Die Verhandlungen über den britischen EU-Austritt stecken in der Sackgasse. Aber im Hintergrund gibt es offenbar Bewegung. Reicht das? Kanzlerin Merkel und ihre EU-Kollegen müssen entscheiden, wie es weitergeht.

Brüssel/London - Im Ringen um einen geregelten Austritt Großbritanniens signalisiert die Europäische Union Zugeständnisse. Möglich wäre demnach eine längere Übergangsfrist nach dem Brexit, um die künftigen Beziehungen in Ruhe auszuhandeln. Vor dem EU-Gipfel am Mittwochabend bestätigten Diplomaten entsprechende Medienberichte. Doch erwartet die EU nach den Worten von Ratschef Donald Tusk auch frische Ideen der britischen Regierungschefin Theresa May.

 

May soll bei dem Brexit-Gipfel mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und den übrigen Staats- und Regierungschefs am Abend ihre Position darlegen. Die 27 bleibenden EU-Staaten wollen dann entscheiden, wie es weiter geht.

Hintergrund ist eine Blockade bei den Verhandlungen über den Vertrag, der den für 29. März 2019 geplanten EU-Austritt Großbritanniens regeln soll. Die Warnungen vor einem chaotischen Bruch mit dramatischen Folgen für die Wirtschaft werden deshalb lauter. Merkel will am Mittwochmittag zunächst in Berlin eine Regierungserklärung zur Europapolitik abgeben.

Längere Übergangsfrist

EU-Chefunterhändler Michel Barnier hatte den Europaministern der 27 bleibenden Staaten am Dienstag nach Darstellung von Diplomaten bestätigt, dass die EU entgegen bisheriger Ansagen zu einer längeren Übergangsfrist bereit wäre. Mit Großbritannien provisorisch vereinbart ist bisher eine Phase bis Ende 2020, in der sich praktisch nichts ändert. Diese könnte den Angaben zufolge ein Jahr länger ausfallen. Über Barniers Äußerungen hatte zuerst die „Financial Times“ berichtet.

Mit einer längeren Übergangsphase hätten beide Seiten mehr Zeit, die anvisierte Handels- und Sicherheitspartnerschaft nach dem Brexit zu klären. Dies könnte helfen, den derzeit schwierigsten Knackpunkt zu lösen: die Frage, wie politisch heikle Kontrollen und Schlagbäume an der künftigen EU-Außengrenze zwischen der Republik Irland und dem britischen Nordirland zu vermeiden sind. Die EU beharrt auf einer Garantie für offene Grenzen, den sogenannten Backstop. May hofft indes, die Grenzfrage im Rahmen einer dauerhaften Wirtschaftspartnerschaft zu lösen.

Austrittsvertrag muss zustande kommen

Voraussetzung für das Inkrafttreten der Übergangsfrist ist jedoch, dass überhaupt ein Austrittsvertrag zustande kommt. Darauf wies auch Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn im Deutschlandfunk hin und betonte: „Der Ball liegt bei Großbritannien.“ Bei den am Wochenende vorerst gestoppten Verhandlungen lag der Vorschlag einer längeren Übergangsphase bereits auf dem Tisch und brachte keinen Durchbruch, wie es aus Verhandlungskreisen hieß.

Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ zitierte auch aus einem internen Bericht der Bundesregierung, dass Barnier bei den britischen Unterhändlern „eine Verlängerung der Übergangsperiode ins Spiel gebracht“ habe. Zur Einigung kam es dennoch nicht. In London dringen kategorische Brexit-Befürworter darauf, die Trennung von der EU so schnell wie möglich zu vollziehen. Der britische Handelsminister Liam Fox äußerte sich in der „Times“ aber positiv über eine längere Übergangszeit.

Der CDU-Außenexperte Norbert Röttgen begrüßte das Angebot aus Brüssel und forderte von der EU insgesamt mehr Pragmatismus. „Ein ungeordneter Brexit wäre eine Katastrophe“, sagte Röttgen in der ARD. Dies bekräftigten vor dem EU-Gipfel auch die europäischen Autohersteller, die nach eigener Darstellung bei einem Brexit ohne Vertrag ihr gesamtes Geschäftsmodell bedroht sehen. „Die Uhr tickt, aber es ist noch nicht zu spät“, mahnte der Branchenverband Acea. Grünen-Europachef Reinhard Bütikofer sieht jedoch schwarz. „Die Wahrscheinlichkeit eines ungeordneten, harten Brexit steigt täglich“, sagte Bütikofer der Deutschen Presse-Agentur.