Nur die Harten kommen in den Garten, heißt es. Aber wer redet von Garten? Ein Balkon würde ja reichen! Warum ist es für ein gut verdienendes Paar ohne abseitige Gewohnheiten so schwer, in einer Großstadt wie Stuttgart ein passendes, bezahlbares Zuhause zu finden? Ein Selbstversuch mit atemraubenden Ergebnissen von Stefanie Zenke.
Stuttgart - Ein Paar sucht eine Wohnung in Stuttgart seit fast einem Jahr. Ja, schon klar, da braucht man heutzutage gute Nerven, Geduld und Glück. Auch wir wussten: es wird schwierig. Schwierig? Was für eine Beschönigung!
Dabei sind wir gar nicht anspruchsvoll. Wir suchen eine Bleibe, die wir schön finden, in der wir uns wohlfühlen. Dafür sind wir bereit, viel Geld auszugeben, wenn auch keine astronomischen Summen. Wir sind bereit, Wohnungen auf Vordermann zu bringen – aber Schimmel den Garaus machen, nö, das wollen wir nicht. Und was wir auch nicht wollen: fremde nackte Männer in unserer Wohnung.
Aber der Reihe nach: vor rund einem Jahr bin ich beruflich von Köln nach Stuttgart gewechselt. Mein Freund lebt in der Nähe von Tübingen. Wir beschließen, gemeinsam in die Landeshauptstadt zu ziehen. Wir machen das, was vermutlich die meisten Wohnungssuchenden machen. Wir schalten Anzeigen, registrieren uns in den einschlägigen Onlineportalen, hängen Zettel aus in Gegenden, wo wir gerne wohnen möchten. Wir nerven Freunde und Kollegen mit unserem Anliegen. Wir erzählen es auf Partys, auf Seminaren, abends beim Bier in der Kneipe, wir erzählen es jedem, der es hören will oder auch nicht: WIR SUCHEN EINE WOHNUNG. Nur auf die Hilfe von Maklern wollen wir verzichten.
Die Vermieterin spürt plötzlich negative Schwingungen
Auf unser erstes Zeitungsinserat melden sich gleich mehrere Vermieter. Eine Frau aus Degerloch, die nicht mit uns telefonieren möchte, sondern nur per Mail kommuniziert, hat eine gut geschnittene Drei-Zimmer-Altbauwohnung im Angebot: Holzdielen, Tageslichtbad mit Wanne, kleiner Balkon mit Blick in den Garten, Preis: akzeptabel. Wir fahren hin, sind euphorisch. Genau diese Wohnung wollen wir! Ich denke mir noch, das geht hier ja einfach im Ländle. Und dann: denkste! Die Vermieterin verzieht das Gesicht, sie sagt, sie spürt mit einem Mal negative Schwingungen. Und weiter: „Ich fühle das, Sie sind noch nicht so weit zusammenzuleben.“ Wir wüssten gar nicht, ob wir das wollten. „Auf Wiedersehen“, flötet die Dame und schiebt uns nach draußen. Mein Freund und ich gucken uns verdutzt an. Wir buchen die Episode unter „Startprobleme“ ab.
Neben der Dame aus Degerloch nehmen noch viele andere Menschen Kontakt mit uns auf. Kim, Christopher und Alex zum Beispiel kennen jetzt auch unsere Handynummer. Jeder möchte Sex mit uns. Gern als flotter Dreier, das lassen sie uns per SMS wissen. Fleißig löschen wir wochenlang die Nachrichten. Es nützt nichts, wir geben erschöpft auf und kaufen uns ein Handy mit Prepaid-Karte und neuer Nummer.
