Das Land nimmt aktuell so viel Geld ein wie noch nie. Doch das reicht nicht aus, um die Ausgaben zu decken. Für einige Ökonomen ist das Grund genug für heftige Schelte, andere sehen die Situation positiver. Am Mittwoch ist der Haushalt Thema im Landtag.

Stuttgart - Jetzt streiten sie wieder. Am Mittwoch wird die Generaldebatte über den Landeshaushalt eröffnet. Der Etat der grün-roten Regierung ist in der Kritik. Einerseits kann der Fiskus Einnahmen verbuchen wie noch nie. Andererseits gibt das Land so viel Geld aus, dass selbst dieser Einnahmenstrom trotz Ausgabenkürzungen nicht ausreicht, um die Zeche zu bezahlen. Wieder muss am Kreditmarkt fremdes Geld beschafft werden. Das nehmen Wirtschaftsexperten zum Anlass für heftige Schelte. Andere hingegen sagen, das Land stehe besser da als alle anderen. Der gemeine Bürger kann – oder muss – sich selbst raussuchen, was er glauben will.

 

„Jetzt brechen alle Dämme“, schimpft zum Beispiel der Steuerzahlerbund und spricht von einem „finanzpolitischen Offenbarungseid“. Die Industrie- und Handelskammer Region Stuttgart hat das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) in Essen beauftragt, die Nachhaltigkeit der baden-württembergischen Etatplanung unter die Lupe zu nehmen. Und siehe da: „Die von der Wirtschaft immer wieder kritisierte Schuldenpolitik des Landes wird durch die Essener Forscher untermauert“, erklärt die IHK zu den Ergebnissen der Studie.

„Dringend und ohne Zeitverzug“ müsse das Land die dauerhafte Unterfinanzierung verringern. Noch sei es nicht zu spät, die vorgesehene Neuverschuldung von 3,3 Milliarden Euro in zwei Jahren abzublasen, sagt IHK-Hauptgeschäftsführer Andreas Richter. Als größtes Problem haben die Essener Forscher die Personalausgaben ausgemacht, genauer: die wachsende Zahl der Versorgungsempfänger und die damit steigenden Belastungen. Dem könnte man, so die RWI-Ökonomen, durch „eine konsequente Übernahme der Reformschritte der gesetzlichen Rentenversicherung für die Beamten“ begegnen. Das würde unter anderem heißen, die Pensionen zu kürzen – die Kriegserklärung an die Beamtenschaft. Grün-Rot ist schon vor viel weniger gravierenden Einschnitten zurückgezuckt, als es im Sommer darum ging, Kürzungspotenzial für den Doppelhaushalt zu finden.

Rasantes Wachstum

Ganz anders hört es sich an, wenn man die Ergebnisse der Wirtschaftsprüfer der PricewaterhouseCoopers AG (PwC) betrachtet. Sie haben die Finanzlage aller Bundesländer und ihrer Kommunen miteinander verglichen. Den PwC-Rechnern ging es um die Spielräume, die zur Finanzierung landespolitischer Wohltaten bleiben, wenn die Länder 2020 wegen der grundgesetzlich verordneten Schuldenbremse keine Kredite mehr aufnehmen dürfen. „Finanzpolitisch am besten aufgestellt sind die Länder Baden-Württemberg und Bayern, die ohne besondere finanzpolitische Anstrengungen die Ziele der Schuldenbremse im Jahr 2020 erreichen können.“ Beide Länder hätten „sogar noch erhebliche Reserven“, so das PwC-Fazit.

Das PwC-Modell beruht allerdings auf einigen strengen Annahmen. Die Länder werden anhand eines Durchschnittswerts verglichen. Ihre Steuereinnahmen werden bis 2020 hochgerechnet; dabei werden jährliche Steigerungsraten von 2,6 Prozent unterstellt. Möglich konjunkturelle Einflüsse bleiben unberücksichtigt. Auf der Ausgabenseite wird so getan, als würden die Finanzierungssalden des Jahres 2011 in neun gleichen Schritten bis 2020 auf null verringert. Ganz wichtig: die Finanzkraft der Länder wird mit der der Kommunen zusammengefasst.

Trotz der künftig massiv wachsenden Last wegen der Versorgung der Ruhestandsbeamten schneidet Baden-Württemberg bundesweit am besten ab: Es hat 2020 am meisten Mittel zur Verfügung, um seine Aufgaben erfüllen zu können. Selbst Bayern kommt nur auf Platz zwei. Bremen hingegen liegt um 31,4 Prozentpunkte unterm Schnitt, was heftigste Konsolidierungseinschnitte bedeutet.

Die Kraft der Kommunen

Das für den Südwesten so günstige Ergebnis erklärt sich auch aus der Einbeziehung der Kommune. Sie sind auch sehr finanzstark und haben schon bisher sparsam gewirtschaftet wie auch das Land. So steckte der Südwesten laut den PwC-Gutachtern im Jahr 2009 zum Beispiel pro Einwohner 122 Euro in seine Polizei. Da war nur Schleswig-Holstein um einen Euro günstiger. Berlin musste sich seine Ordnungshüter dagegen mit 292 Euro pro Einwohner mehr als doppelt so viel kosten lassen. Auch das Rechtswesen ist im Land außerordentlich schlank. 40 Euro pro Einwohner kosten nach den PwC-Zahlen Gerichte, Staatsanwaltschaften und Justizvollzug. In Berlin sind es 142 Euro. Hier spielt auch eine Rolle, dass das Land bei den Notariaten hohe Einnahmen erzielt, womit andere Bereiche mitfinanziert werden – das könnten andere Länder ja auch so organisieren.

Die Politikfelder ließen sich fortsetzen: Bei der politischen Führung und der zentralen Verwaltung ist Baden-Württemberg nach Bayern und Niedersachsen Drittgünstigster; Ähnliches gilt für Sozialausgaben. Nur bei Schulen und Hochschulen macht sich eine gewisse Großzügigkeit bemerkbar. Bei den Hochschulen rangiert der Südwesten auf Position sechs. Im Jahr 2009 hat Baden-Württemberg je Studierendem 9208 Euro zugeschustert. Das waren in Nordrhein-Westfalen nur 8230 Euro, in Niedersachsen 11 485. Bei Schülern liegt das Land auf Platz zwei nach Hamburg. Die Hanseaten schossen je Einwohner 780 Euro für Schulen zu, im Land waren es 728 Euro. Brandenburg ist hier das Schlusslicht mit 530 Euro. Insgesamt halten die Wirtschaftsprüfer die finanziellen Risiken Baden-Württembergs für „sehr gut beherrschbar“.