Vor 500 Jahren: Die Wiedertäufer im Südwesten Rebellen der Kirche

Balthasar Hubmaier: „Christus ist nicht gekommen, dass er metzge, morde und brenne.“ Foto: Imago//Heinz-Dieter Falkenstein

Vor 500 Jahren sorgen die Täufer für eine sanfte Rebellion in der Kirche. Drei ihrer Wegbereiter aus dem Südwesten spielen dabei eine wichtige Rolle.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Die Rebellion des Wilhelm Reublin beginnt mit einem Akt der Liebe. Er hinterlässt so etwas wie einen Tintenklecks in den offiziellen Annalen der Kirche. Der aus Rottenburg am Neckar stammende Pfarrer nimmt ein Sakrament für sich in Anspruch, das für seinesgleichen gar nicht vorgesehen ist: 1523 heiratet er im schweizerischen Witikon eine Frau mit Namen Adelheid Leemann. Reublin, auch „Röubli“ genannt, ist damit einer der ersten Priester in der Eidgenossenschaft, die in aller Öffentlichkeit den Zölibat brechen.

 

Ein solcher Eklat entspricht seiner Natur. Der damals knapp 40-Jährige hat schon zuvor für Aufsehen gesorgt. Als Leutpriester in Basel fasziniert er bis zu 4000 Zuhörer mit seiner sehr radikalen Bibelauslegung. Seit Anfang 1524 predigt er auch gegen die Kindstaufe. Wenig später hält er in Zürich die „provokativste Predigt, die überhaupt je (dort) gehalten worden ist“, so der Berner Historiker Christoph Dejung. „Selten ist in anstößigerer Weise Freiheit gefordert worden von den anwesenden Herrschenden.“

Reublin findet Gleichgesinnte und begründet damit das sogenannte Täufertum, eine radikale Variante der sieben Jahre zuvor durch Martin Luthers Thesen entfachten Reformation. Den Täufern, zunächst in denunziatorischer Absicht auch „Wiedertäufer“ genannt, geht es um mehr als die Frage, ob sich nur Erwachsene zum Glauben bekennen könnten. Ihnen geht es um Trennung der Kirche vom Staat, um Gewaltlosigkeit, freie Pfarrerwahl und die Verweigerung von Gefolgschaftseiden.

Zürich will keine Aufrührer

Die Stadt Zürich, selbst eine Metropole der Reformation, möchte Aufrührer wie Reublin nicht in ihren Mauern dulden und lässt alle verhaften, die sich wie er ein zweites Mal der Taufe unterziehen. Jede weitere Agitation gegen die Kindstaufe ist fortan bei Strafe verboten. Der schwäbische Pfarrer kommt aber wieder frei und setzt sich nach Waldshut ab. Dort tauft er an Ostern 1525 den Theologen Balthasar Hubmaier und Dutzende andere. Die Täufergemeinde zählt rasch 300 Gläubige.

Reublin zieht als eine Art wandernder Apostel durch die Lande, missioniert in Rottenburg, Reutlingen, Esslingen. Im Winter 1528 wird er in Straßburg gefangen genommen, arbeitet im Kerker an einem Glaubensbekenntnis, kann später entweichen und flieht mit seiner Frau nach Mähren, wo er sich einer Täufergemeinde anschließt, die in Gütergemeinschaft zusammenlebt. Aus der vormodernen Kommune wird er bald wieder ausgeschlossen, weil 24 Gulden in seinem Privatbesitz gefunden werden. 1531 ist er zurück in Rottenburg. In der Folgezeit trennt er sich von der Täuferbewegung.

Zeitgenossen nahmen Anstand an seinem erratischen Lebenswandel, andere an der „Dürftigkeit seines Glaubens“, so Dejung. „Charakterlosigkeit ist das Mindeste, was ihm nachgesagt wird“, schreibt er, verweist aber auch darauf, dass Reublin für seine Überzeugungen Gefängnis, „grausame Körperstrafen“ sowie das Risiko einer Hinrichtung auf sich genommen habe und „dass die Reformation ohne solche rücksichtslosen Eiferer nicht möglich gewesen wäre“. Reublins „Protestideologie“, wie der Historiker es nennt, sei vor allem als „moralisierende Kritik an den Mächtigen“ zu verstehen. „Sein wesentliches Anliegen war kein religiöses. Wofür er kämpfte, war erstens Entlarvung der Herrschenden und zweitens Gleichheit.“

Der von Reublin getaufte Balthasar Hubmaier, seinerzeit Pfarrer an der Marienkirche in Waldshut, wird zu einem Märtyrer seines Glaubens. Er war der wichtigste Schriftgelehrte des Täufertums, ihr „herausragendster Theologe“ und „gebildetster Anführer“ – so steht es in dem „Mennonitischen Lexikon“ der gleichnamigen Freikirche, die auf die Täufer zurückgeht.

