Vor dem Referendum am Sonntag, 1. Oktober, geht ein Riss durch die katalanische Gesellschaft und teilt sie in diejenigen, die für die Abspaltung von Spanien sind und die, die dagegen sind.

Korrespondenten: Martin Dahms (mda)

Barcelona - Ich habe meiner Schwester gesagt: Lass uns aufhören, über Politik zu reden. Weder du noch ich verstehen besonders viel davon. Aber offenbar geht es gerade nicht anders. Also wird geredet und auch wieder nicht geredet, und am Ende denkt jeder so, wie er vorher gedacht hat.“ Mariola Jiménez ist eine fröhliche 51-Jährige, von der man sich nur schwer vorstellen kann, dass sie sich ernsthaft mit jemandem zerstreiten könnte, am wenigsten mit ihrer Schwester. Aber sie hat ihre Meinung: „Ich werde nicht abstimmen, ob die Wahllokale nun öffnen oder nicht. Denn für mich ist das eine illegale Abstimmung.“

 

Die Abstimmung, an der Mariola nicht teilnehmen will, ist das katalanische Unabhängigkeitsreferendum an diesem Sonntag. Die separatistische Mehrheit im Regionalparlament hat dafür Anfang September nach einer langen, chaotischen und unter vielen Aspekten irregulären Sitzung ein Referendumsgesetz beschlossen, und der Regionalpräsident Carles Puigdmont unterzeichnete danach das notwendige Dekret. „Mir war es peinlich zu sehen, was die Katalanen da machen. Diese Politiker denken, dass sie uns alle repräsentieren, aber sie repräsentieren nur die Unabhängigkeitsbefürworter. Wenn es ein reguläres Referendum gäbe, würde ich mit Nein stimmen. Aber so bleibe ich zuhause.“

Die Regierung tut alles, um das Referendum zu verhindern

Mariolas 54-jährige Schwester Carmen will an diesem Sonntag ganz bestimmt abstimmen. Sie lebt mit ihrem Mann und zwei Söhnen im Badeort Vilanova i la Geltrú, rund 50 Kilometer südwestlich von Barcelona. Die Stadt hängt voller Fahnen, die Werbung für das Referendum und Werbung für das Ja zur Unabhängigkeit machen. Werbung für das Nein ist weder hier noch sonstwo in Katalonien zu sehen. Carmen stimmt für die Unabhängigkeit. „Ich werde mit Ja stimmen, um die PP loszuwerden. Ich halte sie nicht aus. Sie hängen uns einen Maulkorb um, sie setzen uns den Fuß in den Nacken, sie erlauben uns keine Meinungsfreiheit.“

Die PP, über die sich Carmen echauffiert, ist die spanische Volkspartei von Ministerpräsident Mariano Rajoy. Die spanische Regierung tut gerade alles,was sie für rechtsstaatlich vertretbar hält, um das Referendum zu verhindern. Sie hat 10 000 Polizisten nach Katalonien geschickt. Am Donnerstag beschlagnahmten Beamte wieder 2,5 Millionen Stimmzettel und rund 100 Urnen, schon in der Woche zuvor konfiszierten sie an die 10 Millionen Stimmzetttel. Carmen holt einen Stimmzettel hervor, den sie sich selber ausgedruckt hat, damit will sie am Sonntag wählen gehen. Ob sie den Zettel auch in eine Urne werfen kann, weiß sie noch nicht. „Viele werden abstimmen können, aber manche Wahllokale werden geschlossen sein“ – versperrt von Polizisten. Dann werden die Menschen vor den Polizeiketten stehen bleiben und friedlich demonstrieren, stellt sich Carmen vor.

