Bischof Gebhard Fürst will von den Nazis geraubte Glocken zurückgeben. Darunter sind auch drei Glocken der katholischen Gemeinde St. Hedwig & Ulrich. Es sind die einzigen in Stuttgart, die Teil des Projekts werden könnten.

Stadtleben und Stadtkultur : Alexandra Kratz (atz)

Es gehe darum, eine unrechte Geschichte zum Guten zu wenden: „Zu Friedensglocken sollen jene Glocken werden, die vom nationalsozialistischen Regime in den sogenannten ehemaligen ,deutschen Ostgebieten‘y abgehängt wurden und der Kriegsmaschinerie dienen sollten“, heißt es in einer Dokumentation. Es geht also um Glocken, welche die Nazis geraubt haben, um sie einzuschmelzen und so neues Metall für die Rüstungsindustrie zu gewinnen.

 

Auf der Internetseite der Diözeses Rottenburg-Stuttgart sind Zahlen zu finden: Demnach waren es mehr als 100 000 Glocken. Nach Kriegsende waren noch etwa 16 000 übrig, teils stark beschädigt. Die meisten wurden in den Folgejahren an ihre Heimatgemeinden zurückgegeben. Nur für die etwa 1300 Glocken aus den ehemals deutschen Ostgebieten, vornehmlich aus Tschechien und Polen, die auf dem so genannten Glockenfriedhof im Hamburger Hafen lagerten, lehnte die britische Militär-Regierung eine Freigabe ab. Sie wurden ab 1950 Kirchengemeinden im damaligen Westdeutschland zugewiesen. 67 Glocken kamen in die Diözese Rottenburg-Stuttgart. Die meisten von ihnen läuten noch heute zum Gottesdienst.

Drei Glocken aus Trebnitz

So auch in der Kirche St. Hedwig in Möhringen und St. Ulrich auf dem Fasanenhof. Die Gesamtkirchengemeinde hat drei Glocken aus Trebnitz. Davon sind zwei wahrscheinlich aus dem von der heiligen Hedwig, der Namenspatronin der Möhringer Gemeinde, gegründeten Kloster Trebnitz. Die dritte ist aus einer Kapelle in Trebnitz. Die beiden kleineren Glocken läuten bis heute in St. Hedwig am Eingang der Sakristei und im Kirchturm. Die größte der Glocken befand sich zunächst ebenfalls in St. Hedwig und kam 1966 in den Glockenstuhl der Kirche St. Ulrich im damals neu entstandenen Stadtteil Fasanenhof.

Nun, fast 80 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, sollen diese einst geraubten Glocken, die heute in Kirchen in Württemberg hängen, zu Friedensglocken werden und zurückgegeben werden. Bischof Gebhard Fürst hat das Projekt initiiert. Es ist auf sechs Jahre angelegt. Die Diözeses stellt dafür 400 000 Euro jährlich zur Verfügung. Die Glocken im Turm der Kirche „Maria Hilfe der Christen“ in Aichtal-Grötzingen (Landkreis Esslingen) waren die ersten. Nun könnten die drei Glocken aus Trebnitz folgen, die in der Gemeinde St. Hedwig und Ulrich läuten. Es ist die einzige katholische Gemeinde in Stuttgart, in der sich Glocken aus den ehemals deutschen Ostgebieten befinden.

Wann immer eine Glocke in ihre alte Heimat zurückkehrt, wird für sie eine neue gegossen. Alte und neue Glocke erhalten dann einen Segen, der um Frieden bittet. Das Bistum erstattet der Gemeinde die Kosten für die neue Glocke. An jede zurückgekehrte Glocke soll eine Gedenktafel erinnern. Es gibt aber auch Gemeinden im Osten, die ihre ehemalige Glocke nun in Württemberg als Friedensglocke belassen wollen.

Die Gemeinde entscheidet

Franz-Xaver Friedel, der gewählte Vorsitzende des Gesamtkirchengemeinderats St. Hedwig & Ulrich, kann dem Projekt sehr viel abgewinnen. „Es geht sowohl um die Bewältigung der Vergangenheit als auch um die Gestaltung der Zukunft“, sagt er und ergänzt: „Die Bedeutung der beiden Glocken aus der Hedwigsbasilika sind für Schlesien und in gewisser Weise für das gesamte katholische Polen kaum hoch genug einzuschätzen. Sie könnten zu Friedensglocken werden und Anlass sein, aus dem sich unsere Gemeinde und die polnischen Glaubensgeschwister begegnen, kennenlernen und so stellvertretend für viele aus dem Glauben heraus ein Stück friedvolle Zukunft für Europa mitgestalten.“

Im aktuellen Gemeindebrief stellt Franz-Xaver Friedel das Projekt Friedensglocken vor. Kurz nach den Sommerferien will sich der Gesamtkirchengemeinderat mit dem Projekt beschäftigen. Bei dieser informiert unter anderem Hans Schnieders, der Projektleiter bei der Diözese, über die „Friedensglocken für Europa“. Danach beginne der Prozess, was genau sich ergebe, wisse man noch nicht. „Die Gemeinde entscheidet“, betont Friedel.