Vor ihrem Parteitag in Augsburg profitiert die AfD von der Regierungskrise. Anteil am Erfolg hat auch die aggressive Kommunikationsstrategie.

Berlin - Manchmal ist es in der Politik wie im Sport: Man kann allein dadurch gewinnen, dass die anderen Fehler machen. Der Streit zwischen den Unionsparteien im Regierungslager nutzt nicht der im bayerischen Landtagswahlkampf nach rechts gerückten CSU, sondern stärkt im Gegenteil die AfD am rechten Rand.

 

In der jüngsten Umfrage des Instituts Emnid steigt der Wert der Partei auf 16 Prozent, während die Union auf 31 Prozent rutscht und die in dem Streit schweigende SPD bei 18 verharrt. Damit erreicht die AfD den bislang höchsten Wert in dieser Umfrage überhaupt. Nach außen sprechen Parteivertreter wie Vizechef Georg Pazderski davon, dass der unionsinterne Streit ein „Geschenk“ sei. Intern dürfte die Interpretation der aktuellen Entwicklung allerdings eine andere sein – sie wird als Erfolg gewertet, an dem auch die aggressive mediale und kommunikative Strategie der AfD ihren Anteil hat.

Auch die Selbstdarstellung als Opfer gehört zur medialen Strategie der Partei

Denn gezielt und mit erheblichem Aufwand setzt die Partei im Kampf um mediale Aufmerksamkeit auf monothematische Zuspitzung beim Thema Einwanderung und Asyl sowie auf kalkulierte Tabubrüche. Die Umfrageergebnisse legen zumindest den Schluss nahe, dass das derzeit funktioniert: Für die Befragten würde es bei ihrer Wahlentscheidung offenbar keine Rolle spielen, dass die Partei, die inzwischen fünf Jahre alt ist, zu verschiedenen Politikfeldern immer noch kein Programm liefert.

Auch die Partei hat damit keine Eile. Beim Parteitag in Augsburg an diesem Wochenende wird zwar eine kontroverse Debatte über unterschiedliche Rentenkonzepte erwartet, aber mit einer Entscheidung ist nicht zu rechnen. In den parteieigenen Kanälen in den sozialen Medien werden diese Themen mit Sicherheit eine geringere Rolle spielen als die angekündigten Gegendemonstrationen in Augsburg. Auch die Selbstdarstellung als Opfer einer angeblichen Ungleichbehandlung in der Demokratie gehört zur medialen Strategie der Partei – was Vertreter der Parteispitze unter der Hand auch zugeben.

Die AfD schneidet die Nachrichtengebung professionell auf die Anhängerschaft zu

Seit die AfD im Bundestag sitzt, hat sich ihre Medienstrategie professionalisiert – die Fraktion will mit einem eigenen sogenannten Newsroom die Nachrichtengebung auf die Anhängerschaft zuschneiden. Die Hauptkanäle sind die sozialen Netzwerke.

Dort geht es der AfD aus Sicht des Wirtschaftsinformatikers Christian Grimme darum, durch Tabubrüche und zugespitzte Aussagen Aufmerksamkeit zu erregen und damit letztlich im allgemeinen Diskurs die Themenhoheit zu erlangen. „Keine Partei nutzt Twitter und Facebook so professionell und gezielt wie die AfD“, sagt Grimme. Er leitet an der Universität Münster das Projekt „PropStop: Erkennung, Nachweis und Bekämpfung verdeckter Propaganda-Angriffe über Online-Medien“.

Auf Twitter erzeuge die Partei bewusst und aggressiv Aufregung – weil sie hier willige indirekte Adressaten findet. Denn nur drei Prozent der Deutschen sind bei Twitter, aber fast alle Journalisten und Politiker. „Diese Multiplikatoren sind empfindlich für die Tabubrüche und greifen sie auf.“ Auf diese Weise setze die Partei erfolgreich Themen. Die breite Bevölkerung wird dann über die Berichterstattung der Medien erreicht. „Ziel ist es, aus den sozialen Medien zurück ins gesellschaftliche Feld zu kommen“, so Grimme. Zur Strategie gehört es, dass derjenige, der den Tabubruch begangen hat, seine Aussage anschließend entweder relativiert oder sich missverstanden fühlt – so wie jüngst Parteichef Alexander Gauland, der den Nationalsozialismus als „Vogelschiss“ bezeichnet hatte. Für den medialen Erfolg spielt das augenscheinlich keine Rolle: Hauptsache, das Thema ist gesetzt. Andere Parteien, so Grimme, hätten es vergleichsweise schwerer mit Themen auf diese Weise zu landen, wenn sie sich gegen Populismus entschieden.

Die neue Rechte verfügt über viele Influencer in den sozialen Netzwerken

Grimme sagt, es spreche auch viel dafür, dass die AfD gezielt teilautomatisierte Fake-Accounts einsetze, um ihre Botschaften möglichst weit zu verbreiten. Durch die Retweets und das Teilen bei Facebook erschienen die Aussagen dann in den Trends der Netzwerke. Die neue Rechte verfüge auch über vergleichsweise viele Influencer in den Netzwerken, die provozierende Aussagen mit mehr Beinfreiheit machen könnten als beispielsweise Abgeordnete – und so auch Themen setzten. Dabei, so Grimme, sei es auch so, dass klassische Medien seltener als früher eine Lotsenfunktion erfüllten. Im Gegenteil würden soziale Medien oft als Quelle oder Beleg für das Existieren einer Debatte benutzt. Mittelfristig führt diese Dauerbeschallung mit Tabubrüchen und die ständige mediale Wiederholung zu einer Entgrenzung. Dass eine Aussage wie die Gaulands nicht zu Konsequenzen geführt hätte, wäre vor einigen Jahren noch undenkbar gewesen.

Ein anderer Teil der medialen Strategie ist es aus Sicht des Experten auch, den politischen Gegner durch massiven Gegenwind mundtot zu machen. Es gebe die Strategie der persönlichen Verunglimpfung und der Hassrede. „Auf diese Weise kann man andere Meinungen marginalisieren, auch weil die Angegriffenen schweigen.“

Auch auf rechtlicher Ebene versucht die AfD, bestimmte Aussagen und Kritik an ihr zu unterbinden. Als Hebel soll das Neutralitätsgebot dienen, dem Amtsträger – und damit häufig politische Gegner – unterliegen. So versucht die Fraktion in der Hamburger Bürgerschaft derzeit, eine interaktive Plattform zu installieren, auf der Lehrer gemeldet werden können, die sich kritisch zur AfD äußern.

Mit einer Klage versucht die Partei in Berlin, den Regierenden Bürgermeister Michael Müller für eine Aussage zur Verantwortung zu ziehen. Müller hatte via Twitter die stadtweiten Proteste von Zehntausenden Berlinern gegen eine AfD-Demonstration gewürdigt und über den Account des Roten Rathauses geschrieben: „Was für ein eindrucksvolles Signal für Demokratie und Freiheit, gegen Rassismus und menschenfeindliche Hetze.“ Die AfD forderte ihn vergeblich zur Löschung der Aussage auf und hat sich nun ans Landesverfassungsgericht gewendet. Eine Entscheidung steht aus.