Nach dem Mauerfall hat Kanzler Helmut Kohl die Mehrheit der Ostdeutschen schnell gewonnen. Die europäischen Nachbarn aber hatten Bedenken. Doch dann verhandelte Hans-Dietrich Genscher.

Stuttgart - Nach dem Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989 stand die Bundesregierung in Bonn vor der Frage, wie es weitergehen solle. War eine Wiedervereinigung möglich, und wenn ja, wie könnten zwei Staaten mit unterschiedlichen Systemen zusammengefügt werden? Und wie reagierten die vier Siegermächte des Zweiten Weltkrieges darauf, die ein Wort mitzureden hatten? Als Helmut Kohls Berater Horst Teltschik registrierte, dass Moskau und Ost-Berlin gesprächsbereit waren, schlug er seinem Kanzler vor, eine Erklärung zur deutschen Einheit im Bundestag vorzutragen. Daraus entstand das Zehn-Punkte-Programm, das nur in den USA positiv aufgenommen wurde, in Frankreich, England und Moskau aber auf Widerspruch stieß. In dem Text war von einer „Konföderation“ zwischen Bundesrepublik und DDR die Rede, und am Schluss hieß es: „Dass die Einheit kommen wird, wenn die Menschen in Deutschland sie wollen, dessen bin ich sicher.“

 

Hans Modrow, ein Reformsozialist, der am 13. November von der DDR-Volkskammer zum Ministerpräsidenten gewählt worden war, ging das zu weit. Er wollte keine Wiedervereinigung und hatte nur von einer Vertragsgemeinschaft gesprochen. Der Sozialismus sollte weiterhin Grundlage der DDR sein und die Staatssicherheit erhalten bleiben. Nicht zuletzt deshalb verweigerte Kohl die von Modrow begehrten Finanzhilfen und forderte den Bruch der SED-Herrschaft sowie freie Wahlen. Weil sich auch der „Runde Tisch“, dem die Oppositionsgruppen angehörten, mit Modrows Kurs nicht einverstanden war, wurde der Wahltermin, der auf Mai angesetzt war, vorgezogen und auf den 18. März 1990 festgelegt.

Kohl in Dresden: Die Sache ist gelaufen

In den Zwischenzeit machte sich Kohl Sorgen wegen des Abschneidens der Ost-CDU, denn in den Umfragen führten die Sozialdemokraten. Und war er bei der DDR-Bevölkerung überhaupt willkommen? Als Kohl am 19. Dezember 1989 in Dresden aus dem Flugzeug stieg, warteten viele Menschen, die bundesdeutsche Flaggen schwenkten. Modrow, der ihn empfing, registrierte das Schauspiel mit versteinerter Miene. Noch auf der Bordtreppe stehend, drehte Kohl sich zu Innenminister Rudolf Seiters (CDU) um und sagte: „Rudi, die Sache ist gelaufen.“

Wie von einer Last befreit, mischte sich der westdeutsche Bundeskanzler in den DDR-Wahlkampf ein und führte gegen alle Prognosen die Ost-CDU mit ihrem Vorsitzenden Lothar de Maizière zum Erfolg. Dieser war es dann, der als Ministerpräsident sein Land in die Wiedervereinigung steuerte und am Ende sagte: „Man liefert nicht alle Tage einen Staat in der Weltgeschichte ab und sagt ade.“ Doch bis dahin waren noch viele Schwierigkeiten zu überwinden. Die äußeren Aspekte der deutschen Einheit konnten nur unter Mitwirkung der vier Siegermächte geregelt werden. Der französische Staatspräsident Francois Mitterrand äußerte Kohl gegenüber große Bedenken hinsichtlich eines größeren Deutschlands. Ein deutsches Übergewicht in der Europäischen Union könne nur aufgefangen werden durch eine Wirtschafts- und Währungsunion. Kohl gab am Ende nach und äußerte seine Zustimmung zur Preisgabe der D-Mark und zu einer einheitlichen europäischen Währung, die später Euro genannt wurde.

Die Einheitswährung, der Euro, ist der europäische Preis

Die britische Premierministerin Margaret Thatcher fürchtete aus eher historischen Gründen ein wiedervereinigtes Deutschland und stellte sich quer. Da sich aber Paris und London nicht auf eine einheitliche Linie einigen konnten, vermochten sie gegen die grundsätzliche Zustimmung Washingtons nichts auszurichten, denn dieses Votum war entscheidend.

Der eigentliche Schlüssel zur deutschen Einheit lag jedoch in Moskau. Dort stießen die Bonner Politiker zunächst auf scharfe Bedenken Gorbatschows: „Wo wird die Bundesrepublik landen? In der Nato oder im Warschauer Vertrag? Oder wird sie am Ende neutral?“ Schließlich fanden sich die Außenminister der vier Mächte zu den sogenannten Zwei-Plus-Vier-Gesprächen zusammen, an denen auch die Bundesrepublik und die DDR beteiligt waren. Unter maßgeblicher Beteiligung Hans-Dietrich Genschers wurden Konzepte entwickelt, die den Einigungsprozess voranbrachten. Die Bundesrepublik musste die Oder-Neiße-Grenze anerkennen, erhielt andererseits aber die Zusage, in der Nato bleiben zu können. Weil Kohl in der DDR viele Plakate mit der Aufschrift gesehen hatte: „Kommt die D-Mark nicht zu uns, gehen wir zur D-Mark“, drängte er auf den Abschluss einer Währungsunion. Diese sollte zugleich die wachsende Zahl von Übersiedlern stoppen.

Die Verhandlungen über den „Einheitsvertrag“ führten vom 6. Juli 1990 an Wolfgang Schäuble und für die DDR Günther Krause. Weil der DDR-Mann auf erhaltenswerte Elemente seines Staates pochte, sagte Schäuble: „Also Leute, es handelt sich hier um einen Beitritt der DDR zur Bundesrepublik und nicht umgekehrt.“ Nicht über freie Wahlen, sondern durch einen Beitritt nach Artikel 23 des Grundgesetzes sollten die Staaten vereinigt werden. Lothar de Maizière nannte das eine „Sturzgeburt“. Am 22. August stimmte die Volkskammer zu – und damit ihrer eigenen Auflösung. Als auch die Zwei-Plus-Vier-Verträge am 1. Oktober gebilligt wurden, konnte die Vereinigung auf den 3. Oktober 1990 festgesetzt werden.