Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen wird in der Affäre um die Terrorzelle in der Bundeswehr und die rechtsradikalen Tendenzen dort zwar zurecht kritisiert. Doch sie legt den Finger in die richtigen Wunden, meint der StZ-Autor Armin Käfer.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Stuttgart - Am Kabinettstisch im Kanzleramt gibt es nicht nur gepolsterte Sessel, sondern auch Schleudersitze. Einer ist für den Bundesminister der Verteidigung reserviert. Seit fast vier Jahren behauptet sich dort Ursula von der Leyen. Ihr Job ist fast schon ein Himmelfahrtskommando. Etliche Vorgänger wurden durch eigene Fehler aus dem Amt katapultiert. Die CDU-Frau hat einige kritische Momente schon überwunden. Aktuell ist sie in eine Affäre von politischer Brisanz verstrickt, die sich zudem in feindseligem Umfeld abspielt. Das Umfeld heißt Wahlkampf.

 

Die Affäre, für die von der Leyen sich zu rechtfertigen hat, ist komplex: Es geht um ein multiples Sicherheitsproblem, um eine rechte Terrorzelle in der Bundeswehr, um mangelhafte Führungskultur und fragwürdiges Traditionsverständnis in der Truppe. Das Sicherheitsproblem ist nicht der Verteidigungsministerin allein anzulasten, alles andere unterliegt ausnahmslos ihrer politischen Verantwortung.

Aufklärung schließt für von der Leyen immer Selbstverteidigung mit ein

Die Geschichte, die von der Leyen in Bedrängnis bringt, erscheint haarsträubend: Soldaten planten ein Attentat. Auf ihrer Abschussliste steht der frühere Bundespräsident. Sie haben Munition und eine Pistole beschafft. Und es kommt noch perfider: Der Rädelsführer tarnte sich als Flüchtling, weil er wollte, dass die beabsichtigte Bluttat den Asylbewerbern zugeschrieben wird. Der Mann ist offenkundig rechtsradikal und durfte dennoch weiter Soldat sein. Hier haben viele versagt: das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, wofür von der Leyens Kollege, der Innenminister, zuständig ist; die Dienstvorgesetzten des terrorverdächtigen Offiziers und auch der Militärgeheimdienst MAD. Doch welche Schuld trägt die Ministerin selbst?

Im Fokus steht vor allem ihre Verteidigungspolitik in eigener Sache – dabei wären die Vorfälle als solche gravierend genug, um nicht bloß als Hintergrundgeräusche für Wahlkampfmanöver wahrgenommen zu werden. Die Ministerin müsse endlich „von Selbstverteidigung auf Aufklärung umschalten“, fordert der SPD-Kanzlerkandidat. Doch sie betreibt Aufklärung immer auch als Selbstverteidigung – was schlechterdings zum politischen Handwerk gehört. Von der Leyen ist in dieser Disziplin besonders versiert. Wenn es einen Schlachtplan für ihr politisches Handeln geben sollte, so orientiert sich dieser stets an persönlichen Interessen. Anderweitige Loyalitäten sind für sie nachrangig. So war ihr Auftreten auch in diesem Fall vorrangig darauf angelegt, sich selbst in Deckung zu bringen. Die Selbstverteidigungsministerin unterstellte der eigenen Truppe pauschal ein „Haltungsproblem“ und „Führungsschwächen“ – und benötigte eine Woche, um zu begreifen, dass ihr diese Vorwürfe in der Hand explodieren könnten. Schließlich geschah das alles, während sie verantwortlich war.

Innere Führung und Disziplin lassen zu wünschen übrig

Es gibt keine Indizien dafür, dass die Bundeswehr ein von Rechtsextremisten unterwanderter Haufen ist. Einschlägige Vorfälle kommen hinter Kasernentoren nicht wesentlich häufiger vor als im zivilen Alltag. Damit ist freilich nichts zu entschuldigen. Aufklärung ist dringend geboten. Das gilt auch für den Plan, die Truppe nach Anzeichen einer verqueren Nostalgie zu durchforsten. Dies mag zwar manche in der Offiziersehre gekränkte Uniformträger an Exorzismus erinnern. Doch es ist schlimm genug, dass solche Kontrollen 72 Jahre nach dem Untergang der Wehrmacht noch nötig sind. Bei ihrem Eifer, die Garnisonen von braunen Altlasten zu reinigen verdient die Ministerin Unterstützung. Mit ein bisschen Nachhilfe in Staatsbürgerkunde wird es nicht getan sein. Die innere Führung lässt zu wünschen übrig, die Disziplin desgleichen. Der MAD leidet womöglich darunter, dass unlängst noch diskutiert wurde, ob er nicht überflüssig sei. Es gibt viel zu tun für den Inhaber der Kommandogewalt – wer immer das nach der Wahl sein mag.