Von der Stewardess zur Kapitänin: Die Kirchheimerin Natascha Freund lebt den Traum vom Fliegen. Ein Arbeitstag im Cockpit ihrer Beechcraft King Air.

Kirchheim - Die Starterlaubnis kommt pünktlich um 9.23 Uhr. Nach einem englischen Kauderwelsch wünscht der Tower am Stuttgarter Flughafen noch auf Umgangsdeutsch einen guten Flug: „Und tschüss!“ Die Pilotin schiebt den Leistungshebel nach vorne. Die Turboprop beschleunigt und schießt über die Startbahn. Mit 172 Kilometer pro Stunde hebt die Maschine ab, dreht über die A 8. Rechter Hand die Schwäbische Alb, geht es nun Richtung Norden. Ein paar Wolkenschleier, keine Böen – die Bedingungen an diesem schönen Samstagmorgen sind ideal.

 

Beim Start ist Natascha Freund bis in die Haarspitzen konzentriert gewesen. Nun, 6700 Meter über der Erde, überlässt die Flugkapitänin ihrem Co-Piloten Gerhard Länger das Steuer. Kapitänin? „Ich finde das Wort etwas doof, weil ich noch nicht so lange dabei bin“, sagt die 31-Jährige. „Es ist mir angenehmer zu sagen: ,Ich bin die Pilotin.‘“

Normalerweise fliegt Natascha Freund in dem Business Jet für ein Unternehmen aus der Region Stuttgart (das anonym bleiben will) Geschäftsleute kreuz und quer durch Deutschland und Europa. Der Flug heute ist für die Pilotin ein außergewöhnlicher: In Hamburg wartet auf die Besatzung eine Mutter mit ihren zwei Kindern. Der Junge ist schwer krank. Natascha Freunds Arbeitgeber hatte den Hinflug von Düsseldorf nach Hamburg gesponsert. An der Alster sollte die Familie im Kinderhospiz Sternenbrücke Kraft tanken. Nun bringt sie Natascha Freund zurück nach Düsseldorf.

Sinkflug auf die Hansestadt

10.57 Uhr. Die Pilotin fährt die Landeklappen aus, der Sinkflug auf die Hansestadt beginnt. Die Maschine durchstößt die Wolkendecke und gerät dabei in eine Inversionsschicht. Es ruckelt. Wie immer in solchen Momenten breitet sich beim Passagier ein flaues Gefühl in der Magengegend aus. Bitte nicht abstürzen (und wenn schon, dann mit der Pilotin am Abend in der Bar)! Die Sorgen erweisen sich als unbegründet. Sicher und sanft setzt Natascha Freund den Jet auf dem Asphalt auf. Soll man nun klatschen? „Dürfen Sie, ist aber nicht mehr so zeitgemäß“, sagt die Pilotin.

Im rechten Fenster taucht unerwartet eine alte Bekannte auf: die Junkers „Tante Ju“ 52 mit der Kennung „AQUI“, die schon zweimal zu Gast beim Oldtimertreffen auf der Kirchheimer Hahnweide gewesen ist. Der „Follow-me-Mann“, dessen Kollegen derzeit am Frankfurter Flughafen für eine bessere Bezahlung kämpfen, weist Natascha Freund ein. Die Besatzung wird mit dem VW-Bus abgeholt.

„Moin“, grüßt der Fahrer, als hätte es noch eines besonderen Hinweises bedurft, dass dies hier tatsächlich Fuhlsbüttel ist und nicht etwa das Erdinger Moos. Dann ist Zeit für einen Kaffee, nicht wie bei Reinhard Mey in der Luftaufsichtsbaracke, sondern in der Cafeteria.

Städtehopping als Berufsalltag

Heute Hamburg, morgen Berlin, übermorgen London. Das Städtehopping ist für Natascha Freund schon lange Berufsalltag. Zwischen 2002 und 2009 kümmerte sie sich als Flugbegleiterin um das Wohl der Gäste an Bord. Nigeria, die Malediven, Guadeloupe und die USA lauteten damals die Destinationen. „Ich wollte die Welt sehen“, erklärt sie ihren Einstieg in die Fliegerei.

Das Fernweh stellte sich früh ein. „Ich war als Kind schon sehr viel unterwegs.“ Mit sieben Jahren setzte die kleine Natascha zum ersten Mal den Fuß in ein Flugzeug. „Das war für mich ein Schlüsselerlebnis.“ Die Maschine, die sie nach Teneriffa brachte, machte einen klapprigen Eindruck. „Mein Vater hatte Flugangst. Ich habe ihn dann beruhigt“, sagt sie.

Dass sie selbst einmal 4,6 Tonnen Stahl von A nach B bugsieren würde, hätte sich Natascha Freund noch vor zehn Jahren nicht träumen lassen. „Mir war die Idee, Pilotin zu werden, gar nicht in den Sinn gekommen. Das war so weit weg wie die Sterne am Nachthimmel.“

60 000 Euro für die Pilotenausbildung

Ihr Berufsleben erfuhr eine Wendung, als ihre männlichen Kollegen im Cockpit damit begannen, die damalige Stewardess in die Vorbereitung der Flüge einzubeziehen. Irgendwann dachte sich Natascha Freund: Warum fliege ich eigentlich nicht selbst?

Im Sommer 2006 machte sie auf einer Cessna einen Schnupperflug auf der Kirchheimer Hahnweide. „Da hat es mich gleich gepackt.“ Dass der Pilot ihr demonstrierte, was alles mit einer einmotorigen Propellermaschine möglich ist, schreckte sie nicht – im Gegenteil: Natascha Freund war von den wilden Manövern geradezu begeistert. Konsequent verfolgte die gebürtige Schwetzingerin daraufhin ihren neuen Karriereplan: Sie meldete sich bei der Verkehrsfliegerschule Harter an und absolvierte ihre Pilotenausbildung in Stuttgart.

