Ein Rathaus ist immer auch Aushängeschild für eine Stadt: Aus den Ruinen der Amtsstube in Stuttgart entstand in den 1950er Jahren das jetzige Gebäude, an dessen Architektur sich viele bis heute nicht gewöhnen wollen.

Stuttgart - Ein Rathaus ist nicht nur Sitz des Stadtoberhaupts, sondern auch Aushängeschild einer Stadt. Berlin hat das Rote Rathaus, München hat das imposante Neue Rathaus am Marienplatz mit dem schönen Balkon und Frankfurt am Main hat den Römer. Das Rathaus in Stuttgart ist weder besonders berühmt noch besonders schön. Geschockt sollen die Stuttgarter sogar gewesen sein – angesichts des in der Nachkriegszeit neu errichteten Rathauses am Marktplatz.

 

Die Geschichtswerkstatt der StZ und des Stadtarchivs Foto: StZ
Den historischen Vorgänger, ein Schmuckstück flämischer Spätgotik, haben alliierte Luftangriffe in der Nacht vom 25. auf den 26. Juli 1944 in Schutt und Asche gelegt. Spreng- und Brandbomben zerstörten etwa 85 Prozent der Bauten. Die entstandenen Schäden wurden durch einen schweren Feuersturm erheblich verstärkt. Auch das Stuttgarter Rathaus blieb nicht verschont. Nur der 68 Meter hohe Turm erlitt keine Einschläge. Die Uhr blieb dennoch um 1.50 Uhr stehen.

Das Rathaus, wie es heute am Marktplatz steht, haben sich die Architekten Hans Paul Schmohl und Paul Stohrer für die Stadt erdacht. Sie gewannen den vom Gemeinderat im Jahr 1950 ausgeschriebenen Wettbewerb, an dem sich 64 Architekten beteiligt hatten. Die Außenfassade sollte mit Korallenkalkfels von der Schwäbischen Alb verkleidet werden, der sachliche, viereckige Turm mit Sonnen- und Monduhr nebst Glockenspiel auf 60,5 Meter gekappt werden. Der neue Marktplatzflügel des Stuttgarter Rathauses wurde in den Jahren 1953 bis 1956 errichtet. Die halbwegs erhaltenen Rathausflügel zur Hirsch-, zur Nadler- und zur Eichstraße wurden auf dem alten Grundriss wiederhergestellt, nur die Seite zum Marktplatz sollte eine neue Gestalt bekommen.

Arnulf Klett: „Ein Bekenntnis zum neuen Bauen“

Zu Gute halten kann man immerhin, dass es sich beim Stuttgarter Rathaus um kein historisierendes Zuckerwerk handelt, sondern um einen eher nüchternen Funktionsbau, indem ebenso nüchterne Entscheidungen getroffen werden. „Mit dem neuen Haus wird ein Bekenntnis zum neuen Bauen abgelegt. Bauherr und Baukünstler wollten nicht vergangenes steril nachmachen, sondern einen mutigen Schritt nach vorwärts tun, ehrlich und würdig zugleich einem neuen Stil entgegen“, schreibt der Alt-OB Arnulf Klett kurz vor der Fertigstellung.

Eingeweiht wurde das Rathaus am 4. Mai 1956 mit großem Aufgebot. 850 Vertreter des öffentlichen Lebens nahmen an der Einweihung teil, auch der Bundespräsident Theodor Heuss reiste an und hielt eine Festrede. Die eigentlich sehr, sehr lange Ansprache aber hielt der Oberbürgermeister Arnulf Klett, der nicht nur einen historischen Exkurs machte, sondern auch die Wogen zu glätten – und die Menschen von dem Neubau zu überzeugen versuchte.

