In Spanien deutet vieles auf einen Regierungswechsel hin. Möglich wäre er jedoch nur mit Unterstützung von ganz rechts.

Korrespondenten: Martin Dahms (mda)

Pedro Sánchez, spanischer Ministerpräsident, warnt die Spanier vor „den Rechtsextremen und der extremen Rechten“. Pilar Alegría, seine Erziehungsministerin, spricht vom „doppelköpfigen Monster“: Der eine Kopf ist die PP, die konservative Volkspartei, der andere Vox, die Partei rechts davon, rechtspopulistisch, rechtsradikal oder rechtsextrem, je nach Blickwinkel.

 

Das ist die Regierung, die auf die Spanier wartet, wenn sie am 23. Juli nicht die Sozialisten (PSOE) oder eine andere Linkspartei wählen. Doch das Schreckbild schreckt die Spanier nicht, jedenfalls nicht die, auf die es ankommt: die Wechselwähler. Alle Umfragen sagen einen deutlichen Sieg von PP (mit gut 30 Prozent der Stimmen) und Vox (rund 15 Prozent) voraus.

Vox ist keine zehn Jahre alt. Die Partei wurde Ende 2013 von ein paar unzufriedenen PP-Politikern gegründet, die sich eine energische Strategie gegen die Zersplitterung Spaniens wünschten. Das war keine Sorge, die viele Spanier teilten – bis zum Herbst 2017, als die katalanische Regionalregierung ein illegales Unabhängigkeitsreferendum organisierte. Die Stimmung im Rest des Landes kippte fast von einem Tag auf den anderen. In Madrid hingen plötzlich Tausende spanische Flaggen an den Balkonen. Die wütenden Spanier fanden bei Vox ihre Stimme. Im Dezember 2018 zog die Partei mit knapp elf Prozent ins andalusische Regionalparlament ein, bei den nationalen Parlamentswahlen im April 2019 kam sie auf gut zehn Prozent, bei den Neuwahlen sieben Monate später auf 15 Prozent.

Vox ist EU-kritisch, will aber keinen Austritt

Nach dem Wahlerfolg in Andalusien rief der damalige Chef der Linkspartei Podemos, Pablo Iglesias, den „antifaschistischen Alarmzustand“ aus. Vox ist aber keine faschistische Partei. Sie huldigt weder dem Führerprinzip (jedenfalls nicht mehr als jede andere spanische Partei), noch setzt sie auf Gewalt als Mittel zum Erreichen politischer Ziele. Vox ist eine rechtsnationalistische Partei mit gelegentlich populistischen Zügen. Der eiserne Kern ihres Programms ist die Einheit Spaniens, die sie durch katalanische und baskische Nationalisten und willfährige Politiker anderer spanischer Parteien gefährdet sieht. Sie ist EU-kritisch, ohne den Austritt aus der EU zu betreiben. Sie hält die illegale Immigration für die Ursache „zunehmender Kriminalität“ (die aber in Spanien nicht zunimmt). Sie wendet sich gegen den „Überlegenheitsfeminismus“ und will „das Leben von der Zeugung bis zum Tod beschützen“.

Wirtschaftspolitisch schwankt sie zwischen ultraliberal und sozialliberal. Der Parteichef Santiago Abascal, ein ehemaliger PP-Politiker aus dem Baskenland, sagte im Oktober 2020 vor dem spanischen Parlament: „Degenerierte Oligarchien verwandeln ganze Nationen in multikulturelle Misthaufen.“ Die Konservativen tun, was sie können, um sich von Vox abzugrenzen, vor allem, indem sie nicht von ihr reden. Das hat aber seine Grenzen. Nach den Kommunal- und Regionalwahlen von Ende Mai gibt es lauter rechte Mehrheiten, die aber nur durch Verhandlungen zwischen der PP und Vox zu handlungsfähigen Mehrheiten werden können. Die PP will, wo Vox sie lässt, allein regieren, scheut aber keine Gespräche mit ihr.

Viele Spanier wollen Sánchez los werden

Es gibt kein Vox-Tabu bei der PP. Das wissen die Wechselwähler. Sie wissen aber auch, dass die PSOE, wo es nötig war, mit der baskischen Bildu verhandelt hat, auf deren Wahllisten Dutzende ehemalige Terroristen und Mörder auftauchten. Sie haben einen linken Koalitionspartner, Unidas Podemos, erlebt, der die spanische Richterschaft als „machistisch“ beschimpft, wenn ihm deren Urteile nicht gefallen, und der regierungskritische Journalisten an den Pranger stellt.

Sie haben einen Regierungschef erlebt, der ein anerkanntes staatliches Sozialforschungsinstitut in ein Instrument seines Machterhalts verwandelt hat. Gefahren für die Demokratie lauern auf vielen Seiten. Dass Vox die größte von ihnen sei, das glauben viele Spanier nicht. Sie wollen erst einmal Pedro Sánchez loswerden. Und nehmen dafür auch das doppelköpfige Monster in Kauf.