Hat wirklich derjenige Vorfahrt, der vermeintlich Vorfahrt hat? Der Beschilderung beim Kaufland in Mühlhausen dürfte wohl rechtsungültig sein – und das womöglich schon seit 18 Jahren. Und was sind die Folgen?

Lokales: Wolf-Dieter Obst (wdo)

Stuttgart - Da hat eine Polizeihauptmeisterin aber etwas angerichtet! Seit vielen Jahren sind Tausende Kunden des Kaufland-Einkaufszentrums in Mühlhausen auf dieser abknickenden Vorfahrt unterwegs – und plötzlich, nach einem Unfall mit 7500 Euro Blechschaden, stellt die Beamtin fest, dass die Verkehrsregelung an diesem Ort ungültig ist. Und dass sich die Schuldfrage dadurch kurioserweise umkehrt. Wie konnte es dazu kommen? Und wer schafft jetzt klare Verhältnisse?

 

Nach der Berichterstattung unserer Zeitung herrscht auch bei der Straßenverkehrsbehörde im städtischen Ordnungsamt Alarm. Denn die Beschilderung hinter dem Parkhaus an der Aldinger Straße entspricht nicht dem, was die Behörde ursprünglich im September 2000 genehmigt hatte. „Es ist denkbar, dass besagtes Vorfahrtsschild ohne Anordnung dort angebracht wurde“, sagt Joachim Elser von der städtischen Verkehrsüberwachung, „aber dazu müssen erst alle Anordnungen und Beschilderungspläne der Folgejahre gesichtet werden.“ Es geht um 18 Jahre.

„Rechtlich nicht sauber“

Wer aus dem Parkhaus ausfährt, dem wird nicht nur für den Einkauf gedankt. Ein Verkehrszeichen mit einer nach links abknickenden Vorfahrt gibt dem Autofahrer freie Fahrt nach Hause. Autos, die von rechts aus einer Einbahnstraße kommen, sehen ein Vorfahrt-achten-Schild. Am 13. Juli stieß eine 79-jährige Ford-Fiesta-Fahrerin auf der Hauptroute mit einer 36-jährigen VW-Fahrerin zusammen. Bei der Unfallaufnahme stellte die Polizistin vom Revier Zuffenhausen fest, dass die 79-Jährige trotz Schild gar keine Vorfahrt hatte.

Laut Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrsordnung ist das Vorfahrtszeichen mit abknickender Vorfahrt „immer vor der Kreuzung oder Einmündung anzubringen“. Das Schild steht aber dahinter. Das Vorfahrt-achten-Schild wiederum ist entgegen einschlägiger Vorschriften nicht an einer separaten Stange angebracht, sondern an einen Ausfahrt-Wegweiser geschraubt. „Rechtlich ist die Beschilderungssituation nicht sauber“, sagt Elser.

Das heißt: Eigentlich gilt rechts vor links – und damit wäre die 79-Jährige schuld. Während alle staunen, meldete die Polizistin am 18. Juli dem Ordnungsamt die rechtlich heikle Situation. „Ihr wurde erklärt, dass man das klären wolle“, sagt Polizeisprecher Jens Lauer, „deshalb wurde der Vorgang an die Behörde geschickt.“ Seither ist erst einmal nichts passiert.

Handelsunternehmen prüft Schadensregulierung

Wurde die Beschilderung vom Grundstückseigentümer eigenmächtig aufgestellt? Die Unternehmenssprecherin der Kaufland Stiftung erklärte hierzu, dass ein Verkehrsplaner die Situation überprüfe und gegebenenfalls Änderungen vornehmen werde. Immerhin hat sich ein Schadenservice des Neckarsulmer Handelsunternehmens bei der 79-jährigen Mühlhäuserin gemeldet. Der Dienstleister sei beauftragt, eine Schadensregulierung zu prüfen, und bat um Unterlagen zum Unfall. Joachim Elser von der städtischen Verkehrsüberwachung will „den Vorgang erst genau ansehen, bevor wir entsprechende Schritte ergreifen“. Letztlich sei „die gewünschte Regelung durchaus erkennbar“.

Die 79-jährige Ford-Fahrerin, die nun aber plötzlich schuld sein soll, passiert die Stelle nur zögerlich: „Ich fahre durch und ziehe mein Genick ein“, sagt sie. Für manche Autofahrer ist klar, dass nichts passieren kann, wenn das Vorfahrt-achten-Schild beachtet würde. Die VW-Fahrerin habe dies ja wohl nicht getan. Alles klar also? Dann aber hätte ihr die Polizeihauptmeisterin eine Anzeige mit einem Punkt und 100 Euro Bußgeld aufbrummen müssen. Stattdessen beließ sie es bei einem Unentschieden: Beide Autofahrerinnen bekamen eine mündliche Verwarnung.