Hubmaier studiert Theologie in Freiburg und später bei Johannes Eck in Ingolstadt, Luthers scharfzüngigem Widersacher. Als Domprediger in Regensburg ruft er dazu auf, die Synagoge zu zerstören und die Juden aus der Stadt zu jagen. „Seine antijudaistische Haltung“, so das Lexikon der Mennoniten, „legte er auch als Anführer der Täufer nicht ab.“

Hubmaier wird Pfarrer in Waldshut

1521 übernimmt Hubmaier eine katholische Pfarrstelle in Waldshut. Noch bevor er den Rebell Reublin kennenlernt, wendet er sich dem Luthertum zu, führt eine neue Messordnung ein und zettelt einen Bildersturm an. Das missfällt den Herrschaften des Hauses Habsburg, zu dessen katholischen Erblanden die Stadt am Hochrhein zählt. Schon im Dezember 1523 verlangen die Habsburger, Hubmaier an den Bischof von Konstanz auszuliefern. Bürgermeister und Rat lehnen das jedoch ab. Der Täufer-Prediger wettert von der Kanzel herab gegen den Heiligenkult, Wallfahrten, Zölibat und Wasserweihe. Er tauft mit Wasser aus dem Stadtbrunnen, das er in einem Melkeimer heranschaffen lässt. Zwei Taufsteine aus den Stadtkirchen lässt er in den Rhein werfen.

Unter den Altgläubigen in Waldshut mehren sich allmählich die Stimmen, den Rebellen doch auszuliefern. Dagegen hätten Frauen protestiert, berichtet der ehemalige Pastor der Baptisten in Waldshut, Wolfgang Burg. Die Anhängerinnen des Verfemten „zogen, teilweise bewaffnet, zum Rathaus und verlangten das Versprechen, dass Hubmaier in der Stadt bleiben durfte“.

Doch der Druck wächst. Im September 1524 begibt sich Hubmaier nach Schaffhausen in das Kloster Allerheiligen, wo Kirchenasyl gilt. Dort verfasst er eine Schrift gegen die gewaltsame Bekehrung zum vermeintlich rechten Glauben („Von Ketzern und iren Verbrennern“). Sein Motto lautet fortan: „Die Wahrheit ist untödtlich“.

Im Spätjahr 1524 kehrt er nach Waldshut zurück, heiratet dort, muss wenig später erneut das Weite suchen. Die Flucht führt ihn nach Zürich, wo ihm die Todesstrafe droht, dann weiter nach Konstanz, Augsburg und Mähren.

Im Juli 1527 lässt ihn sein Intimfeind Ferdinand I., Erzherzog von Österreich, unter dem Vorwurf verhaften, er sei ein Rädelsführer des Aufruhrs. Hubmaier wird auf der Burg Kreuzenstein bei Wien eingekerkert und am 10. März 1528 auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Die Ehefrau lässt der habsburgische Herrscher wenige Tage später in der Donau ertränken. Am Stubentor in der Wiener Altstadt findet sich eine Gedenktafel mit einem mahnenden Zitat aus Balthasar Hubmaiers Schriften: „Christus ist nicht gekommen, dass er metzge, morde und brenne.“

Zu den frühen Glaubensbrüdern Hubmaiers und Reublins zählt Michael Sattler, der um das Jahr 1490 in Staufen im Breisgau zur Welt kommt. 1510 tritt er in das Kloster St. Peter auf den Höhen des Schwarzwalds ein, gewinnt dort aber die Einsicht, dass „der Mönchsstand ein unchristlicher, betrüglicher und gefährlicher sei“. 1523 verlässt er das Kloster, heiratet ein Jahr später eine Begine, Angehörige einer religiösen Laiengemeinschaft. Das Paar zieht nach Zürich, wo sie Wilhelm Reublin und die Täufer kennenlernen.