Bisher ist es in Katalonien bemerkenswert ruhig geblieben

Bisher ist es in Katalonien bemerkenswert ruhig geblieben. Aufgeregt war bisher nur eine Demonstration vergangene Woche vor dem katalanischen Wirtschaftsministerium in Barcelona , als dort Polizisten Räume durchsuchten und 14 Mitarbeiter der Regionalregierung vorübergehend festnahmen. „Ich bemerke auf der Straße keine besondere Spannung“, sagt Carmen. „Nun gut: Neulich sah ich eine Szene hier im Ort. Jemand klebte Zettel für das Referendum an die Straßenlaternen, und hinter ihm rissen sie ein paar ältere Männer wieder ab. Jemand rief, das sei eine Schande, jeder solle seine Meinung kundtun können, sie sollten die Zettel kleben lassen. Aber das war‘s. Alles war wie immer, es war Markttag.“

„Wenn ich nicht die Zeitung lesen und fernsehen würde, bekäme ich von all dem gar nichts mit“, sagt Carmens Schwester Mariola. Sie lebt in Cerdanyola, einem Vorort von Barcelona, in dem die Separatisten weniger stark sind als an anderen Orten. „Als ich heute Morgen die Nachrichten hörte, sagten sie: Demonstrationen in ganz Barcelona. Aber als ich dann mit dem Motorrad reingefahren bin, gab’s keine Demonstrationen und keine Polizisten – gar nichts.“ Von schlechter Stimmung spürt sie nichts. „Barcelona ist eine kosmopolitische Stadt, hier kann jeder seine Meinung sagen.“ In den kleineren Städten sei das wohl anders, „da bekommen sie den Wunsch nach Unabhängigkeit von klein auf eingetrichtert“.

Freiwillige, um die Abstimmung durchzuführen, gibt es mehr als genug

So wie etwa in Sant Sadurní d’Anoya, der Hauptstadt des Cavas, des katalanischen Sektes. „Wir gehen ein Risiko ohne Versicherung ein“, sagt Jospe Maria Ribas, der Zweite Bürgermeister von Sant Sadurní. „Wir tun es, weil wir es als richtig empfinden. Aber niemand kann sich sicher sein, nicht die Folgen bezahlen zu müssen.“ Ribas, 56 Jahre alt, ist schon immer Separatist gewesen, auch schon vor 20 Jahren, als nur eine Handvoll Katalanen die Abspaltung von Spanien wünschte. Seine Partei, die Republikanische Linke Kataloniens (ERC), habe sich in dieser Sache nicht bewegt, „die Gesellschaft hat sich bewegt“.

Was am 1. Oktober geschehen wird, weiß auch Ribas nicht. Er stellt sich einen normalen Wahltag vor. Das Rathaus hat der Regionalregierung die vorgesehenen Abstimmungslokale bekannt gegeben, zwei Schulen und drei öffentliche Gebäude. Wo die Urnen dafür sind, die die spanische Regierung gerne vorab einsammeln lassen möchte, um das Referendum zu verhindern, weiß Ribas nicht, aber „am Tag der Abstimmung werden sie da sein, die Wahlzettel auch“. Freiwillige, um die Abstimmung in Sant Sadurní durchzuführen, gebe es „mehr als genug“. Wenn die Polizei kommen sollte, um Urnen und Stimmzettel zu beschlagnahmen, werde es Leute geben, die sich den Beamten entgegenstellen. „Aber auf alle Fälle friedlich. Unser Prozess ist immer friedlich gewesen, auch wenn es die spanische Regierung schmerzt. Für sie wäre es leichter, ihre Strategie zu erklären, wenn es hier Demonstrationen mit dem einen oder anderen Toten gegeben hätte.“

Nach Streit und gewalttätigen Demonstrationen ist auch Mariola und ihrer Schwester nicht gelegen. „Die meisten unserer Freunde sind gegen die Unabhängigkeit“, sagt Carmen. „Da sprechen wir nicht über das Thema. Wir haben alle unseren Standpunkt. Und reden nicht darüber.“ Zumindest bis Sonntag – bis es ein Ergebnis gibt oder nicht.