Angela Merkel muss beim Flüchtlingsgipfel der EU einen Fortschritt in der Flüchtlingspolitik erreichen. Gelingt dies nicht, wird es eng für die Kanzlerin.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Berlin - Angela Merkel kann es sich nicht leisten, an diesem Montagabend mit leeren Händen ihrem Regierungs-Airbus zu entsteigen. Sie wird die geringsten Erfolge in Brüssel noch als entscheidendes Vorankommen verkaufen müssen. Merkel selbst hat schließlich zugestanden, dass sie sich messen lassen wolle an der Zahl der Flüchtlinge, die in Deutschland um Asyl ersuchen. Diese müssten deutlich und nachhaltig reduziert werden. Dafür sollen jetzt die Weichen gestellt werden.

 

Die Kanzlerin steht unter Zeitdruck: Noch bevor sich die Ergebnisse des Sondergipfels in der Asylstatistik niederschlagen können, werden die Wähler zu beurteilen haben, was sie von Merkels Politik halten und von ihren eventuellen Fortschritten erhoffen: Am kommenden Sonntag steht zwar nicht die CDU-Chefin selbst zur Wahl. Ihre Parteifreunde in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt hoffen aber dringend auf Nachrichten aus Brüssel, die sich als nutzbringend für den Kurs deuten lassen, den Merkel unbeirrt vertritt.

Ohne Arrangement mit der Türkei ist Merkel gescheitert

Die Türkei spielt in Merkels Flüchtlingspolitik eine Schlüsselrolle. Sie soll die Rolle des Pförtners auf dem Weg in die Festung Europas übernehmen. Durch einen solchen Pakt will Merkel die EU-Außengrenzen sichern – und sich damit ersparen, die eigenen Landesgrenzen zu schließen. Der Sondergipfel ist für die Kanzlerin die letzte Chance vor den heiklen Landtagswahlen, Boden gut zu machen auf einem Terrain, das sie viel Ansehen gekostet hat – und die CDU-Wahlkämpfer entscheidende Stimmen kosten könnte. Ziel der Gespräche in Brüssel sei „die vollständige und rasche Umsetzung“ des im November ausverhandelten Aktionsplans mit der Türkei, sagte Regierungssprecherin Christiane Wirtz. Dieses Etappenziel wollte Merkel schon vor zehn Tagen bei dem letzten regulären EU-Gipfel erreicht haben. Ohne ein funktionierendes Arrangement mit der Türkei bricht Merkels Flüchtlingspolitik zusammen wie ein Kartenhaus.

Eine Klage der CSU wäre ein beispielloser Affront

Zuhause wächst der Druck. Ob der Sondergipfel als Ventil taugt, wird davon abhängen, wie tragfähig und erfolgversprechend die erhofften Vereinbarungen sind. Wenn Merkel ihre Kritiker in der eigenen Partei und die unduldsame CSU weiter vertrösten muss, wäre das Sprengstoff für die Krise der Koalition. Sofern es der Kanzlerin nicht gelingt, auf dem von ihr bevorzugten diplomatischen Weg entscheidend voran zu kommen, könnten sich die Heißsporne in München ermuntert fühlen, die Drohung mit einer Verfassungsbeschwerde doch wahr zu machen. Das wäre ein beispielloser Affront. Merkel wäre in einer Weise durch Koalitionspartner brüskiert wie noch kein Regierungschef vor ihr.

Falls in den Verhandlungen mit den EU-Partnern und der Türkei kein Durchbruch zu erzielen ist, würde dies die Debatten über nationale Maßnahmen neu befeuern. Die christdemokratischen Wahlkämpfer hatten insgeheim ohnehin gehofft, dass Merkel rechtzeitig vor dem 13. März symbolische Aktionen in die Wege leitet, um die eigene Handlungsfähigkeit zu demonstrieren. Der Zwang, dies entgegen eigener Überzeugungen zu tun, wird umso größer sein, je weniger sie auf dem Sondergipfel an diesem Montag erreicht.