Am Sonntag wählen die Italienerinnen und Italiener ein neues Parlament. Die klare Favoritin ist Giorgia Meloni, die Chefin der postfaschistischen Fratelli d’Italia. Ein Ausblick, was von der Wahl zu erwarten ist und wie es danach weitergehen könnte.

Europa blickt nach Rom: Italien wählt an diesem Sonntag ein neues Parlament. Nach dem Aus der Regierung von Ministerpräsident Mario Draghi, die nur noch geschäftsführend im Amt ist, winkt den rechten Parteien ein Sieg. Neue Ministerpräsidentin könnte Giorgia Meloni von der nationalistischen Partei Fratelli d’Italia werden.

 

Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Postfaschistin Giorgia Meloni die Wahlen gewinnt und erstmals eine Frau die italienische Regierung führen wird?

Die Wahrscheinlichkeit ist hoch. Melonis postfaschistische Partei Fratelli d’Italia (FDI) führte in den letzten Umfragen mit 25 Prozent der Stimmen klar vor der sozialdemokratischen PD, die auf 20 Prozent kam. Zusammen mit ihren beiden rechtspopulistischen Bündnispartnern – der Lega von Matteo Salvini und der Forza Italia (FI) von Ex-Premier Silvio Berlusconi – wird der Rechtsblock wahrscheinlich auf etwa 45 Prozent der Stimmen kommen. Weil das Wahlgesetz Wahlbündnisse wie jenes von FDI/Lega/FI bevorteilt und die Parteien der Linken, der Mitte und die Fünf-Sterne-Bewegung sich nicht auf eine Koalition einigen konnten, dürften der Rechtsallianz weniger als 45 Prozent reichen, die zersplitterte Konkurrenz zu schlagen und im Parlament eine komfortable Mehrheit der Sitze zu erringen. In diesem Fall wäre Meloni die Ernennung zur Ministerpräsidentin kaum noch zu nehmen: Ihre Partei wird voraussichtlich mehr als doppelt so viele Stimmen erringen wie ihre Bündnispartner Lega und FI zusammen und damit das Vorschlagsrecht haben.

Sind noch Überraschungen möglich?

Ja – und dass noch ein Rest von Spannung herrscht, liegt nicht zuletzt daran, dass in Italien Umfragen in den letzten zwei Wochen vor den Wahlen verboten sind. In diesen 14 Tagen, in denen der Wahlkampf am intensivsten geführt wird, können sich die Gewichte noch verschieben. Am meisten fürchtet Meloni die Fünf-Sterne-Protestbewegung, die politisch möglicherweise voreilig abgeschrieben wurde: Vor allem im armen Süditalien, wo die Menschen stark unter den massiv gestiegenen Rechnungen für Strom und Gas leiden und wo viele von dem von den Fünf Sternen eingeführten Bürgergeld leben, wird nicht ausgeschlossen, dass die Protestbewegung genug Wahlkreise gewinnen könnte, um der Rechten einen Strich durch die Rechnung zu machen. Meloni will das Bürgergeld abschaffen.

Sollte Meloni scheitern, könnte dann der gestürzte und jetzt noch geschäftsführende Premier Mario Draghi im Amt bleiben und eine neue Regierung bilden?

Das ist theoretisch möglich, aber nicht allzu wahrscheinlich. Sollte die Rechte verlieren, wäre zwar die Bildung einer Regierungskoalition aus den Linksparteien, der Mitte und den Fünf Sternen arithmetisch möglich. Aber ob Draghi noch bereitstehen würde, mit der Fünf-Sterne-Bewegung zu regieren, ist fraglich: Deren Chef, der frühere Premier Giuseppe Conte, war maßgeblich für seinen Sturz im Juli verantwortlich und hatte schon zuvor, zusammen mit der Lega und Berlusconi, die Reformen Draghis torpediert. Draghi hat erklärt, er stehe für eine neue Amtszeit nicht zur Verfügung.

Wie ist es möglich, dass voraussichtlich 25 Prozent der Italiener eine Partei wählen werden, in deren Parteilogo die trikolore Flamme prangt, die das Symbol der italienischen Post- und Neofaschisten war?

Die trikolore Flamme wird in Italien anders wahrgenommen als im Ausland: als harmloses Bekenntnis zu einer zwar unschönen, aber längst überwundenen und für die heutige Demokratie ungefährlichen Tradition. Der Terror, die Kriegsverbrechen, die Rassengesetze und die politischen Verfolgungen der Mussolini-Diktatur sind in Italien kaum aufgearbeitet worden und werden verdrängt. Die wenigsten Wählerinnen und Wähler von Giorgia Meloni wünschen sich die Diktatur zurück, und sie finden es abstrus und demagogisch, wenn diese Gefahr an die Wand gemalt wird. Tatsächlich liegt der Anteil der überzeugten Rechtsextremen, Rassisten und Demokratiefeinde in Italien unter 25 Prozent. Anders sieht das in Melonis Partei aus: In den FDI wimmelt es nur so von unbelehrbaren Duce-Nostalgikern.

Wie rechtsextrem ist Giorgia Meloni?

Giorgia Meloni ist bereits im Alter von 15 Jahren der „Jugendfront“ des postfaschistischen Movimento Sociale Italiano beigetreten und hat seither 30 ihrer 45 Lebensjahre aktiv in solchen Parteien gewirkt. Meloni steht zu der reaktionären Ideologie ihrer Partei. Ihr Motto ist und bleibt „Dio, Famiglia, Patria“ (Gott, Familie, Vaterland) – es war schon der Leitspruch der Mussolini-Diktatur gewesen. In den letzten Monaten hat Meloni zwar versucht, sich einen moderaten und modernen Anstrich zu geben, um die Wähler im Inland und das Publikum im Ausland nicht allzu sehr zu verschrecken, aber das wirkte fadenscheinig. Meloni ist offen nationalistisch, will Italien gegen Migranten abschotten, hat ein Faible für Autokraten wie Viktor Orbán und Donald Trump (aber nicht für Putin) und steht für eine erzkonservative Familien- und Genderpolitik. Fazit: Meloni steht politisch sehr weit rechts – aber als verbohrte Extremistin und Faschistin kann man sie dennoch kaum bezeichnen.

Wie gefährlich wäre ein Wahlsieg Melonis für die italienische Demokratie?

Das hängt davon ab, wie hoch der Sieg ausfallen wird. Als eines der vordringlichsten Projekte bezeichnet Meloni die Einführung eines Präsidialsystems, bei dem die Macht des Parlaments eingeschränkt würde. Dabei schwingt die alte Sehnsucht der italienischen Rechten nach dem „starken Mann“ respektive der „starken Frau“ durch. Für ein Präsidialsystem hatte sich vor vielen Jahren Berlusconi ausgesprochen, und Salvini hatte im Jahr 2019, als er sich als damaliger Innenminister auf dem Höhepunkt seiner Popularität befand, „volle Machtbefugnisse“ für sich verlangt. Meloni hat am Donnerstag bei einem Wahlkampfauftritt mit Berlusconi und Salvini bekräftigt, dass man im Falle eines Wahlsiegs das Präsidialsystem alleine, also gegen die parlamentarische Opposition, durchpauken würde. Im Parlament ist für Verfassungsänderungen jedoch eine Zweidrittelmehrheit erforderlich.