Beim Thema Simulation und autonomes Fahren gibt Europa die Richtung vor. Das autonome Auto von morgen braucht robuste Systeme. Virtuelle Welten und Künstliche Intelligenz sind dabei elementar.

Stuttgart - „Die Simulation übernimmt 99 Prozent der Validierung autonomer Fahrzeuge“, sagt Andras Kemeny, Präsident der Europäischen Fahrsimulationsvereinigung Driving Simulation Association, DSA. Mit anderen Worten: Simulation und autonomes Fahren gehören untrennbar zusammen. Es werden immer noch zig Millionen Kilometer in realen Fahrzeugen auf der Straße abgespult, hinzu kommen aber Milliarden simulierter Kilometer. Europa ist auf dem Gebiet der Fahrsimulation führend. Es geht um fortwährendes Verbessern bei der Funktionsentwicklung und um den Nachweis, dass eine ausreichende Qualität erreicht ist, sagt Hans-Peter Schöner, bis vor wenigen Monaten bei Daimler für die Entwicklung von Methoden zum Testen und Validieren von Assistenzsystemen zuständig.

 

„Fahrsimulation ist das Herz und der Motor autonomer Fahrzeuge“, bekräftigt Jacques Delacour, der vor knapp 30 Jahren das Unternehmen Optis gründete. Als Technologieführer entwickelt Optis Software für Virtuelles Prototyping, so auch eine fotorealistische VR-Simulationsplattform, die physische Prototypen für viele Entwicklungsaufgaben ersetzt. „Ohne Simulation ist kein autonomes Fahren möglich“, bringt Kemeny es auf den Punkt. Das Zusammenspiel Simulation und autonomes Fahren während der Entwicklung sei zwingend, auch für den Aufbau Künstlicher Intelligenz durch das so genannte Deep Learning. „Wir treiben all diese Entwicklungen voran; die bei der Driving Simulation Conference vertretenen Personen sind die Koryphäen auf dem Gebiet der Simulation.“ Als Megatrend haben sie seit zwei Jahren die Virtuelle Realität (VR) ausgemacht. In ihr kann sich der Entwickler oder Proband in eine virtuelle Welt begeben und darin zukünftige Funktionen risikolos testen.

Simulation verbessert die Interaktion zwischen Mensch und Maschine

Wie kann man mit Simulation die Interaktion zwischen Mensch und Maschine verbessern? Alle großen Hersteller haben hier mit der Fahrsimulation über Jahrzehnte Erfahrungen gesammelt. Diese Aufgabenstellungen bleiben, aber gewaltige neue kommen hinzu. Beim Entwickeln autonomer Fahrzeuge hat nicht mehr der Fahrer die Aufgabe zu fahren, sondern die Software. Um die Software in allen erdenklichen – auch seltenen oder kritischen – Verkehrssituationen zu erproben, werden die Szenarien in der Simulation durchgespielt und dabei eine Vielzahl von Parametern variiert.

Die virtuellen Welten des Fahrsimulators, wie sie dem Fahrer dargeboten werden, um seine Interaktion mit dem Fahrzeug zu erproben, können beibehalten werden. Während jedoch für den Menschen als Fahrer im Simulator Merkmale wie Geräusche und die Bewegung des Fahrsimulators wichtig waren, ist die Herausforderung nun eine andere. „Wir müssen allen Sensoren, die im Fahrzeug sind, die virtuelle Welt abbilden“, beschreibt Schöner die Aufgabenstellung.

Radar, auf Laserstrahlen beruhende Lidar-Sensorik und Kameras sind die drei wesentlichen Sensortypen, die im autonomen Fahrzeug eine Rolle spielen. Ganz wichtig dabei die Erkenntnis der erfahrenen Simulationsexperten: Nicht alles muss physikalisch bis ins kleinste Detail simuliert werden. Es sind die Effekte, die auftreten können, die zwingend simuliert werden müssen. „Damit ist eine Absicherung der Software möglich: reagiert sie richtig, reagiert sie schnell genug, ist die Kombination meiner Sensoren so, dass sie mögliche Defizite der einzelnen Sensoren kompensiert“, sagt der an der RWTH Aachen promovierte Elektroingenieur. Um Wahrnehmungsgrenzen der Sensoren auszugleichen, spiele zudem die Kartierung eine ganz wichtige Rolle. Mit ihrem Vorwissen ist sie insbesondere dann entscheidend, wenn das Blickfeld von Sensoren behindert ist oder mehrere unterschiedliche Sensoren zu keinem konsistenten Ergebnis kommen.

Die Systeme müssen redundant sein

Die permanente Frage im Zusammenhang mit autonomen Autos lautet: Wie gut ist gut genug? Und wie können wir nachweisen, dass die Systeme tatsächlich gut genug sind? Simulation und autonomes Fahren sind hier untrennbar.

Um wirklich gut zu sein, brauche es eine Redundanz der Systeme, und zwar eine diversitäre. „Sie brauchen unterschiedliche Technologien, die mit unterschiedlichen Frequenzen im elektromagnetischen Spektrum arbeiten, vielleicht zusätzlich Ultraschallsensoren, die auf ganz anderer Technik aufbauen“, erklärt Schöner.

