Der Fall Serebrennikow beschäftigt die russische Justiz und auch die internationale Kunstwelt schon seit Jahren. Dem international gefeierten Regisseur wird Veruntreuung vorgeworfen. Nun soll es ein Urteil geben. Er könnte Jahre hinter Gitter verbringen.

Moskau - Unter großer Anteilnahme von Kulturschaffenden will an diesem Freitag ein Moskauer Gericht im umstrittenen Strafverfahren gegen den russischen Starregisseur Kirill Serebrennikow entscheiden. Zahlreiche russische Künstler veröffentlichten im Vorfeld der Urteilsverkündung Videos, in denen sie ein ungerechtes Justizsystem beklagten. Die Schauspielerin Tschulpan Chamatowa („Good Bye, Lenin!“) sagte etwa unter Tränen: „Wir müssen etwas tun ... für unsere Zukunft, Kinder, für unser Land.“ Die Entscheidung des Bezirksgerichts soll ab 10 Uhr MESZ verkündet werden. Dem 50-jährigen Künstler drohen wegen angeblicher Veruntreuung von Fördergeldern mehrere Jahre Haft.

 

Die Ermittlungen gegen Serebrennikow und mehrere seiner Mitarbeiter laufen seit Sommer 2017. Im vergangenen Jahr kam Russlands bekanntester Filme- und Theatermacher nach mehr als anderthalb Jahren im Hausarrest mit Einschränkungen auf freien Fuß. Der Theatermacher soll 129 Millionen Rubel (1,6 Millionen Euro) unterschlagen haben.

Die Staatsanwaltschaft forderte eine Gefängnisstrafe von sechs Jahren. Zudem solle der 50-Jährige 800 000 Rubel (rund 10 300 Euro) zahlen, hieß es. Der Regisseur beteuerte stets seine Unschuld. Die Verteidigung forderte Freispruch. Auch drei Mitarbeiter sind angeklagt. Sie sollen nach dem Willen der Staatsanwaltschaft in Haft und Geldstrafen bezahlen.

Appelle, Petitionen und Demonstrationen

Das Verfahren steht international als politischer Schauprozess gegen die liberale Kunstszene in Russland in der Kritik. Auch Kanzlerin Angela Merkel sowie internationale Stars hatten sich für den Filme- und Theatermacher eingesetzt. Serebrennikow leitet in Moskau das anerkannte Gogol-Zentrum, inszenierte aber auch in Stuttgart, Berlin und Hamburg. Tausende Kulturschaffende in Russland haben einen Unterstützerbrief für Serebrennikow unterzeichnet.

Auch in Deutschland gab es im Internet Solidaritätsbekundungen unter dem Schlagwort #freekirill. Die Schaubühne Berlin betonte, dass es Anschuldigungen gebe, „die in dem seit 2017 laufenden Strafprozess in keiner Weise belegt werden konnten.“ Man sei „fassungslos und empört“, dass Serebrennikow mehrere Jahre in einem Gefängnis verbringen solle.

Die Schaubühne kündigte eine Aktion am Freitagvormittag (ab 10 Uhr) vor der russischen Botschaft an. Dort wolle man dem Botschafter eine Petition mit mehr als 55 000 Unterschriften übergeben. Auch der deutsche Schauspielstar Lars Eidinger rief zur Demonstration vor der diplomatischen Vertretung auf.

Die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Bärbel Kofler, sagte: „Ich appelliere erneut an die russischen Institutionen, einen objektiven, fairen und transparenten Prozess nach rechtsstaatlichen Grundsätzen zu gewährleisten.“ Der Fall sei auch für die deutsch-russische kulturelle Zusammenarbeit von hoher Bedeutung. „Seine Verurteilung wäre ein besorgnisregendes Signal für die künstlerische Freiheit“, hieß es in einer Mitteilung. Ähnlich äußerte sich ein Sprecher des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell in Brüssel.

Im September wies eine Richterin den Fall wegen Widersprüchen in der Anklage zurück an die Generalstaatsanwaltschaft. Die Anklagebehörde wiederum legte Berufung ein und setzte durch, dass ein anderes Gericht den Fall verhandelt.