Pazifisten, bevor dieses Wort erfunden ist

Sie werden bald darauf der Stadt verwiesen und kommen über Horb und Rottenburg nach Straßburg, von wo sie wegen ihres Bekenntnisses 1527 ebenfalls vertrieben werden. Sattler hat gegenüber der städtischen Obrigkeit die Ansicht vertreten, ein wahrer Jünger Christi dürfe sich nicht zum Waffendienst zwingen lassen. Ein Mann aus Sattlers Umfeld erklärt sich zum Wachdienst auf der Stadtmauer bereit. Er wolle dabei auch einen Spieß tragen, aber unter keinen Umständen jemanden töten. Die Täufer fühlen sich dem Pazifismus verpflichtet, bevor das Wort erfunden ist.

Nach der Flucht aus Straßburg kehren Sattler und dessen Frau in die Gegend um Horb und Rottenburg zurück. Im Februar 1527 leitet er ein Treffen der „Schweizer Brüder“, wie sich die Täufer im Süden Deutschlands damals nennen. In Schleitheim nahe Schaffhausen verfasst er die erste programmatische Bekenntnisschrift der Täuferbewegung. Über den alten Glauben, von dem sie sich abwenden, heißt es da: Es sei „offenbar, mit was tausent listigkeit der Teuffel“ sie hintergangen habe. Der erste von sieben Artikeln des Manifests richtet sich gegen „jede Kindstaufe“ – ein Bekenntnis, das „des Papstes höchster und erster Gräuel“ sei.

Obwohl Täufer vielerorts verfolgt werden, mangelt es nicht an Zeugnissen, selbst von entschiedenen Gegnern, die ihnen einen geradezu vorbildlichen Lebenswandel bescheinigen. Der Schweizer Reformator Huldrich Zwingli schreibt in einer Streitschrift wider die Täufer, „dass ihr Leben vortrefflich ist“. Sein Kollege Heinrich Bullinger verurteilt das Täufertum zwar als „unverschampten fräfel“, räumt aber ein: Sie verwerfen Habsucht, Stolz, Gottlosigkeit, unzüchtige Rede und weltliche Unsittlichkeit, Trinken und Völlerei.“ Der katholische Theologe Franz Agricola beglaubigt: Die der Ketzerei Verdächtigen „sind eines gar ehrbaren Lebens, an welchem kein Lügen, Trügen, Schwören, keine Hoffart, sondern Demut, Geduld, Treue, Sanftmütigkeit, Wahrheit und allerlei Aufrichtigkeit vernommen wird“.

Das rettet Sattler aber nicht vor dem Scharfrichter. Am 17. Mai 1527 wird er in Horb gefangen genommen und nach Rottenburg geschafft. Dort werden neun Anklagen gegen ihn erhoben, die ein Bild von seinem Glauben vermitteln. Vorgeworfen wird ihm unter anderem: Er sei ungehorsam gegenüber kaiserlichen Befehlen. Er leugne die reale Gegenwart Christi im Sakrament. Er lehre, dass die Kindertaufe nicht rette. Er predige eine neue Form des Abendmahls. Er behaupte zudem, das Neue Testament verdamme die erzwungene Ehelosigkeit des Zölibats. Und schließlich lehre er, dass die Christen nicht gegen die Türken kämpfen sollten – eine Frage von höchster Aktualität, da sich seinerzeit die erste türkische Belagerung Wiens anbahnt.

„Türcken nach dem Geist“

Den meisten Anklagepunkten widerspricht Sattler nicht. Zum letzten bemerkt er: Die Türken würden gegen die Christen in den Krieg ziehen, weil sie Muslime seien und es nicht besser wüssten. Wer sich aber Christ nenne und Türken töte, sei nicht anderes als „türcken nach dem geist“. Sattler wird verurteilt, dass man ihn „dem hencker in die hand soll geben, der soll ihm die zung abschneiden, darnach auff eyn wagen schmiden und allda zweimal mit glüenden zangen seinen leip reissen“.

Sein Glaubensbruder Reublin berichtet an die Zürcher Täufer: Der Scharfrichter zu Rottenburg habe Sattler „wie eyn ketzer zu pulver geprennt“. Die Ehefrau Margaretha wird einige Tage später im Neckar ertränkt. Sattlers letzte Worte sind wie folgt überliefert: „Ich bin nicht gesandt, über das Wort Gottes zu rechten. Wir sind gesandt, davon zu zeugen. So wir aber uns dem Gericht nicht entziehen können, sind wir bereit, um des Wortes Gottes willen zu leiden, was uns zu leiden auferlegt ist.“

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