Also sprach Klett: „Meine Damen und Herren! Auch wenn alle Beteiligten ihr Bestes gegeben haben, kann ich nicht glauben, dass unser Rathaus so, wie es gebaut wurde, heute schon allen Bürgern gefällt. Wenn wir uns an die heftigen Pressefehden und an die leidenschaftliche Stellungnahme vieler unserer Bürger erinnern, werden wir uns darüber klar sein müssen, dass auch heute noch viele sind, die sagen, das alte Rathaus sei schöner gewesen, mindestens habe es besser nach Stuttgart gepasst, und an das neue werden sie sich nie gewöhnen können. Hüten wir uns davor, solche Stimmen mit Verachtung zu überhören, zu bespötteln oder sonst gering einzuschätzen. Die Meinung dieser Leute führt uns nämlich zu einer Erkenntnis, der man ins Auge sehen muss: Unsere heutige Zeit hat noch keinen Baustil, der im Bewusstsein des Volkes lebt und deshalb der allgemeinen Anerkennung schon sicher wäre.“

Prunk und Schnörkel: Stuttgarts vorherige Rathäuser

Aber es ist nicht von der Hand zu weisen, dass der Vorgänger imposanter war. Auch der hatte schon einen Vorgänger, mehrere sogar, wobei es keine genauen Quellen für die Geschichte der ersten Rathäuser gibt. Es wird angenommen, dass das erste noch gräfliche Rathaus am Marktplatz 5, dem heutigen Hauflerschen Haus stand, und zwar schon um 1400. Im Jahr 1614 hat Schickhardt auf dem Sockel des Gebäudes ein Haus mit drei Türmchen für die Vorfahren der Kellerschen Tuchhandlung erstellt, in deren Besitz es bis 1766 war. Denn die alten Rathäuser waren mehr Kaufhäuser wie auch das 1450 unter Graf Ulrich gebaute und 1820 wieder abgebrochene Herrenhaus auf dem unteren Teil des Marktplatzes.

Auch das erste wirkliche Rathaus der Bürgerschaft hatte seinen Platz am Markt. Graf Ulrich der Vielgeliebte gab seine Genehmigung zum Bau im Jahre 1456 „zum besseren Ansehen des Marktes und zur Notdurft der Stadt“. An diesem Rathaus gab es im Laufe der Zeit mehrere bauliche Änderungen, die massivste im Jahr 1824 unter dem Oberbaurat von Groß, der den malerischen Fassadenschmuck beseitigte. 1841 und 1872 wurden noch zwei Nachbarhäuser, Marktplatz 2 und 3, von der Stadt angekauft und für Amtsgeschäfte benutzt.

Dennoch war mit dem Wachsen der Stadt zu wenig Platz in den Amtstuben. Schon 1870 regte man einen Neubau an, der aber wegen des Krieges in den 1870er Jahren nicht weiter verfolgt wurde. 1884 kam der Gedanke erneut auf. Der Rat hatte befunden, dass das alte, fachwerkgeschmückte Bürgerhaus aus Renaissancezeiten nicht mehr repräsentativ sei für das aufstrebende Groß-Stuttgart. 1894 schließlich wurde ein Wettbewerb ausgeschrieben, bei dem mehr als 200 Entwürfe eingingen. Nachdem man zwischenzeitlich überlegt hatte, an anderer Stelle zu bauen, entschloss man sich 1898 doch dazu, am Marktplatz zu bleiben.

Herrliche Flure und Treppenhäuser

Den Auftrag erhielten die Berliner Architekten Heinrich Jassoy und Johannes Vollmer. Im Sommer 1899 begannen die Arbeiten, denen im weiteren Verlauf auch zwanzig alte Häuser zum Opfer fielen. Sechs Jahre dauerten die Arbeiten, am 1. April 1905 wurde die Einweihung gefeiert – mit Festreden und Galamenüs in Anwesenheit des Königs. Der Hauptflügel am Marktplatz galt als Schmuckstück flämischer Spätgotik. Im Inneren besaß er getäfelte Säle und Amtsstuben mit schweren eisernen Leuchtern inklusive passendes Mobiliar sowie herrliche Flure und Treppenhäuser. Manchem war das verschnörkelte, mit Skulpturen verzierte Gebäude aber auch reichlich wilhelministisch und protzig.

Fast vierzig Jahre lang wurden in dem Rathaus mit seinem flämisch-niederländischen Baustil sowie der Gotik und der Renaissance entnommenen Formen die Geschicke der Stadt gelenkt. Dann schlugen die Bomben des Zweiten Weltkriegs ein.

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