Der Gerber Jakob Friedrich Schöllkopf ist 1841 von Kirchheim nach Amerika ausgewandert. Dort wurde er mit der Nutzung der Wasserkraft der Niagarafälle reich, wovon noch heute seine Heimatstadt und Stuttgart profitieren.
Kirchheim - Angelika Matt-Heidecker, die Oberbürgermeisterin von Kirchheim (Kreis Esslingen), freut sich jedes Jahr über Post aus Amerika. Kein Wunder, denn zuverlässig flattert per annum aus Buffalo im US-Bundesstaat New York ein Scheck über 10 000 Dollar ins Kirchheimer Rathaus. Die regelmäßige milde Gabe für seine Heimatstadt hat seinerzeit Jakob Friedrich Schöllkopf veranlasst, der 1841 im Alter von 22 Jahren nach Amerika ausgewandert ist und es dort zu beachtlichem Wohlstand brachte.
Doch die Stadt, in der er am 15. November 1819 geboren wurde und in den folgenden Jahren seine Kindheit und Jugend erlebte, konnte er nie vergessen. Nach der Überfahrt ins gelobte Land, die mit dem Segelschiff von November 1841 bis Januar 1842 dauerte, arbeitete Schöllkopf in New York zunächst zwei Jahre in seinem erlernten Beruf als Rotgerber, ehe er in Buffalo sein eigenes Ledergeschäft eröffnete – sein Vater Gottlieb Heinrich griff ihm dabei mit 800 Gulden unter die Arme. Nur wenig später gründete der Schwabe mit dem ausgeprägten Geschäftssinn eine Gerberei in Milwaukee und eine weitere in Chicago. Dabei wurde er immer wieder von der Familie mit Finanzspritzen unterstützt, wie einem Beitrag zu entnehmen ist, der 1974 für eine Festschrift anlässlich des 75. Todestages Schöllkopfs verfasst worden war.
Ein armer Auswanderer war Schöllkopf nicht
Ein armer Auswanderer war er beileibe nicht, und er zerstreute schon 1847 in einem Brief an seinen Vater und seine Geschwister derlei Befürchtungen: „ . . . in wenigen Jahren denke ich ein ziemlich gutgeordnetes, freyes Geschäft zu haben, und immer Geld an Hand zu haben, um alles mit dem besten Vortheil zu betreiben.“ Dass er es zu etwas gebracht hatte, verbreitete sich schnell in der alten Heimat. So teilte sein Vetter Johann Georg Unrath schon 1850 in einem Brief begeistert mit, sein Cousin habe „ein Haus dastehn, kein Graf in Deutschland hat ein solches. Das ist ein Geschäftsmann, so trift mann wenig. Bei dem geth alles ins Große“.
Unrath konnte damals nicht ahnen, dass das unternehmerische Engagement seines Verwandten noch so richtig „ins Große“ gehen sollte. Denn Jakob Friedrich Schöllkopf verlegte sich nicht mehr allein auf das Geschäft mit gegerbten Tierhäuten. Im Jahr 1857 stieg er mit dem Kauf der North Buffalo Flouring Mills ins Mühlengeschäft ein, und 13 Jahre später erwarb er auch noch die Buffalo Frontier Mills.
Das Recht zur Nutzung der Wasserkraft
Der größte Wurf gelang dem Unternehmer jedoch mit seinem Einstieg in die Nutzung der Wasserkraft der Niagarafälle. Im Mai 1877 ersteigerte er mit 71 000 Dollar das millionenschwere in Konkurs geratene Unternehmen Hydraulic Canal. Fortan besaß er sämtliche Rechte zur Nutzung der Wasserkraft. Zunächst betrieb er damit nur eine Mühle und weitere Gewerbebetriebe. Doch 1881 gründete er die weltberühmte „Brush Electric Light and Power Company“ – das erste Elektrizitätswerk, das den ungeheuren Wasserdruck der Niagarafälle zur Stromerzeugung nutzte. Zu seinem unternehmerischen Erfolg gesellten sich – wie im richtigen Leben – einige lukrative Posten hinzu. So war Jakob Friedrich Schöllkopf unter anderem Präsident der Dritten Nationalbank, Direktor der Buffalo Citizens Gas Co., Verwalter des Spitals von Buffalo und Mitglied im Direktorium diverser Banken in Niagara Falls.
Privat blieb er dem Albtrauf verbunden. Am 12. März 1848 hat Jakob Friedrich in Buffalo Christiane Sophie Doerr geheiratet – eine Kirchheimerin, wie konnte es anders sein. Alljährlich besuchte er später seine Heimatstadt, bei der Visite 1891 gründete er die Schöllkopf-Vogelsche Stiftung, welche die Not der „hier ansäßigen, würdigen Armen beiderlei Geschlechts, ohne Unterschied der Religion“ lindern sollte. Aus dieser Stiftung stammen noch heute die 10 000 Dollar, die in die Kirchheimer Bürgerstiftung alljährlich mit einfließen. Am 15. September 1899 starb Jakob Friedrich Schöllkopf – nur einen Monat vor seinem 80. Geburtstag.
Schöllkopf vergaß seine Heimat nicht
Zeit seines Lebens vergaß er seine Wurzeln nicht. Und auch in Kirchheim erinnert heute einiges an den berühmten Sohn – selbst wenn dieser in Wikipedia in einer amerikanisierten Version als Jacob Frederick Schoellkoepf geführt wird. Unter anderem ist eine unter der Trägerschaft des Landkreises Esslingen stehende kaufmännische Schule nach ihm benannt. Vor dem Bahnhof sprudelt der Schöllkopf-Brunnen, und mit Bodo Schöllkopf sitzt ein mutmaßlicher Nachfahre des Auswanderers für die SPD im Gemeinderat.
Nicht nur in Kirchheim freut man sich über den alljährlichen Geldsegen, der von der Bank of America kommt, welche die Stiftung offenbar verwaltet. Auch die Stadt Stuttgart wird pro Jahr mit 50 000 US-Dollar für gemeinnützige Zwecke bedacht. Was die Kirchheimer Rathauschefin im Übrigen mit einem Schmunzeln als „ungerecht verteilt“ bezeichnet. Schließlich sei Schöllkopf ein Kirchheimer und kein Stuttgarter gewesen. Inzwischen hebt bei Angelika Matt-Heidecker aber der wieder gestiegene Dollarkurs die Stimmung über die jährliche Zuwendung. Waren es im vorvergangenen Jahr umgerechnet 7717 Euro, die ins Stiftungskapital fließen, so seien es 2015 immerhin schon 8772 Euro gewesen.
Dieser Text ist ein Teil einer großen Serie über Auswanderer aus der Region Stuttgart.