Fußball-England liegt dem gebürtigen Stuttgarter Starcoach Jürgen Klopp vor dem Spitzenspiel bei Manchester City mehr denn je zu Füßen – aus diesen Gründen.

Sport: Marco Seliger (sem)

Stuttgart - Jürgen Klopp (51) kennt sich gut aus mit dem Gegenpressing, wahrscheinlich sogar so gut wie kein zweiter Fußballlehrer auf diesem Planeten – und so verwundert es nicht, dass er seinen berühmten taktischen Kniff auch nach dem Abpfiff perfekt beherrscht. Das Spielchen nach dem Spiel mit der Öffentlichkeit gehörte schon immer zu Klopps Stärken. In Liverpool hat er es perfektioniert, so wie das Gegenpressing auf dem Platz, bei dem seine Profis nach Ballverlusten Jagd auf die Gegner machen, als wären sie hungrige Geparden auf der Jagd nach einer Antilope.

 

Wenn Klopp also nach 90 Minuten an der Seitenlinie auf dem Pressepodium sitzt, dann steht er immer noch – unter Strom. Gewohnt eloquent und schlagfertig ist er dann, oft lustig, und nur selten wirkt das aufgesetzt. Und manchmal ist Klopp auch kratzbürstig. Der Coach des FC Liverpool weiß um die Wirkung seiner Botschaften, und so kann es schon mal vorkommen, dass er wie neulich ganz bewusst auf Konfrontationskurs geht, um den öffentlichen Duktus für die nächsten Tage zu bestimmen.

Das Spitzenspiel steht an, das großartig auftrumpfende Liverpool ist in dieser Saison noch ungeschlagen und kann bei einem Sieg bei Pep Guardiolas Manchester City an diesem Donnerstag (21 Uhr) den Vorsprung auf zehn Punkte erhöhen. Dann wären die Reds fast schon Meister. Das erste Mal seit 1990. Was für eine Geschichte, bei diesem bebenden Traditionsverein mit diesem bebenden Trainer, dem man dann nicht nur im übertragenen Sinne ein riesiges Denkmal an der Anfield Road bauen wird. Überlebensgroß, mindestens.

So sieht das die breite Öffentlichkeit vor dem Gipfeltreffen bei ManCity.

Klopp sagt vorher im Pressekonferenzraum dann dies: „Ich bin nicht der klügste Mensch der Welt, aber ich bin kein Idiot. Zumindest bin ich das nicht immer.“ Dann folgt das bestens austarierte Gegenpressing, Auge in Auge mit denen, die die Euphorie um Klopp und sein Team ins Land transportieren: „Was Sie hier alles aus dieser Situation machen . . .“ Kurze Künstlerpause. „Ich verstehe ja, dass man momentan nur positiv über uns berichten kann. Aber Sie sind alle die Ersten, die nach einer Niederlage bei ManCity berichten: ‚Werden sie jetzt nervös?‘ Es ist ein leichter Job, und ich wäre gerne an Ihrer Stelle. Aber natürlich immer noch mit meinem Gehalt als Liverpool-Trainer.“

Der Hype in England beginnt schon zu BVB-Zeiten

Da war er also wieder, der Charmeur, der seine Botschaften mit einem Witz garniert, der weiß, dass die Kernaussagen dann besser ankommen. In diesen Wochen heißt die Devise: Ball flach halten. Die Euphorie bordet eh schon über, da braucht es nicht noch mehr. Sonst explodiert bald noch die Anfield Road – wer wüsste das besser als Klopp, der die Basis dafür mit seinem Raketenfußball seit Monaten selbst legt.

Klopp, der Medienprofi, der Menschenfänger. Klopp, der Meistertrainer? In jedem Fall: Er ist der Mann, dem sie auf der Insel aus der Hand fressen.

Der Hype um den großen Blonden ging ja dabei nicht erst los, als er sich auf der Antrittspressekonferenz in einem genialen Moment als der „Normal one“ vorstellte, in Anlehnung an den „ Special one“ José Mourinho. Klopp gab damit wieder den Takt vor. Ich bin ich, ich passe hierher zu den normalen Leuten, ich bin nicht wie dieser Mourinho. Und: Ich bin sogar noch lustiger und hipper, als ihr es eh schon erwartet hattet.

Im Grunde hatte Klopp schon vor seinem Amtsantritt das 1:0 erzielt, in Liverpool selbst baute er dann seine Führung aus. Bei den Fans, bei den Clubeignern, bei der Mannschaft, überall. Klopp kam ja im Oktober 2015 als der Mann, den sie in England schon 2013 verehrt hatten wie kaum einen zweiten Spitzentrainer. Heavy Metal auf dem Platz – so rockte Klopp Borussia Dortmund ins Champions-League-Finale 2013. Nach London. Schon vorher hatten sich etliche englische Fans und Journalisten auf den Weg nach Dortmund gemacht und diesem Irrwisch an der Seitenlinie zugesehen – und später zugehört, als sich sein Humor gerne mal zu beißendem Sarkasmus ausweitete. Eine bessere Steilvorlage hätte Klopp sich auch auf diesem Feld nicht liefern können für seine Zeit auf der Insel, dem Epizentrum des schwarzen Humors.

Sangeseinlage mit Hosen-Frontmann Campino

Jetzt ist Klopp der heißeste Trainer der Premier League – auch aufgrund von Tagen wie diesen, die sich Ende Mai an der Seite von Liverpool-Fan Campino, Frontmann der Toten Hosen, abspielten. Das Champions-League-Finale gegen Real war gerade verloren, da gab Klopp den Takt für die neue Saison vor. Die Botschaft der Sangesgruppe lautete: „We swear we keep on being cool, we’ll bring it back to Liverpool“. „It“, damit war der Champions-League-Pokal gemeint. Der Text empfiehlt, einer Chance nicht nachzutrauern, sondern Neues anzugehen. Gegrölt, getan. Klopp schritt voran. Und ein ganzer Verein folgte ihm – womöglich sogar ein ganzes Land?

Auf die Frage, wie es sich anfühle, der beliebteste Deutsche in England zu sein, antwortete Klopp jüngst: „Das liegt an den Alternativen. Gehen Sie mal nach Manchester und stellen diese Frage noch einmal.“ Gut möglich, dass sich der Reporter schnurstracks auf den Weg gemacht hat.