Vor einem halben Jahrhundert startete die Trimm-dich-Bewegung – auch in Stuttgart. Besonderheit: der Waldsportpfad am Kräherwald wird vom Leiter des städtischen Forstamts angelegt.

Manteldesk: Mirko Weber (miw)

Stuttgart - Wer vor fünfzig Jahren im Trainingsanzug durch den Wald lief, war ein Exot. Zwar wurde gerne zugeschaut, wie sich angehende Jungmillionäre in kurzen Hosen fußballerisch in der weiten Welt schlugen – exakt vor einem halben Jahrhundert revanchierten sich Beckenbauer, Seeler & Co. bei der Fußball-WM in Mexiko mit einem 3:2 gegen England für Wembley. An individueller Bewegung jedoch schien den Deutschen allgemein eher wenig gelegen in diesen Jahren des abklingenden Wirtschaftswunders.

 

Wer wird denn gleich in die Luft gehen?

Entsprechend alarmierend waren die Zivilisationskrankheiten fortgeschritten: Diabetes, Übergewicht und Kreislaufstörungen hatten leichtes Spiel in einer Gesellschaft, in der noch relativer Konsens darüber herrschte, dass man lieber erst mal eine rauchen solle, ehe man womöglich in die Luft ginge. Beherzt griff in dieser Situation der Deutsche Sportbund eine Praxis auf, die in ihren Grundzügen auf dem Konzept einer Lebensversicherung aus Zürich beruhte: Trimmen – nach einem Wort aus der Seemannssprache, das fürs Lastenverteilen an Bord steht. Trimmen als Breitensport wurde durch ein einfaches Muster populär: Dabei wurden kleine Runden durch ein Waldstück gestartet, um auf dem Weg an etlichen Haltepunkten verschiedene Übungen zu absolvieren – von Rumpfbeugen bis zur Königsdisziplin Klimmzüge. Motivierend reckte hernach ein optisch sowohl quadratisches wie sympathisches Maskottchen namens Trimmy von einem Schild herunter den Daumen hoch.

Und dann war Trimmen auch noch kostenlos

Stuttgart wollte sich dem Trend nicht verschließen und eröffnete neben dem Sportplatz des Männerturnvereins am Kräherwald am 13. Juni 1970 den ersten Waldsportpfad, den der Leiter des städtischen Forstamts angelegt hatte. Obwohl die Stadtverwaltung den Stuttgarter Jagdhornbläserchor schickte, blieben die anwesenden Honoratioren auf dem Schweißtröpflepfad, wie er bald genannt wurde, ein wenig reserviert und legten das Sakko erst ab, als es ans Reck ging. Auch unsere Zeitung hielt einstweilen noch Halbdistanz: „Stuttgarts Stubenhocker“, hieß es milde ironisch, könnten sich jetzt „in Hochform bringen: kostenlos.“