Seit zwei Jahren arbeitet sie nun als Berufspilotin. Die Endstation wird die Turbopropmaschine für die zielstrebige Frau wohl kaum sein. „Es würde mich reizen, auch eine größere Maschine zu fliegen. Es muss kein Jumbojet sein, aber ich bin für alles offen. Hauptsache, ich kann mich immer weiterentwickeln und beherrsche das Fliegen immer besser. “

Noch immer fast ein reiner Männerberuf

Etwa 870 Flugstunden insgesamt hat Natascha Freund bisher absolviert. Die eingeschränkte Verkehrspilotenlizenz hat sie schon in der Tasche. Um auch die großen Maschinen steuern zu dürfen, müsste die Kirchheimerin 500 Stunden am Steuer eines Verkehrsflugzeuges mit deutlich höherer Tonnage nachweisen, das etwa Platz für circa 50 Passagiere hat.

Kurz nach zwölf trifft die Familie mit dem schwer kranken Jungen auf dem Flugfeld in Hamburg ein. Der Zwölfjährige wird von seiner Mutter, Natascha Freund und dem Co-Piloten Gerhard Länger behutsam in den Innenraum des Flugzeugs getragen und auf zwei Sitze gebettet. „Jetzt sind wir gleich wieder zu Hause“, sagt die Mutter. Sie wirkt verzweifelt.

Beim Anflug auf Düsseldorf geht es durch eine graue Suppe. Die Instrumente weisen den Piloten den Weg zum Flughafen. Um 13.07 Uhr fahren sie die Landeklappen aus. Die Familie verlässt die Beechcraft King Air und verabschiedet sich von der Crew. Eigentlich soll es gleich weitergehen, doch es herrscht reger Verkehr auf dem Düsseldorf International Airport. Bevor der Tower die Starterlaubnis gibt, sind andere Flugzeuge an der Reihe, ein Air-France-Jet und mehrere Tui-Ferienflieger.

Das Problem ist die Familienplanung

Ready for Take-off. Natascha Freund strahlt Ruhe und Sicherheit aus, jeder ihrer Handgriffe sitzt. Man fragt sich, warum der Chefausbilder der Lufthansa noch in den 70er Jahren der Meinung war: „Eher wird eine Frau Boxweltmeister im Schwergewicht als Kapitän bei der Deutschen Lufthansa.“ Erst 1988 ließ die größte deutsche Fluggesellschaft eine Frau ins Cockpit. Nicola Lisy war zunächst Co-Pilotin, bevor sie vor ziemlich genau zwölf Jahren zur Flugkapitänin befördert wurde.

Diese träge Entwicklung ist nicht nur mit dem reflexhaften Abwehrverhalten zu erklären, das Frauen in allen typischen Männerberufen entgegenschlägt. Lange Zeit spielten auch wirtschaftliche Gründe eine Rolle. So argumentierte die Lufthansa einst, dass es das Unternehmen etwa 300 000 Mark koste, einen Piloten auszubilden. Wenn sich eine hochqualifizierte Pilotin doch für Kinder entscheide, sei die Investition umsonst gewesen. Die Ausbildung bei der Lufthansa ist für den Piloten übrigens mit einem Eigenanteil verbunden. Wer einen Arbeitsvertrag bekommt, beginnt mit der Rückzahlung des Darlehens von 60 000 Euro.

Heute spielt das Geschlecht bei der Kandidatenauswahl offiziell zwar keine Rolle mehr, der Anteil der Frauen im Cockpit stagniert dennoch. Aktuell sind unter den insgesamt 5310 Lufthansa-Piloten 295 Frauen, gerade einmal 27 von ihnen sind im Besitz der Kapitänslizenz.

„Das größte Problem ist, denke ich, die Familienplanung“, sagt Natascha Freund. „Ein Kinderwunsch ist mit dem Beruf schwer vereinbar. Man braucht einen flexiblen Arbeitgeber und einen flexiblen Lebenspartner, der das unterstützt.“ Außerdem stellt die 60 000 Euro teure Ausbildung auch ein wirtschaftliches Risiko dar. Die Kirchheimerin fand anschließend sofort eine Stelle. Andere haben weniger Glück.

Mit Ray-Ban-Sonnenbrille und blonder Mähne

Natascha Freund will sich alle Möglichkeiten offen halten, sie spielt mit dem Gedanken, zweigleisig zu fahren. Fliegen ist schön, Familie aber auch. Vielleicht studiert sie noch Luftverkehrsmanagement. Absolventen dieses Studiengangs können als Manager in einem Unternehmen der Luftverkehrswirtschaft arbeiten, etwa bei Flughafenbetreibern oder bei Verkehrsfluglinien. Ein Wechsel zum Bodenpersonal hätte für Natascha Freund aber Konsequenzen: Fliegen würde dann zu ihrem Hobby.

Die letzte Etappe dieses Tages von Düsseldorf nach Stuttgart ist ein Bilderbuchflug. Natascha Freund ist in ihrem Element, setzt ihre Maschine ein drittes Mal souverän auf der Piste auf. Die Pilotin nimmt ihre Ray-Ban-Pilotenbrille ab, die sie sich zur bestandenen Prüfung geleistet hat, schüttelt ihre blonde Mähne wie in der Drei-Wetter-Taft-Werbung und strahlt. „Immer wenn ich fliege, kann ich die Sonne sehen“, sagt sie. „Ich liebe diesen Job.“