Technisch gibt es kein System, das jederzeit und unter allen Bedingungen vollkommen fehlerfrei funktioniert. Trotzdem ist der Anspruch an komplexe Systeme, dass sie für den Menschen nur ein vernachlässigbares zusätzliches Risiko darstellen. Im heutigen Straßenverkehr ist das Unfallrisiko relativ hoch. Etwa alle zehn hoch fünf Fahrstunden geschieht ein mittelschwerer Unfall, ohne dass dies in der Gesellschaft ein Gefühl übermäßiger Bedrohung auslösen würde.

Das autonome Fahren wird aber nur Akzeptanz finden, wenn es Risiken deutlich verringert. „Eine Verbesserung auf einen Unfall alle zehn hoch sechs Stunden wäre ein großer Erfolg. Bei solchen Referenzzeiten lässt sich das fertige Gesamtsystem nicht während der Entwicklung auf seine Sicherheit überprüfen. Das geht nur mit einem systematischen Systementwurf und mathematisch logisch strikter Ableitung von Versagens- und Schadenswahrscheinlichkeiten. Dabei spielt die Simulation eine entscheidende Rolle“, sagt Schöner.

Simulation und autonomes Fahren brauchen Künstliche Intelligenz

„Der Mensch ist darauf trainiert, fehlertolerant zu sein. Robuste technische Systeme sind das auch“, sagt der Daimler-Mann. Autonome Fahrfunktionen dementsprechend zu entwickeln, das sei die große Herausforderung. Wie ist die Interaktion im Gesamtverkehr, damit der kleine Fehler, das kleine Risiko, das der einzelne Fahrer eingeht, durch alle anderen – also auch durch das autonome Fahrzeug – kompensiert wird und trotzdem eine genügend sichere Gesamtverkehrssituation rauskommt; diese Balance zu finden, dabei helfe die Simulation.

Simulation unterstützt auch die Entwicklung der Künstlichen Intelligenz (KI), berichtet Emmanuel Chevrier, Chef von AV Simulation. Deep Learning als eine Methode der KI wird genutzt, um Algorithmen zu trainieren, beispielsweise darauf, Formen wie Menschen oder Stoppschilder zu erkennen, nicht aber darauf, sie Entscheidungen treffen zu lassen. Erst die Simulation ermögliche eine robuste Nutzung der KI, denn sie mache sie vorhersehbar. „Wir stecken das neuronale Netzwerk in den Simulator, kreieren Millionen von Szenarien und erstellen Statistiken darüber, was die KI tatsächlich macht“, so Chevrier.

Gleichzeitig werde Deep Learning durch die Simulation verbessert. Deep Learning, im Grunde genommen ein Verfahren, das die KI belohnt, wenn sie eine gute Entscheidung trifft und sie bei einer falschen Entscheidung bestraft, kann via Simulation diese Strafen und Belohnungen millionenfach geben. Dadurch wird der Algorithmus hinter der KI verbessert.

Die richtigen Technologie-Partner zu finden, darum wird es für die Hersteller gehen, wollen sie die technologische Speerspitze bei Fahrsimulation und VR bleiben. Für das Schmieden passender zukunftsorientierter Ökosysteme ist die Fahrsimulationsvereinigung DSA das perfekte Wissenscluster.

Expertentreffen DSC zur Fahrsimulation

Der international renommierte Simulationsexperte und einer der Pioniere auf dem Gebiet, der Franzose Andras Kemeny, hob die europäische Driving Simulation Conference, DSC; im Jahr 1995 aus der Taufe. Passenderweise tagte die Crème de la Crème der Simulation in Sophia Antipolis, einem der ältesten Technologie- und Wissenschaftsparks weltweit und französisches Pendant zu Amerikas Silicon Valley. Als neuesten Trend diskutierten die Teilnehmer schon damals über Konvoi-Systeme, unterdessen besser bekannt als Platooning.

Die DSC ist ein Magnet für Wissenschaftler aus der ganzen Welt. Sie verfolgt den Schulterschluss zwischen Wissenschaft und Industrie als Wegbereiter für die Weiterentwicklung und die anwendungsorientierte Forschung auf dem Gebiet der Fahrsimulation und der Virtuellen Realität. Bahnbrechende Neuerungen werden zuerst während der DSC vorgestellt, so die großen neuen Hochleistungsfahrsimulatoren der vergangenen drei Jahre von Nissan, Renault und BMW. Die verwendete Software ist häufig SCANeR, die Kemeny vor 25 Jahren entwickelte – eine Pionierleistung, die inzwischen mehrere ähnliche Simulationswerkzeuge europäischer Entwickler nach sich gezogen hat.

Mit der Gründung der Driving Simulation Association, DSA, vor drei Jahren hat das immer wichtiger werdende Thema Simulation und autonomes Fahren zusätzlich ein Forum, um ihre Erkenntnisse ganzjährig auch außer halb der DSC zu propagieren. Im gleichen Jahr beschlossen Kemeny und der Organisationsausschuss am Rande der DSC beim Max Planck Institut in Tübingen, dass die Simulationselite ihre Jahreskonferenz ab sofort abwechselnd in Frankreich und Deutschland austrägt. Im nächsten Jahr treffen sich Wissenschaft und Industrie somit wieder in Deutschland, und zwar in Sindelfingen bei Stuttgart.