Berlin ist in. Deshalb zieht es viele Schwaben dorthin. Die Berlinerin Susan Rößner hat es umgekehrt gemacht - und wohnt nun in Stuttgart.

Stuttgart - Als Susan Rößner einer Freundin in einer Kneipe am Prenzlauer Berg erzählt, dass ihr Freund und sie nach Stuttgart ziehen werden, herrscht schlagartig Stille. Alle Blicke richten sich auf sie. Der Kellner kann seinen Unmut nicht verbergen: "Wat? Du jehst zu den Schwaben? Freiwillig? Na denn viel Spaß!" Schwaben - ein schlimmeres Schimpfwort kann es in Berlin kaum geben. Sie sind das Feindbild Nummer eins der Hauptstädter. Erst im Sommer 2008 eskalierte der Unmut gegen die Zuwanderer aus Süddeutschland: Mit Parolen wie "Spießig, überwachungswütig, kein Sinn für Berliner Kultur - Was wollt ihr hier?" oder "Stuttgart-Sindelfingen 610Kilometer - Ost-Berlin wünscht gute Heimfahrt" blies eine selbst ernannte Kiezguerilla im Prenzlauer Berg zum Kampf gegen die Invasoren aus dem Ländle. Neben Spießigkeit und Sparzwang wurde den Schwaben dabei vor allem die Mietpreissteigerung im Prenzlauer Berg in die Schuhe geschoben.

 

"In Berlin herrscht die Vorstellung, dass die Stuttgarter sehr wohlhabend sind. Außerdem heißt es, sie blieben lieber unter sich und pflegten ihr Kehrwochenimage", erläutert Susan Rößner, die aus der Nähe von Dresden (Sachsen) stammt und in den vergangenen sechs Jahren in Berlin lebte. Von den 34 Prozent Zugewanderten aus ganz Deutschland stellen die Schwaben in Berlin immerhin die größte Gruppe.

Ein Besen als Abschiedsgeschenk

Auch Susan Rößner hat Vorurteile, als sie in die baden-württembergische Hauptstadt kommt: "Ich dachte, jetzt kommst du in die Provinz. Alles ist piefig und hässlich, ein architektonischer Sündenfall und eine kulturelle Wüste mit unfreundlichen, unkreativen Menschen", gesteht sie. "Als ich meinen Freunden sagte, dass wir nach Stuttgart gehen, weil mein Freund dort einen neuen Job gefunden hat, haben sie mir einen Besen geschenkt - für die Kehrwoche. Das hat mir nicht gerade Mut gemacht", gibt die 32-Jährige zu.

Und noch eine Angst reist mit in die schwäbische Metropole: "Dass ich die Leute nicht verstehe." Susan Rößner lacht: "Ich bin erstaunt, das zu sagen: aber es geht." Dreimal habe sie nach dem Weg gefragt - und fast alles verstanden. "Ich finde den Dialekt irgendwie niedlich. Dass überall ein le' angehängt wird: Spätzle, Häusle, Bähnle."

Nur bei einem Ausdruck kommt sie ins Grübeln: Beim Bäcker liest sie ein Schild mit der Aufschrift "LKW mit ABS 2,50Euro". "Das musste ich natürlich testen", sagt die Geschichtswissenschaftlerin. Es hat sie beruhigt, dass sie statt eines Brummis dann ein "Leberkäsweckle" (für Nichtschwaben: Brötchen mit Leberkäse) bekam, mit "a bissl Senf". "Damit könnte ich mich anfreunden", sagt sie grinsend.

Arm und sexy sind Stuttgarter nicht

Dann wird sie ernst. "Ich muss mich korrigieren: Ich finde die Stuttgarter sehr freundlich, offen und hilfsbereit", sagt Susan Rößner. Oft werde man im Geschäft sogar mit Namen begrüßt oder verabschiedet. "Das habe ich in Berlin noch nicht erlebt." Dann fällt ihr noch etwas ein: "Dass die Stuttgarter sich so ins Zeug legen gegen Stuttgart 21 hätte ich ihnen auch nicht zugetraut. Irgendwie dachte ich, sie seien eher konservativ und nehmen hin, was man ihnen vorsetzt. Dass sie sich in die Politik einmischen, finde ich sehr sympathisch."

Arm und sexy, das seien die Stuttgarter allerdings nicht. "Mag sein, dass es hier schon mehr Wohlhabende als in Berlin gibt - das spiegelt sich ja auch zum Teil in den Geschäften wider. Aber die Leute sehen nicht überkandidelt aus, eher normal", meint sie. Klar gebe es in Berlin mehr Alternatives, mehr Individuen, mehr Subkulturen. "Dafür nehmen sich die Stuttgarter nicht so wichtig."

Mehr alternative, plüschige Cafés

Dann will es die Berlinerin wissen. In einer Bäckerei ordert sie zwei Pfannkuchen. Ohne zu zögern steckt ihr die Verkäuferin zwei Berliner in die Tüte. "Gut, so provinziell kann es hier nicht sein, wenn die Schwaben wissen, was Pfannkuchen sind", sagt sie lachend. Was würde sie sich wünschen, wenn sie in Stuttgart etwas ändern könnte? "Mehr Cafés", antwortet sie prompt. "Und zwar weniger moderne, die in Richtung Lounge gehen, sondern ein paar verranzte, alternative, plüschige." Ein Café hat sie aber schon entdeckt, das plüschig genug ist. Es ist gleich um die Ecke von ihrer neuen Wohnung im Westen. "Es ist eine klassische Konditorei. So im Stil meiner Oma. So etwas findet man am Prenzlauer Berg nicht." Im Café um die Ecke will sie sich in Kürze an die nächste schwäbische Spezialität wagen: Ofenschlupfer mit Vanillesauce. "Da stell ich mir einen Schlüpfer vor, der im Backofen lag. Aber kann man das auch essen?" Susan Rößner wird überrascht sein.