Bei den derzeit herrschenden Temperaturen kann man es sich kaum vorstellen - aber es gab schon heftige Winter in Stuttgart. Der Winter 1928/29 ging als einer der kältesten in die Geschichte der Stadt ein. Eine Zeitzeugin erinnert sich.

Stuttgart - Der Winter 1928/29 ging als einer der kältesten in die Geschichte Stuttgarts ein. Bis Anfang Februar 1929 war der Neckar völlig zugefroren. Das Eis zog hunderte von Spaziergängern an; da der Fluss meterdick gefroren war, konnten die Stuttgarter gefahrlos darauf flanieren. Als dann am 20. Februar das lang ersehnte Tauwetter kam, musste das gewaltige Eis gesprengt werden, um schlimmere Schäden vor allem an den Wehren vorzubeugen. Die „Von Zeit zu Zeit“-Chronistin Waltraut Lücke hat das Neckareis als Schulkind miterlebt.

 

Berge voller Schnee vor den Haustüren, komplett vereiste Straßen und meterdickes Eis auf dem Neckar: Im Winter 1928/29 gingen den Menschen bezogen auf die Witterungsverhältnisse schnell die Superlative aus für das, was da vor ihrer Haustüre geschah. Gefreut haben sich über das Naturschauspiel nur die Kinder. „Für uns war das wirklich prima“, schreibt Waltraut Lücke in der StZ-Geschichtswerkstatt „Von Zeit zu Zeit“. „Wir hatten eine tolle Rutschbahn.“

Eine Dreiviertelstunde Fußmarsch bei Minusgraden

Die damals Achtjährige erinnert sich an einen bewährten Trick gegen das heimtückische Eis auf dem Schulweg. „Wir haben damals Socken über unsere Schuhe gezogen, damit wir nicht so gerutscht sind“, sagt sie. Davon, dass sich die Eltern mehr und mehr über die schwindenden Brennholzvorräte sorgten, hat sie damals wenig mitbekommen. Aber wie sehr sie gefroren hat auf dem Schulweg von Stammheim nach Zuffenhausen, das ist ihr in Erinnerung geblieben.

Eine Dreiviertelstunde Fußmarsch vor Schulbeginn lag täglich vor ihr. „Und wenn ich angekommen bin, musste ich erst meine Hände über dem Ofen auftauen. Ich hätte in der Schule keinen Stift halten können.“ Abends ging es dieselbe Strecke zurück. Der dünne Mantel, den sie damals trug, hielt die Kälte kaum ab. „Und dabei hatte ich es ja noch gut – andere Kinder hatten nur ein Westle an“, erzählt Waltraut Lücke.

An den Wochenenden sind die Schulkameraden zum Neckar gepilgert, um sich die Eisschollen anzuschauen. Waltraut Lücke hat das Spektakel nicht gesehen. „Von Stammheim aus wäre das eine halbe Weltreise gewesen“, sagt sie.

Sie wollen noch mehr über die Geschichte Stuttgarts erfahren? Dann besuchen Sie die Geschichtswerkstatt „Von Zeit zu Zeit“ der Stuttgarter Zeitung. Das interaktive Portal ist in Kooperation mit dem Stadtarchiv entstanden und gibt Ihnen die Möglichkeit, die Geschichte der Stadt mitzuschreiben. Wer sich als Chronist anmeldet, kann Fotos hochladen oder eigene Zeitzeugenberichte verfassen.