Jedes Wochenende eine neue Besichtigung
Wir lassen nicht locker, sehen beinahe jedes Wochenende ein Objekt an. Im Juli weckt eine Wohnung in Musberg unsere Begeisterung. Die Fotos im Internet sehen toll aus. Eine moderne Wohnung, schön hell, mit Parkett und Fußbodenheizung. Der Preis ist schwer o. k. Die Gegend ist vielleicht ein wenig ländlich. Aber wer weiß, vielleicht gefällt uns gerade das. Der Vermieter, ein älterer Herr, kommt in Begleitung seines Sohnes. Wir tauschen vor dem Haus ein paar nette Worte aus, dann betreten wir die Wohnung – ich wundere mich noch, dass so eine hässliche, braune Haustür zu einer schicken Wohnung führen soll. Drinnen ist sofort klar, dass mit den Bildern aus dem Internet hier nichts übereinstimmt. „Ach, die Fotos“, sagt der ältere Herr trocken, „die sind von einer anderen Wohnung. Von der hier hatte ich noch keine. Aber schauen Sie sich doch gern um.“ Grüner alter Teppich wellt sich auf dem Boden. Die Wände sehen schäbig aus. Das Bad: ein Loch. Und in jedem Raum ein brauner Nachtspeicherofen aus den Siebzigern. Dann fängt der Mann zu reden an. Wie er gemeinsam mit seiner Frau beinahe sein ganzes Leben hier verbracht hat. Wie sehr er sie vermisst. Dass sie gestorben ist. Der Sohn wirkt peinlich berührt, eine beklemmende Situation. Ich will seinen Monolog durchbrechen, frage nach der Terrasse. Der Mann strahlt: „Oh, Sie sind an der Wohnung interessiert? Also die Terrasse“, sagt er eifrig, „da müssen sie sich mit dem Nachbarn einigen, ob sie seine mitbenutzen können.“
Wir gucken uns alles an, was vier Wände hat – vergeblich
Wie die Lage des Wohnungsmarktes in Stuttgart grundsätzlich aussieht, an der Frage scheiden sich offenbar die Geister. Von „katastrophaler Situation“ spricht man beim Mieterverein. Der Haus- und Grundbesitzerverein Haus & Grund hält dagegen: alles nur „Stimmungsmache“. Man sei im Vorwahlkampf zur Bundestagswahl. Will man den einen Glauben schenken, mangelt es derzeit akut an etwa 15 000 Wohnungen. Die anderen hingegen sprechen von einem Überschuss an 230 Wohnungen (2011).
Die Zahlen, ich bin ehrlich, helfen bei unserem Wohnungsproblem nicht weiter. Unsere Wahrnehmung ist von eigenen Erfahrungen geprägt. Wir besichtigen nahezu alles, was vier Wände hat, und werden oft nur enttäuscht. Manchmal fahren wir weit, nur um am Besichtigungsort einen Zettel vorzufinden: Wohnung vergeben! Oder uns wird eine ruhige, im Grünen gelegene Wohnung schmackhaft gemacht. Wenn wir davorstehen, sehen wir Betonwüste und eine S-Bahn-Haltestelle an einem Verkehrsknotenpunkt. Wie viel Lebenszeit wir für die Suche verschwenden! So kann das nicht weitergehen. Auf Anraten eines Freundes formulieren wir unsere Anzeigentexte nun detaillierter. Was suchen wir genau und wo. Denn „wenn man weiß, was man will, bekommt man das auch“, gibt uns unser Freund mit auf den Weg.
Die schöne Wohnung lieget leider in: Göppingen
Gesagt getan, wir suchen jetzt: eine Wohnung mit Balkon oder Terrasse (Feierabendsonne!), so gelegen, dass beide gut ins Büro kommen (Möhringen und Herrenberg). Im Westen und Süden der Stadt, inklusive Stadtteile (Möhringen, Degerloch, Vaihingen usw.). Es melden sich daraufhin Menschen aus Vaihingen an der Enz, aus Esslingen oder Ludwigsburg. „Die Wohnung ist so schön, kommen Sie doch einfach mal vorbei“, ermuntert uns eine nette ältere Dame am Telefon. „Wo liegt sie denn genau“, frage ich. „In Göppingen“, antwortet die Dame. Den Anruf würde ich liebend gern an unseren Freund weiterleiten.
Im Sommer meldet sich ein freundlicher, älterer Herr auf meine Anzeige. Erzählt, dass er früher Professor an einer Hochschule war und nun testen möchte, ob eine Journalistin wirklich eine so tolle Allgemeinbildung hat, wie landläufig behauptet wird. „Eine Wohnung habe ich auch im Angebot“, sagt er. „Aber erst das Zahlenrätsel.“ Zahlenrätsel? Ich müsse seine Festnetznummer durch Beantwortung seiner Fragen herausfinden. Dann würden wir zum Thema Wohnung kommen. Meine Verblüfftheit macht ihn sehr vergnügt, das höre ich. Ich bedanke mich erstaunlich höflich für das Telefonat und lege auf.
