Israels Wähler sind hin und hergerissen. Der Premier punktet mit außenpolitischen Coups, sein Herausforderer mit demokratischen Werten. Am Dienstag fällt die Entscheidung.

Jerusalem - Der Kandidat, der Israels Premierminister werden will, redet mit zu leiser und bedachter Stimme. Aber zumindest spricht er frei. Seine Wahlkampfmanager haben Benny Gantz geraten, dass er so besser rüberkommt, als wenn er die Reden abliest, wie bei seinen ersten Auftritten als Herausforderer Benjamin Netanjahus. Aufmerksam lauscht das Publikum seinen Worten. Die Hochzeitshalle zwischen den Hotelblocks am Strand der Stadt Herzlija ist brechend voll, trotz nasser Sturmböen an diesem Tag.

 

Kann Gantz die Wähler bewegen?

Gantz nimmt sich Zeit, antwortet auf Fragen der Zuhörer. Der frühere Generalstabschef, hochgewachsen und leicht gebräunt, hat seine olivgrüne Uniform gegen ein offenes, weißes Hemd und ein lockeres graues Sakko ausgetauscht. Sein Kampfgeist wirkt leicht unterkühlt. Ab und an erklingt verhaltener Beifall, besonders wenn der Kandidat davon spricht, dass die Regierung Netanjahu es an Respekt für Recht und Gesetz vermissen lasse, dass man mit harter militärischer Hand die Hamas schlagen, aber dann die moderaten Palästinenser beim Aufbau Gazas unterstützen müsse. Dann schwenken seine jugendlichen Wahlkampfhelfer die Israel-Fahnen, nach deren Farben die Gantz-Truppe ihr Wahlbündnis Blau-Weiß benannt hat. Aber echter Enthusiasmus sieht anders aus.

„Das täuscht“, sagt der Arzt Herold G., der wie die meisten Befragten seinen Nachnamen nicht in der Zeitung lesen will. „Die Leute sind begeistert, mit ihm wieder Aussicht auf einen politischen Wechsel zu haben.“ Nily G., eine Bibliothekarin, pflichtet bei. Auch wenn es Gantz an politischer Erfahrung mangele, sei er „ein Führer mit richtigen Werten“ und habe mit Mosche Jaalon und Jair Lapid, zwei ehemaligen Ministern, fähige Leute an seiner Seite. Die Umstehenden nicken.

Ein Kandidat, der links und rechts Stimmen fischt

Seine eigentliche Qualität ist sein Potenzial, als Mann der Mitte bei den Wahlen am Dienstag Netanjahu zu schlagen. Allein aus diesem Grunde kam das Blau-Weiß-Bündnis zustande, bestehend aus drei Zentrumsparteien, die sich ansonsten nicht unbedingt grün sind. Gantz schien der zugkräftigste Spitzenkandidat, unbelastet und populär genug, um rechts wie links Stimmen zu fischen. Bei seiner Wahlveranstaltung in Herzlija sind denn auch Anhänger aller Lager zugegen. „Ich habe mein ganzes Leben Likud gewählt“ – den rechtskonservativen Block des Premiers, bekennt ein Geschäftsmann. „Damit ist es vorbei. Netanjahu ist mit all dem Geld, das er eingesackt hat, zu korrupt.“

Nur, während Gantz im Townhall-Format auftritt oder Protestzelte besucht, macht Netanjahu auf ganz anderer Ebene Wahlkampf. Erst ließ er sich von Donald Trump in Washington die israelische Annexion der Golanhöhen legitimieren. Vergangene Woche gelang ihm in Moskau noch ein Coup. Er dankte Wladimir Putin für eine erfolgreiche Geheimoperation: Die gerade bekannt gewordene Heimkehr des seit 37 Jahren verschollenen Soldaten Zachary Baumel. Die Gebeine des 1982 im Libanon-Krieg Gefallenen waren mit russischer Hilfe in Syrien entdeckt und über die Türkei nach Tel Aviv geflogen worden.

Dass Baumel endlich in heimatlicher Erde bestattet werden konnte, rührte viele Israelis zu Tränen. Ein diplomatisches Meisterstück mit perfektem Timing, das erkannten selbst Kritiker an. Sein außenpolitisches Genie falle vielleicht doch mehr ins Gewicht als alle Korruptionsaffären, heißt es in Kommentaren. Sein Slogan aus dem Vorwahlkampf prangt nun über den zwölf Stockwerken der Likud-Zentrale in Tel Aviv: „Netanjahu, eine andere Liga“.

Die Wahl als Referendum über die Netanjahu-Ära

Dagegen wirkt Gantz blass. Aber verloren gibt er den Kampf nicht. Dazu wurde die von Netanjahus Likud angezettelte Schlammschlacht gegen Gantz zum Bumerang. Den Ex-Generalstabschef als „mental unstabil“ und „Schwächling“ zu verunglimpfen, war auch vielen Stammrechten zu viel.

Die Wahlen sind schlussendlich vor allem eins: ein Referendum über die zehnjährige Ära Netanjahu. In der Zeit hat er sich als Premier zusehends abhängig von den Nationalrechten gemacht. Wie sehr, zeigt seine jüngste Absicht, nach Muster der Golanhöhen die israelische Souveränität auch auf jüdische Siedlungen im Westjordanland auszudehnen, sprich: besetztes Gebiet zu annektieren. „Netanjahu hat seinen Weg verloren“, kontert Gantz, der in Umfragen knapp führt. „Genug Bibi, es ist Zeit zu gehen.“