Erst wenn ein Anfangsverdacht vorliegt, dürfen Staatsanwälte offiziell ermitteln. Die Prüfung dauert unterschiedlich lange, wie Fälle mit Landesbezug zeigen. Mal wird gleich ein Verfahren eingeleitet, mal wird monatelang untersucht.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Die Anwälte von Stefan Mappus (CDU) beklagten sich bitterlich über seine einstigen Rechtsberater beim EnBW-Deal. Wegen deren falschem Rat, monierten sie unlängst im Prozess gegen die Kanzlei Gleiss Lutz vor dem Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart, habe der Ex-Ministerpräsident viel aushalten müssen – auch ein „dreijähriges Ermittlungsverfahren“ samt Durchsuchung bei ihm daheim in Pforzheim, einem schweren Eingriff in die „Unversehrtheit der Wohnung“. Einen Seitenhieb auf die Stuttgarter Staatsanwaltschaft, die so lange zur Entkräftung des Untreue-Verdachts gebraucht habe, konnte sich der Mappus-Beistand Franz Enderle nicht verkneifen: „Es gibt auch Vorermittlungsverfahren“, dozierte er vor dem OLG; auf diesem Weg könnten die Ankläger niederschwelliger klären, ob die Vorwürfe ausreichten.

 

Tatsächlich gab es auch im Fall Mappus „Vorermittlungen“. Monatelang prüften die Staatsanwälte, ob der EnBW-Deal Ende 2010 ein Anfangsverdacht gegen die Beteiligten begründete – und verneinten dies zunächst. Erst als der Landesrechnungshof detailliert darlegte, wie bei dem Milliardengeschäft gegen die Haushaltsordnung und andere Regeln verstoßen worden war, wurde im Sommer 2012 ein offizielles Verfahren eingeleitet. Im Herbst 2014 endete es mit der Einstellung gegen alle Beschuldigten. Ergebnis: sie hätten zwar ihre Vermögensbetreuungspflicht verletzt, sich aber nicht strafbar gemacht.

Bloße Vermutungen reichen nicht aus

Wie lange wird nur geprüft, ab wann offiziell ermittelt – das ist vor allem bei politisch oder wirtschaftlich brisanten Fällen eine schwierige Frage. So oft da von Vorermittlungen die Rede ist, so wenig findet sich der Begriff in der Strafprozessordnung. Er beschreibt jene Phase, in der Staatsanwälte klären, ob ein Anfangsverdacht vorliegt; nur dann nämlich dürfen sie formelle Ermittlungen einleiten.

Ein solcher Verdacht, erläutert ein Sprecher von Justizminister Rainer Stickelberger (SPD), müsse sich „auf konkrete Tatsachen stützen, die dafür sprechen, dass der jeweilige Lebenssachverhalt eine Straftat enthält“. Nicht ausreichend seien „bloße Vermutungen oder rein denktheoretische Möglichkeiten“. Innerhalb dieser Grenzen hätten die Staatsanwaltschaften einen „Beurteilungsspielraum“.

Lange Prüfung bei EnBW-Verstößen

Wie unterschiedlich dieser genutzt wird, zeigen zwei aktuelle Fälle mit Landesbezug. Als im Frühjahr 2015 durch StZ-Recherchen mutmaßliche Datenschutzverstöße beim Energiekonzern EnBW bekannt wurden, wollte die Staatsanwaltschaft Karlsruhe eigentlich ganz fix sein: Binnen einer Woche werde man entscheiden, ob aufgrund einer Strafanzeige des Landesdatenschutzbeauftragten Ermittlungen eingeleitet würden, kündigte ein Sprecher an. Tatsächlich wurde die unerlaubte Aufnahme von Kundentelefonaten dann wochenlang nur geprüft; mal hieß es, man warte noch auf eine Stellungnahme der EnBW, mal gab es Rückfragen an den Datenschützer. Erst im Herbst bestätigte die Behörde schließlich ein offizielles Verfahren wegen „Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes“, das noch nicht abgeschlossen ist.

Ungleich schneller leitete die Staatsanwaltschaft in Frankfurt am Main im vorigen Sommer Ermittlungen gegen den Präsidenten des Staatsgerichtshofs Baden-Württemberg, Eberhard Stilz, ein. Auslöser war die Strafanzeige eines kritischen Aktionärs der Deutschen Bank, der Stilz’ Tätigkeit als Gutachter für das Geldhaus aufs Korn nahm: Seine Ausführungen zum 925 Millionen Euro teuren Vergleich mit den Erben des Medienunternehmers Leo Kirch könnten Beihilfe zur Untreue darstellen, weil sich der Co-Bankchef Jürgen Fitschen damit von weiterer Strafverfolgung freikaufen wolle. Später wurde das Verfahren, wie von Stilz erwartet, eingestellt. Die Vorwürfe seien „ins Blaue hinein“ erhoben worden und entbehrten „jeglicher Grundlage“, hieß es in der Verfügung. Bestand also nie ein Anfangsverdacht? Doch, doch, versicherte die Sprecherin der Staatsanwaltschaft, man habe dies geprüft und bejaht – aber am Ende hätten die Ermittlungen eben „nicht zu einem (für eine Anklageerhebung erforderlichen) hinreichenden Tatverdacht“ geführt.

Kein Automatismus nach Strafanzeigen

„Es gibt keine Vorermittlungen“, hatte ihre langjährige Vorgängerin leicht unwirsch Medienvertreter beschieden, die den untechnischen Ausdruck benutzten. Genauso wenig aber gibt es einen Automatismus, nach dem Strafanzeigen stets Ermittlungen auslösen. Auch da werde im Rahmen von „Vorermittlungen“ stets geprüft, ob sich aus den Angaben des Anzeigeerstatters oder aus anderen Quellen ein Anfangsverdacht ergebe, sagt der Sprecher Stickelbergers.

Wird das bejaht, kann es gerade für Prominente belastend sein. In der Öffentlichkeit werde bereits die Einleitung von Ermittlungen als Bestätigung des Anfangsverdachtes gewertet, bedauert der Bundesvorsitzende des Deutschen Richterbundes, der Freiburger Oberstaatsanwalt Christoph Frank. Dabei handele es sich erst um den Beginn einer ergebnisoffenen Prüfung, bei der Be- und Entlastendes berücksichtigt werde. Zuweilen entsteht der Eindruck, dass gerade in Fällen von öffentlichem Interesse ein Anfangsverdacht besonders gründlich – und mithin lange – untersucht wird. Doch eine solche Tendenz kann das Justizministerium „jedenfalls in der staatsanwaltschaftlichen Praxis des Landes nicht erkennen“. Unterschiede zwischen der Praxis in den Bundesländern dürfte es dem Ressort zufolge eigentlich nicht geben: Grundlage sei schließlich die bundesweit geltende Strafprozessordnung, die durch „höchstrichterliche Rechtsprechung konkretisiert“ werde.

Einstellung auf über 100 Seiten begründet

Beim OLG Stuttgart wollte der Vorsitzende Richter Heinz Oleschkewitz dem Vorwurf der Mappus-Anwälte, auch Vorermittlungen hätten genügt, übrigens nicht folgen. Objektiv hätten die Staatsanwälte den Untreue-Verdacht ja bestätigt gesehen, nur an der subjektiven Seite, also an der Frage des Vorsatzes, sei eine Anklage gescheitert, sagte Olschkewitz. Zudem erlebe man es „nicht jeden Tag“, dass eine Einstellung derart umfassend, nämlich auf „120, 130 Seiten“, begründet werde.