Langsam droht der Koller
Gut, dass mein Partner noch ein Eisen im Feuer hat: eine Wohnung in Vaihingen mit Sauna, das Inserat klingt freundlich. Wir geben unseren Bewerbungsbogen ab. Auch dieser Vermieter findet es toll, dass ich bei der Zeitung arbeite. Seine Bemerkung, dann könne er das Blatt ja künftig immer umsonst lesen, verbuche ich als Witzelei. Wir stehen kurz vor der Einigung. Na, wer sagt’s denn. Dann lesen wir den Passus im Mietvertrag: Der Vermieter behält sich das Recht vor, die Sauna in dem vermieteten Objekt mitzubenutzen.
Ich stehe kurz vor dem „Ich-suche-eine-Wohnung-Koller“. Ist inzwischen in Stuttgart sehr verbreitet, wie man hört. Zwischendurch immer wieder Hoffnung und die steigende Bereitschaft, Demütigungen zu ertragen. Wir lassen Fotos auf Besichtigungsterminen von uns machen. Wenn es dem Vermieter bei der Auswahl hilft – sei’s drum. Auch dreiste Erkundigungen in den Bewerbungsbögen beantworten wir klaglos. Ob wir rauchen, Haustiere haben oder ein Musikinstrument spielen, das muss man natürlich verneinen. Manchmal habe ich anfallsweise Verständnis für die Vermieter. Nicht jeder macht gute Erfahrungen mit seinen Mietern.
Unzulässige Fragen dürfen auch unrichtig beantwortet werden
Sie wollen halt so viel Gewissheit wie möglich. Sich absichern, dass der Boden sauber bleibt, die Tapete nicht in Fetzen von den Wänden hängt. Doch manche kennen keine Grenzen, fragen im Ernst: „Wie ist Ihre sexuelle Orientierung?“ Und ohne Scham immer wieder: „Haben Sie Kinder?“ Oder: „Wollen Sie Kinder?“ Hallo! Hallo! Wir suchen eine Wohnung! „Ja, aber wisset Se, wir brauchet hier scho unsere Ruhe.“
Diesen Satz hören wir oft. Herrje! Was wollen diese Leute? Einen Sterilisationsnachweis? Eine Unfruchtbarkeitsbestätigung? Wie ruhebedürftig ist diese Stadt? „Es gibt hier nichts, was es nicht gibt“, sagt Angelika Brautmeier, die Geschäftsführerin des Mietervereins Stuttgart. Bei ihnen würden immer wieder Anrufe von Mietsuchenden eingehen, die sich über so manches Bewerbungsprozedere eines potenziellen Vermieters beschwerten. Aber, so Brautmeier, es sei wie bei der Jobsuche. Da dürfe eine unzulässige Frage auch unrichtig beantwortet werden.
Und dann wird die Suche auch noch kriminell
Kriminell wird unsere Wohnungssuche dann Anfang dieses Jahres. Angeboten wird im Internet samt Fotos: Hübsche 3-Zimmer-Wohnung, 90 qm, Einbauküche, TL-Bad mit Wanne und Dusche, Parkettboden, Fußbodenheizung, große Dachterrasse, TG-Stellplatz und geräumiges Kellerabteil. 1000 Euro warm. Ideale Lage. Unglaublich. Ich bin ein Glückspilz! Die wird es. Und dieser Preis: traumhaft!! Eine E-Mail-Adresse ist angegeben. Ich schreibe ein paar Zeilen, wenige Minuten später antwortet ein Mann auf Englisch. Er sei ein paar Jahre beruflich in Stuttgart gewesen, habe sich in die Wohnung verliebt, diese gekauft und würde sie nun vermieten, da er in seine Heimat Großbritannien zurückgezogen sei. Da er niemanden in Stuttgart kenne, würde er uns den Schlüssel per UPS überbringen lassen, damit wir die Wohnung besichtigen können. Zur Sicherheit sollen wir 1000 Euro auf sein Konto einzahlen. Man wisse ja nie . . . Ich habe nie auf diese Mail geantwortet. Ich habe diesen Mann angezeigt. Ich bin nur noch gefrustet.
