Mehr als 170 Jahre hat es seit der Eröffnung gedauert: Auf der ältesten Bahnstrecke Württembergs fahren vom 12. Dezember an Züge unter Strom von Ulm an den Bodensee.

Friedrichshafen - Wenn am Sonntagmorgen die ersten Züge aus Ulm und Lindau in Friedrichshafen ankommen, geht für Lothar Wölfle ein mehr als 14 Jahre währendes Projekt zu Ende. „Das Manko unserer Region ist die Erreichbarkeit“, sagt der Landrat des Bodenseekreises. „Straße und Schiene sind die Achillessehne.“ Schon lange hoffte die Region deshalb darauf, dass Bund, Land und Bahn endlich die älteste Strecke Württembergs unter Strom setzen würden.

 

Die Bahn nahm die Südbahn schon am Montag symbolisch in Betrieb

Zum Fahrplanwechsel am 12. Dezember ist es nun soweit: Mehr als 170 Jahre nach der Eröffnung wird die elektrifizierte Südbahn in Betrieb genommen. Fahrgäste können dann öfter ohne Umsteigen von Stuttgart an den Bodensee gelangen, auf Teilen der Strecke können die Züge zudem mit Tempo 160 statt bisher 140 fahren. „Railjet“-Fernzüge fahren sogar täglich weiter bis nach Österreich.

Die Bahn nahm die elektrifizierte Südbahn schon am Montag in Friedrichshafen symbolisch in Betrieb. Bahn-Infrastrukturvorstand Ronald Pofalla sprach dabei von einem pünktlich fertiggestellten „Leuchtturmprojekt“, der geschäftsführende Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) von einer „äußerst wichtigen“ Strecke, die als „gemeinsames Werk“ von Bund und Land ausgebaut worden sei.

„Ohne den Anstoß aus der Region würden wir jetzt nicht die Elektrifizierung feiern.“

Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) zeigte sich erleichtert, dass die Südbahn „endlich“ eine Oberleitung hat: „Und wenn ich endlich sage, meine ich endlich.“

Ohne einen „freundlichen Schubs“ wäre das aber nicht möglich gewesen, sagt CDU-Landrat Wölfle. Schon vor 2006 habe es immer wieder Vorstöße gegeben, die Strecke endlich auszubauen - ohne Erfolg. „Also haben wir uns entschieden, mit kommunalem Geld die ersten zwei Planungsstufen anzupacken“, sagt Wölfle. Rund 1,4 Millionen Euro nahmen die Städte, Landkreise und Industrie- und Handelskammern in die Hand - obwohl sie dafür eigentlich nicht zuständig waren. „Aber das hat dann gefruchtet“, sagt Wölfle. „Ohne den Anstoß aus der Region würden wir jetzt nicht die Elektrifizierung feiern.“

Andernorts musste das Ausland nachhelfen

Einen Großteil der geschätzten Kosten von rund 370 Millionen Euro übernahm letztlich der Bund, auch das Land Baden-Württemberg stellte nach Angaben des Verkehrsministeriums 112,5 Millionen Euro bereit. Dass andere Stellen Geld vorschießen müssen, um Bahnstrecken unter Strom setzen zu lassen, sei aber nicht unüblich, sagt der Sprecher des Verkehrsbündnisses Allianz pro Schiene, Markus Sievers. „Das Problem sind die insgesamt viel zu geringen Summen, die der Bund für Investitionen in den Ausbau des Schienennetzes bereitstellt.“

Jährlich stünden dafür 1,5 Milliarden Euro aus Berlin zur Verfügung, nötig wäre aber mindestens das doppelte, sagt Sievers. „Solange diese Unterfinanzierung des Schienenausbaus anhält, kann es ein Projekt sehr beschleunigen, wenn Kommunen oder Bundesländer in Vorleistung gehen.“ Andernorts musste das Ausland nachhelfen: Um die bayerische Bahnstrecke von Lindau über Memmingen nach München elektrifizieren zu lassen, half die Schweiz bei den Planungen mit einer Millionensumme nach. Seit einem Jahr fahren nun mehrmals täglich Fernzüge zwischen Bayerns Landeshauptstadt und Zürich unter Strom über die Strecke.

Ziel der Ampel-Koalition: bis 2030 75 Prozent des Streckennetzes elektrifizieren

Im Vergleich zu Bayern steht der Südwesten bei der Elektrifizierung seiner Bahnstrecken gut da. Mit Inbetriebnahme der Südbahn stehen nach Angaben des Verkehrsministeriums 70 Prozent der Strecken im Land unter Strom, in Bayern sind es nur etwas mehr als 50 Prozent. Doch das Potenzial sei auch dort „noch groß“, sagt der Geschäftsführer von Allianz pro Schiene, Dirk Flege. Vor allem im Südosten des Landes sind nach Angaben des Verkehrsministeriums bislang wenige Strecken elektrifiziert. Das liege daran, dass „sich dort keine Großstädte und keine Strecken des Durchgangsverkehrs befinden“.

Flege hofft deshalb, „dass mit der neuen Bundesregierung mehr Tempo in die Sache kommt“. Die Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP in Berlin hat sich als Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2030 deutschlandweit 75 Prozent des Streckennetzes elektrifiziert zu haben. Aktuell sind es etwas mehr als 60 Prozent. In Baden-Württemberg visiert die Landesregierung bis 2030 ein deutlich kleineres Plus von rund 3 Prozentpunkten an. Beim Festakt am Montag betonte Ministerpräsident Kretschmann zudem, Landeszuschüsse zu Elektrifizierungen wie bei der Südbahn dürften „nicht zur Regel werden“. Schließlich sei der Bund zuständig: „Unsere Landeshaushalte sind nicht dafür ausgelegt.“

Wann Züge um den Bodensee herum unter Strom fahren könnten, steht bislang nicht fest

Auch am Bodensee hofft man darauf, dass künftig mehr Geld aus Berlin in Oberleitungen fließt. Denn Landrat Wölfle will Dieseltriebwagen möglichst auch von der Bodenseegürtelbahn verbannen, die von Friedrichshafen über Radolfzell nach Singen führt. Deren Fahrgäste müssen von Sonntag an sogar teils mit schlechteren Verbindungen leben - unter anderem weil sie in Friedrichshafen öfter umsteigen müssen.

„Bis die Elektrifizierung dort durch ist, wird das auch so bleiben“, sagt Landrat Wölfle. Wieder hätten die Kommunen in der Region für die ersten Planungen Geld vorgestreckt, dieses Mal sogar rund 10,4 Millionen Euro. Insgesamt werde der Ausbau aber wohl 380 Millionen Euro kosten, sagt Wölfle. Dabei sei die Strecke nur halb so lang wie die Südbahn. Wann Züge auch um den Bodensee herum unter Strom fahren könnten, steht dem Verkehrsministerium zufolge bislang nicht fest. „Auch grün-geführte Landesregierungen schauen eben aufs Geld“, sagt CDU-Mann Wölfle. Aber jetzt dürfe die Region angesichts der Südbahn auch mal ein bisschen stolz sein: „Die Rechnung ist aufgegangen.“