

Die Ökonomen sehen die Zukunft für die zurzeit beschäftigten Entwickler, Mechaniker und Werkzeugmacher skeptisch, weil der Aufbau von Kapazitäten für Komponenten eines Elektroautos nach ihrer Einschätzung „in der Regel parallel zu und losgelöst von der Verbrennerfertigung erfolgen“ wird. Hinzu kommt: „Auch die Qualifikationsprofile der dafür benötigten Fachkräfte verschieben sich in Richtung Elektrik und Elektronik.“ Und schließlich sehen die Münchner auch die Gefahr, dass neue Kapazitäten für eher einfache Bauteile von Anfang an in Regionen mit Kostenvorteilen bei Elektromotoren und Batterietechnik aufgebaut werden, also in Asien oder Mittel-/Osteuropa.

Zulieferer können Bauteile 20 Prozent billiger produzieren

Mittlerweile steht das Thema in der Branche ganz oben auf der Agenda. „Vor zwei Jahren war der Wandel hin zur Elektromobilität noch ein exotisches Thema. Das hat sich vor allem im vorigen Jahr geändert“, sagt Martin Schwarz-Kocher, Geschäftsführer des Forschungs- und Beratungsinstituts Imu in Stuttgart. Was das konkret bedeutet, hat das Imu-Institut analysiert: „Bei einer sofortigen und kompletten Umstellung vom Verbrennungsmotor auf die Elektromobilität würden 30 Prozent der Arbeitsplätze in der Zulieferindustrie wegfallen; das sind 250 000 Arbeitsplätze. Bei den Endherstellern ist das nur schwer abzuschätzen, es werden aber vermutlich deutlich weniger als zehn Prozent sein; das wären noch einmal 20 000 bis 30 000 Arbeitsplätze“, fasst Schwarz-Kocher die Ergebnisse zusammen.

Der Grund für den Unterschied zwischen Herstellern und Zulieferern: Die Hersteller haben im Laufe der Jahre ihren Wertschöpfungsanteil immer weiter reduziert und die Aufgaben auf die Zulieferer übertragen. „Zulieferer haben den Vorteil, dass sie Teile in der Regel 20 Prozent billiger produzieren können als der Autohersteller selbst“, erklärt Schwarz-Kocher.

Noch läuft die Umfrage

Die Betriebsräte in den Unternehmen der deutschen Autoindustrie und die IG Metall wollen den Verlust vieler Jobs nicht ohne Weiteres hinnehmen und die noch verbleibende Zeit nutzen. „Jetzt kommt es darauf an, die Beschäftigten einzubeziehen, für die anstehenden Veränderungen zu qualifizieren und gemeinsam mit der IG Metall dafür zu sorgen, dass der Automobilstandort zukunftsfähig bleibt“, heißt es zum Beispiel in der Mitgliederzeitung für Baden-Württemberg. Die Bezirksleitung hat deshalb eine Umfrage bei Betriebsräten gestartet, um in Erfahrung zu bringen, wie die Unternehmen ihre Beschäftigten bei der Transformation mitnehmen wollen.

Die Umfrage läuft noch, soll aber demnächst abgeschlossen werden. Zwischenergebnisse mag die Gewerkschaft nicht bekannt geben, aber das Engagement der Betriebe ist bis jetzt überschaubar. Das könnte nach Ansicht von Schwarz-Kocher daran liegen, dass den Unternehmen selbst der Kompass fehlt: „Im Augenblick dominiert vielfach strategische Hektik, also der Versuch, eine schnelle Antwort zu geben“, beobachtet der Imu-Geschäftsführer. „Wenn ein Zulieferer zum Beispiel sagt, dass 40 Prozent seiner Teile auch im Elektroauto Verwendung finden könnten, dann hilft das nicht weiter, solange der Wert der Teile nicht genannt wird.“

Porsche stellt in Zuffenhausen 1200 Leute ein

Zumindest die vier baden-württembergischen Montagewerke der Hersteller haben auch in Zeiten der E-Mobilität eine Perspektive. Porsche will 2019 den Elektro-Sportwagen Mission E auf den Markt bringen und stellt dafür alleine in Zuffenhausen 1200 Mitarbeiter ein. Die Mercedes-Montagewerke in Sindelfingen und Rastatt werden künftig parallel zu den Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor auch E-Autos der Submarke EQ fertigen. Eine Sonderstellung nimmt Audi in Neckarsulm ein. Der Standort hat zwar für den gesamten VW-Konzern die Entwicklungshoheit für die Brennstoffzelle, aber erst vor wenigen Tagen hat der Betriebsrat in Neckarsulm bei einer Betriebsversammlung gefordert, dass der Standort besser auf die Elektromobilität vorbereitet werden müsste.

