Die Lastwagentöchter von Volkswagen arbeiten nicht zusammen, sie bekämpfen sich. Sollte der bisherige Daimler-Vorstand Andreas Renschler zu VW gehen, wartet dort viel Arbeit auf ihn.

Stuttgart - Als Daimler im vorigen Februar auf das Geschäftsjahr 2012 zurückblickte, posierten drei Daimler-Vorstände am Rande der Pressekonferenz für die Fotografen. Seit an Seit lächelten der damalige Nutzfahrzeugchef Andreas Renschler, Vorstandschef Dieter Zetsche und Finanzvorstand Bodo Uebber in die Objektive. Sie vermittelten den Eindruck eines Teams, das auch in schwierigen Zeiten zusammenhält, ganz nach dem Motto: Zwischen uns passt kein Blatt.

 

Am nächsten Donnerstag lädt Daimler wieder zur Jahrespressekonferenz in die Carl Benz Arena vor den Toren des Werks Untertürkheim, doch das Team ist auseinandergebrochen. Ausgerechnet eine Woche vor der wichtigsten Pressekonferenz des Jahres hat Renschler, der mittlerweile auf den Posten des Produktionschefs von Mercedes-Benz versetzt worden war, den Job hingeschmissen, weil er Nutzfahrzeugchef von Volkswagen werden will.

Renschler ist bei Daimler über Nacht zur Unperson geworden

Vor einigen Jahrzehnten wäre solch eine Wechselabsicht bei Daimler noch als Majestätsbeleidigung gewertet wurden. Den Namen VW nahmen Daimler-Vorstände damals in der Öffentlichkeit nicht einmal in den Mund, sondern sprachen – wenn überhaupt – von einem „norddeutschen Wettbewerber“. Entsprechend gereizt reagieren Daimler-Manager derzeit, wenn sie den Namen Renschler hören. Der Mittfünfziger, der in den vergangenen Jahrzehnten eine glänzende Karriere beim Stuttgarter Autokonzern gemacht hat, ist bei Daimler über Nacht zur Unperson geworden.

VW kann trefflich von Renschlers Erfahrungsschatz als Nutzfahrzeugchef von Daimler profitieren. Die Stuttgarter liegen als größter Lastwagenhersteller der Welt beim Absatz weit vor dem Wolfsburger Konzern mit seinen Marken VW, MAN und Scania. Rund um den Globus ist Daimler mit seinen Marken fest im Nutzfahrzeuggeschäft verankert: Mercedes-Benz ist der Champion in Westeuropa und liegt in Brasilien auf Platz zwei, Freightliner führt in der schweren Klasse auf dem US-Markt, Fuso hat eine starke Position in Asien. Für den aufstrebenden Markt Indien hat Daimler vor kurzem die junge Marke Bharat-Benz ins Rennen geschickt, in China wurde eine Allianz mit dem Partner Foton geschlossen, in Russland arbeiten die Stuttgarter mit dem Marktführer Kamaz zusammen.

Komponenten machen mehr als die Hälfte der Gesamtkosten aus

Schritt für Schritt wurde in den vergangenen Jahren damit begonnen, diese Größenvorteile auch in Gewinn umzumünzen, indem Baukästen für bestimmte Komponenten geschaffen wurden, die mehrere Marken verwenden. Dies ist nicht einfach, weil die Unterschiede bei den technischen Vorschriften in den einzelnen Regionen bei Lastwagen größer sind als bei Personenwagen. Zudem erfolgt der Wechsel der einzelnen Modellgenerationen langsamer als bei den Personenwagen. Deshalb können nicht so schnell neue Komponenten aus einem Baukasten eingesetzt werden.

Zur Kostensenkung trug beispielsweise die Entwicklung eines neuen schweren Motors bei, der weltweit in den Fahrzeugen verschiedener Marken eingesetzt wird. Derzeit laufen gerade die Planungen für eine Ausweitung der Baukastenstrategie. Dazu gehören die weitere Vereinheitlichung von Motor und Getriebe sowie in gewissen Grenzen auch von Achsen, wie der heutige Nutzfahrzeugchef Wolfgang Bernhard kürzlich in einem StZ-Interview erläuterte. Mehr als die Hälfte der Kosten eines Trucks entfallen auf diese Komponenten. Insgesamt will Daimler bis Ende dieses Jahres mit dem laufenden Effizienzprogramm Truck Number One die Kosten um 1,6 Milliarden Euro senken.