Ich habe aufgehört, die Anzeigen zu zählen, auf die wir geantwortet und die wir selbst geschaltet haben. „Da geht nur was, wenn ihr auf Chiffre-Anzeigen antwortet“, sagt neulich eine Kollegin. Ich seufze. Chiffre, muss ich feststellen, fühlt sich an wie ein großes Loch: unsere freundlichen Anfragen verschwinden im gefühlten Nirwana, nahezu 99 Prozent bleiben unbeantwortet. Meine Eltern frotzeln bereits: „Kauf dir doch ein Wohnmobil, dann kannst du vor dem Pressehaus nächtigen.“ Vielleicht gar keine schlechte Idee? Und bevor die Kollegen abends in ihre hübschen Wohnungen fahren, lade ich vor meinem Camper zum Pressehaus-Absacker ein.Wir scheitern, obwohl wir gut verdienen, keine Messies sind, keine Reptilien züchten, nicht rauchen und weder Klavier noch Schlagzeug mit uns einziehen soll. Wir hören auf, uns zu wundern, wir haben gelernt zu verdrängen. Nur die größten Verrücktheiten bleiben noch hängen. So wie neulich. Ich lese amüsiert, dass Wohngemeinschaften in Berlin Spültests veranstalten, um den geeigneten WG-Kandidaten für ein fünf Quadratmeter großes Zimmer zu finden. Und dann das: bei Besichtigung Kehrwochentest! Eine Anzeige macht mir klar, dass Ähnliches auch in Stuttgart möglich ist.
Alle Kandidaten müssen zum Test die Mülltonne auswaschen
Ich rufe die angegebene Nummer an. Eine Frau meldet sich. Ich frage, ob das Ganze wohl ein Scherz sei. Sie erklärt mir, sie habe in ihrem Vermieterleben schon viele schmuddelige Wohnungen und Treppenhäuser gesehen, da habe sie sich gedacht, wenn Leute einen Job suchen, quälen sie sich durch ein Assessment-Center. Bei ihr müssen Mietinteressenten ihren Reinlichkeitssinn beim Kehren unter Beweis stellen. Zum Beispiel müssten die Mülltonnen vor dem Haus regelmäßig ausgewaschen werden, das könne auch nicht jeder, da habe sie schon schlimme Dinge erlebt. „Das kann ich Ihnen sagen“, betont die Dame entrüstet. Ich überlege, ob die Frau sich denn ein richtiges Urteil erlauben kann, wenn ich den Test antrete. Zu dieser Durchgedrehten, überlege ich, schicke ich am besten eine ausgebildete Reinigungskraft. Aber ich befürchte, die saubere Dame will eigentlich gar nicht vermieten und hätte besser geschrieben: Putzfrau für Kehrwochentest gesucht.So wie alle Mieter nicht per se schlecht sind, das muss an dieser Stelle auch einmal gesagt werden, sind es Vermieter auch nicht. Wir haben auch sehr nette, freundliche Menschen bei unserer Wohnungssuche getroffen. Aber entweder haben wir die Wohnung am Ende nicht gekriegt, oder wenn wir Chancen hatten, hat es einfach nicht gepasst. Entweder war der Geldbeutel doch zu klein, oder wir waren uns beim jeweiligen Objekt nicht sicher. Mal war der erst spät entdeckte Schimmel an der Decke (Auf dem Haigst, 100 Quadratmeter für 1400 Euro kalt, ein Schnäppchen, so der Vermieter) ausschlaggebend für unser Nein. Mal war es das Bauchgefühl.
Wie gut, wenn man in der Wohnungsnot Freunde hat. Gute Freunde, die übrigens eine traumhaft schöne Wohnung haben. Sie nahmen uns kürzlich beiseite: „Ihr seid viel zu verbissen, ihr guckt ja fast jedes Wochenende Wohnungen an. Hört doch mal auf zu suchen. Eure Wohnung wird euch finden, nicht umgekehrt.“ Ach ja? Dem Rat der Freunde folgen wir dankbar. Wir stellen die Suche ein. Wir sind untätig und voller Erwartung. In ein paar Monaten werden wir unseren ganzen Mut zusammennehmen und ihnen eine Frage stellen: „Sagt mal, wann wird das ungefähr passieren?“