Die Ifo-Studie für den VDA attestiert den großen Zulieferern – Bosch, Conti und ZF – ähnlich gute Chancen wie den Herstellern: „Gerade die drei führenden deutschen Zulieferfirmen sind stark diversifiziert und potenziell in der Lage, auch an alternativen Antriebstechnologien zu partizipieren.“ Das Geschäftsmodell von kleinen Zulieferern, so heißt es, basiere hingegen nicht selten auf wenigen und zugleich spezifischen Komponenten.

Bei Bosch liegt der Zuspruch unter den Erwartungen

Christoph Kübel, Personal-Geschäftsführer bei Bosch, hat Ende März angekündigt, dass in diesem Jahr eine vierstellige Zahl von Beschäftigten für den Wechsel in einen neuen Job gewonnen werden soll. Bei einer Hausmesse am Standort Feuerbach, der stark auf die Dieseltechnik ausgerichtet ist, haben sich 700 Mitarbeiter über Wechselmöglichkeiten informiert. Hier und am Forschungs- und Entwicklungs-Standort Schwieberdingen hat sich das Interesse bei zusammen 200 Mitarbeitern mittlerweile konkretisiert. Nun wird im Detail bei jedem einzelnen Beschäftigten der weitere Qualifizierungsbedarf vor einem Wechsel untersucht.

Gebraucht werden Mitarbeiter an den Standorten Abstatt und Leonberg, wo Bosch verstärkt an Themen wie Konnektivität und dem autonomen Fahren arbeitet. „Es ist ein Glück, dass das Unternehmen so breit aufgestellt ist und eine große Durchlässigkeit bietet. Im Unterschied zu früher geht aber die Initiative zu einem Wechsel diesmal nicht vom Mitarbeiter, sondern vom Unternehmen aus“, sagt Hartwig Geisel, Vorsitzender des Bosch-Betriebsrats in Feuerbach. Hinter vorgehaltener Hand heißt es zwar bei Bosch, der Zuspruch liege unter den Erwartungen, aber Geisel sagt: „Es ist eine Gratwanderung, denn es muss ja auch sichergestellt werden, dass die Motivation und die Einsatzbereitschaft in den traditionellen Bereichen, in denen wir uns weiter stark engagieren, nicht leiden.“

Überall wird der Umgang mit der Hochvolttechnik geübt

Bei ZF in Friedrichshafen besteht nach Angaben eines Sprechers ein hohes Interesse daran, bei den neuen Technologien mitzumachen und auch intern zu wechseln. Dies hängt auch damit zusammen, dass sich die Belegschaft des Konzerns durch die Übernahme von TRW Automotive im Mai 2015 auf etwa 140 000 Menschen fast verdoppelt hat; hierdurch hat der Mechanikspezialist vor allem in der Elektrotechnik Kompetenz hinzugewonnen.

An allen Standorten finden Schulungen in der Fertigung statt, zum Beispiel für den Umgang mit Hochvolttechnik. ZF wirbt auch für den internen Wechsel. Im Frühjahr haben in Friedrichshafen 650 Entwickler an einer ersten Informationsveranstaltung teilgenommen. Wer wann auf welchen Job wechselt, steht noch nicht fest. Dass ZF keine massenhafte Abwanderung will, stellt der Sprecher aber auch klar: „Wir können nicht alle Forschungs- und Entwicklungskapazität auf neue Technologien intern umlenken. Wir suchen dafür auch ganz gezielt neue Mitarbeiter auf dem Arbeitsmarkt.“

Mahle glaubt an den Verbrennungsmotor

Auch der Stuttgarter Zulieferer Mahle, traditionell bekannt als „Kolben-Mahle“, stellt sich auf den Wandel ein. Das erkennt Uwe Schwarte, Vorsitzender des Gesamtbetriebsrats, durchaus an. Was ihm aber fehlt, ist ein Gesamtkonzept für den Umbau, das auch aufzeigt, welche Perspektiven die bisherigen Standorte haben; alleine in Deutschland hat Mahle 30 Standorte. Das will er bei der nächsten Sitzung des Gesamtbetriebsrats im September zum Thema machen. Eine Betriebsvereinbarung garantiert den Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen bis Ende 2019. Diese Jahre will Schwarte nutzen, um die Jobs zukunftsfest zu machen. Ein Mahle-Sprecher sagt aber nur, dass trotz des Wandels „auch unsere Standorte mit Fokus auf Systeme und Komponenten für Verbrennungsmotoren ein wichtiger Bestandteil unseres Unternehmens“ bleiben werden. So argumentiert das Unternehmen damit, dass der weltweite Anteil batterieelektrischer Fahrzeuge am Fahrzeugbestand im Jahr 2030 lediglich bei etwa zehn Prozent liegen wird.