Die Schweden sind „etwas empfindlich“

Die VW-Spitze kann von solchen Baukästen nur träumen. VW-Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch hat es zwar mit viel Energie und großer Ausdauer geschafft, MAN und Scania unter das Dach des VW-Konzerns zu steuern; doch die beiden traditionsreichen Lastwagenbauer, die sich zuvor als Konkurrenten gegenseitig zu Höchstleistungen anstachelten, sträuben sich gegen das Kommando, gemeinsame Sache zu machen. Vergeblich mühte sich Jochem Heizmann vor vier Jahren als neuer Nutzfahrzeugvorstand von VW ab, aus Konkurrenten Verbündete zu machen.

Vor zwei Jahren gab er diese Aufgabe dann an Leif Östling ab und wurde China-Vorstand. Östling ist ein Urgestein von Scania und stand lange an der Spitze des schwedischen Unternehmens, das als Perle unter den Lastwagenbauern gilt. Seine Berufung zum Lastwagenchef von VW war wohl ein Signal zur Besänftigung der stolzen Schweden, die „etwas empfindlich“ sind, wie es VW-Betriebsratschef Bernd Osterloh ausdrückt.

Die Schwestern liegen sich in den Haaren

Wie empfindlich die Schweden sind, zeigt beispielsweise ein Streit, über den Ende Dezember der „Spiegel“ berichtete. Demzufolge hatte das Gemeinschaftsunternehmen MAN Rheinmetall eigentlich einen Großauftrag zur Lieferung von Militärlastwagen für die schwedischen und norwegischen Streitkräfte im Volumen von mehr als 2,2 Milliarden Euro gewonnen. Der unterlegene Hersteller Scania legte aber Einspruch ein, woraufhin die schwedische Wettbewerbsbehörde Ermittlungen aufnahm. Nun könnte der Auftrag neu ausgeschrieben werden, so das Magazin, und letztlich ein Konkurrent den Zuschlag erhalten. VW-Chef Martin Winterkorn sei „stinksauer“ über diesen Zoff der Konzerntöchter, berichtete der „Spiegel“.

Aktienanalysten sehen gute Chancen, dass Andreas Renschler als VW-Vorstand Scania und MAN näher zusammenbringen könnte. Der VW-Aufsichtsrat wird sich voraussichtlich Ende Februar mit der Personalie befassen. „Wenn es darum geht, unterschiedliche Länder und Kulturen zusammenzubringen, ist Renschler gut“, meint Jürgen Pieper vom Bankhaus Metzler. Dies habe er schließlich schon bei Daimler bewiesen, etwa bei der Zusammenarbeit mit der US-Tochter Freightliner. Dem pflichtet auch  Frank Schwope von der NordLB bei. Für VW wäre Renschler auf jeden Fall ein Gewinn, urteilt Schwope. Da er weder von MAN noch von Scania komme, könne er „ein unabhängiger Schiedsrichter sein, der auch auf keine gewachsenen Beziehungsgeflechte Rücksicht nehmen müsse“.

Kein Spaziergang, sondern eine Herkulesaufgabe

Doch ein Sparziergang wird es nicht. Frank Biller von der LBBW in Stuttgart spricht gar von einer „Herkulesaufgabe“. Das sieht wohl auch Andreas Renschler so. Vor zwei Jahren hat er sich in einem StZ-Interview dazu geäußert, wie ein Verbund aus MAN und Scania den Wettbewerb verändern werde. „Es entsteht ja kein neuer Wettbewerber. Es sind zwei bereits bestehende Unternehmen, die jetzt zusammengespannt werden, was sicher mit dem einen oder anderen Leidensdruck verbunden sein wird“, sagte er als Daimler-Nutzfahrzeugchef zutreffend voraus. „Wir haben bei Freightliner und Fuso unsere eigenen Erfahrungen gemacht“, so Renschler damals, „dass das alles nicht so einfach ist.“