Im Ausland nennen sie ihn „Fußballgott“, seine bloße Anwesenheit auf dem Platz flößt vielen Gegnern Ehrfurcht ein: Bastian Schweinsteiger ist bereit für das WM-Halbfinale gegen Brasilien, er fühlt sich fit. Vor nicht allzu langer Zeit sah das noch ganz anders aus.

Brasilien - An Erinnerungsstücken aus Brasilien wird es nicht fehlen, wenn Bastian Schweinsteiger nächste Woche daheim in München seinen Koffer auspackt. Er hat in den vergangenen Wochen viele Trikots geschenkt bekommen: eines vom Esporte Clube Bahia, dem Heimatverein seines Münchner Teamkollegen Dante, eines von Flamengo Rio de Janeiro, dem beliebtesten Club des Landes. Und bei der Reise zum Achtelfinale gegen Algerien hat ihm sein alter Spezi Zé Roberto auch noch feierlich das blau-schwarz gestreifte Hemd von Grêmio Porto Alegre überreicht.

 

Jetzt fehlt nur noch ein letztes Andenken an die lange Reise durch Brasilien: der WM-Pokal, der die glanzvolle Karriere von Bastian Schweinsteiger krönen soll.

Die Chancen stehen nicht schlecht. Bis ins Halbfinale hat sich die DFB-Auswahl vorgearbeitet, in Belo Horizonte geht es am Dienstag (22 Uhr/ZDF) gegen den Gastgeber um den Einzug ins Endspiel. An Bastian Schweinsteiger soll es nicht scheitern. „Ich fühle mich gut“, sagt der Mittelfeldspieler: „Ich bin bereit, gegen Brasilien auch mehr als 90 Minuten zu spielen.“

Ein schlecht gelaunter Nationalspieler

Bastian Schweinsteiger (29) fühlt sich also gut, er ist bereit – und noch dazu in sehr aufgeräumter Stimmung, als er erstmals während dieser WM im deutschen Basislager auf dem Podium sitzt. Mit all dem war nicht unbedingt zu rechnen. Noch nicht lange ist es her, dass Körper und Geist in einer ganz anderen Verfassung waren.

Im Trainingslager in Südtirol saß der Münchner in einem Korbstuhl und gab Interviews. Er musste das tun, der DFB hatte zum Medientag geladen. Schweinsteiger war als einziger Nationalspieler zehn Minuten zu spät aus seinem Zimmer gekommen und sichtbar schlecht gelaunt. Das Gespräch lief so: „Herr Schweinsteiger, glauben Sie, dass Sie bald ins Mannschaftstraining einsteigen können?“ – „Weiß ich nicht.“ – „War der Arzt heute schon da, oder kommt er noch?“ – „Der Doc? Weiß ich nicht.“ „Wie würden Sie den Satz vollenden: Deutschland wird Weltmeister, weil . . .“ – „Keine Ahnung.“

Es war die Zeit, als Bastian Schweinsteiger wieder einmal angeschlagen war. Am letzten Bundesligaspieltag hatte er sich am Knie verletzt. Groß waren die Zweifel, ob er rechtzeitig zur WM fit werden würde. Eher nein, so lautete der Tenor in Erinnerung an die EM 2012, als sich Schweinsteiger ebenfalls mit großen körperlichen Problemen durchs Turnier geschleppt hatte. Der Verschleiß, den knapp 500 Pflichtspiele für die Bayern und mehr als 100 Spiele für das DFB-Team verursachen, ist an ihm besonders eindrücklich zu sehen. Die WM hat bisher zweierlei gezeigt: Zum einen waren die Sorgen nicht unbegründet. Die Defizite jedenfalls sind ihm noch immer anzusehen.

Ein Schweinsteiger mit halber Kraft genügt

Bei seinem ersten Auftritt gegen Ghana reichten 20 Minuten, um ihn ans Limit zu bringen. Und auch im Viertelfinale gegen Frankreich bewegte sich Schweinsteiger, genau wie der ebenfalls angeschlagene Sami Khedira, meist in sehr gemäßigtem Tempo über den Platz.

Zum anderen aber hat die WM auch den Beweis erbracht, dass selbst ein Schweinsteiger mit halber Kraft genügt, um zumindest unter die letzten vier Teams zu kommen. „Allein seine Präsenz auf dem Platz ist sehr wichtig und gibt uns Sicherheit“, sagt der Abwehrspieler Jérôme Boateng.

Es ist eine neue Rolle, die Schweinsteiger bei seiner dritten WM übernommen hat. Bei der WM 2006 im eigenen Land, da war er der unbeschwerte Schweini, der über die Flügel stürmte und hinterher lustige Streiche mit Lukas Podolski ausheckte. Vier Jahre später in Südafrika, als sich Michael Ballack kurz vor dem Turnier verletzt hatte, schwang er sich zum Spiritus Rector der jungen deutschen Mannschaft auf. Er war der große Mittelfelddominator und zeigte überragende Leistungen.

In Brasilien ist Schweinsteiger in die Rolle des alten Haudegens geschlüpft, dessen bloße Anwesenheit ausreicht, um beim Gegner Angst und Schrecken auszulösen. Kein anderer deutscher Spieler wird so oft gefoult. Das mag auch an seiner mangelnden Geschwindigkeit liegen, die ihn immer wieder in Zweikämpfe zwingt. Doch spielt auch der gewaltige Respekt der Kontrahenten eine Rolle. Groß ist die Diskrepanz zwischen den Bedenken im eigenen Land und der Bewunderung im Rest der Fußballwelt. Schweinsteiger ist populärer als alle anderen deutschen Spieler. An seinem Status des Weltstars ändert auch der immer öfter streikende Körper nichts. In Brasilien nennen sie ihn ehrfurchtsvoll „Fußballgott“.

Er genießt das Rampenlicht

Also werden sich auch heute wieder alle Augen auf Schweinsteiger richten. Er wird es genießen. „Je erfahrener man ist und je mehr solcher Spiele man gemacht hat, umso mehr saugt man so ein Spiel auf“, sagt er. Schweinsteiger hat fast alles gewonnen, die Champions League, je sieben Mal die Deutsche Meisterschaft und den DFB-Pokal. Nur der WM-Titel fehlt noch. Es könnte seine letzte Gelegenheit sein.

Ob er sich mit diesem Gedanken beschäftige, wird er auf dem Podium gefragt, schließlich werde er ja 30. „Ich bin 29“, antwortet er: „Im besten Alter also. Ich kann sicher noch eine weitere WM spielen.“

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