Journalisten, das weiß jedes Kind, haben einen lauen Job: Es passiert immer genau so viel, wie in die Zeitung hineinpasst. Wie es darum im kommenden Jahr aussehen wird, erfahren Sie hier in einem nicht ganz ernst gemeinten Ausblick auf 2013.

Stuttgart - Wird der Sommer 2013 trocken und heiß wie der vor zehn Jahren? Kommt der Weltuntergang vielleicht am 30. Mai, nachdem es am 21. Dezember damit nicht geklappt hat? Eröffnet der Papst neben seinem Twitterkonto einen Modeblog („Keine roten Schuhe in Monaten ohne R“) oder doch eine Herrenboutique in Wuppertal? Ehrlich gesagt, wir haben keine Ahnung. Aber welcher Journalist mit Berufsehre wird sich schon auf Ahnungen verlassen, wenn ihm Termine zur Verfügung stehen? Die Redaktion hat die zehn heißesten Daten im neuen Jahr für Sie ausgewählt. Hier sind sie:

 

1. Januar: Neufassung des Schornsteinfeger-Gesetzes

Manche weigern sich ja standhaft zu glauben, dass es Glück bringt, sich an der rußgeschwärzten Dienstkleidung eines Kaminkehrers schwarze Finger oder Schlimmeres zu holen. Viele haben aber die Erfahrung gemacht, dass so eine Begegnung einen schnell und erfolgreich von überflüssigem Geld befreit. Beides könnte sich ändern mit dem Inkrafttreten der Neufassung des Schornsteinfeger-Handwerksgesetzes (SchfHwG). Von Neujahr an kann man frei wählen, wer einem mal so richtig die Abluftwege reinigen soll, und statt des gewohnten Bezirksschornsteinfegers zur Abwechslung mal einen aus dem Ausland ins Haus bestellen. Der Preis ist frei verhandelbar. Danke, EU!

20. Januar: US-Präsident Obama legt den Amtseid ab

Viele Fragen begleiten Barack Obama, den im November wiedergewählten Präsidenten der Vereinigten Staaten, in seine zweite Amtszeit. Wird es ihm gelingen, die nächste „Finanzklippe“ zu umschiffen? Werden sich die 25 Prozent seiner Landsleute, die glauben, er sei in Wahrheit kein Amerikaner, vom Gegenteil überzeugen lassen? Wird er sich in eine Syrien-Intervention hineinziehen lassen? Wird er den Amtseid unfallfrei hinkriegen? Das Allerwichtigste: Wird Michelle zur Vereidigungszeremonie wieder etwas Grünes anziehen?

7. März: Die "Fantastische Welt von Oz" kommt ins Kino

Ganz schön schlau, die bei Disney: Die Hauptfigur des 3-D-Animations-und-Ausstattungs-Abenteuers für 2013 heißt Oscar Diggs. Oscar! Da muss das doch was werden mit mindestens sieben Nominierungen für die Academy Awards. Nein, im Ernst: bei dem Film – einer ehrgeizigen Kombination von Animation und realen Darstellern – ist Riesen-Rummel programmiert. In der Geschichte des Möchtegern-Zauberers Diggs (James Franco), den ein Wirbelsturm aus dem beschaulichen Kansas ins Land Oz versetzt, wo die Vorgeschichte des Kinderbuchklassikers „The Wizard of Oz“ ihren Lauf nimmt, spielen Rachel Weisz („Der ewige Gärtner“), Mila Kunis („Black Swan“), und Michelle Williams („Meine Woche mit Marilyn“) drei schöne Hexen, Regie führt Sam Reimi („Spiderman“-Trilogie) – und das Produktionsdesign stammt von Robert Stromberg. Der hat nichts mit dem von Christoph Maria Herbst verkörperten Bürohengst zu tun, sondern verhalf auch schon „Avatar – Aufbruch nach Pandora“ zu seiner bezwingenden Optik.

2. April: Die Mainzelmännchen feiern ihren 50.

Wir dachten, das würde nie geschehen. Die Mainzelmännchen fünfzig! Der faule Anton, der fleißige Berti, der musische Conni, der schlaue Det, der schelmische Edi, das sportliche Fritzchen, die „kichernden, keckernden“ (so oder ähnlich K.H. Bohrer) Begleiter unserer Kindheit, alle fünfzig! Ist es denn die Möglichkeit? Der tolle Jahrgang 1963 kommt 2013 ins Graue-Schläfen-Alter (darunter, hüstel, die Verfasserin dieser Vorschau) und bleibt dabei ewig jung, im Herzen . . . Was bei Anton, Berti, Conni, Det, Edi und Fritzchen bedeutet, dass sie sich zwischendurch mit wesentlich jüngeren Damen (den Mainzelmädchen Lea & Zara) umgeben und ihrem Hund einen unfassbar albernen Namen gegeben haben („Guudnberg“, geht’s noch?). Wir verkneifen uns den hässlichen Ausdruck „Midlife-Crisis“ ebenso wie den Hinweis, dass bei ihrem 2003 absolvierten kollektiven Face-Lifting schwer was schiefgegangen ist: Manga-Augen statt Mang-Nase, sozusagen. Praktisch all das haben sie mit Johnny Depp gemein (okay, ohne die Augen; aber er hat seine Hunde „Red“ und „Blue“ genannt). Bei dem ist es am 9. Juni so weit. Und auf den letzten Drücker, so lang die „4“ vorn stand, hat er schnell noch Vanessa Paradis, der Mutter seiner zwei Kinder, Tschüs gesagt. Um sich kurz drauf knutschend mit Amber Heard zu zeigen. Die ist 26. Er soll ihr ein Pferd geschenkt haben. Da drängt sich eine ARD-ZDF-Kooperation doch geradezu auf: „Vom Leben gezeichnet – Depp und die Mainzelmännchen treffen Äffle und Pferdle“. In Faaabe!

16. Juni: Aktionstag Deutschland - Mobil ohne Autor

Vielleicht ist es Ihnen als Bewohner des Mittleren Neckarraums noch nicht so aufgefallen, aber jedes Jahr am dritten Sonntag im Juni heißt es „Mobil ohne Auto“. In Baden-Württemberg machen laut Veranstaltern 250 000 Teilnehmer an 150 Orten mit. Zuffenhausen und Untertürkheim sind nicht darunter. Die dort ansässigen Autoschmieden tragen das ihre zur CO2-Bilanz bei und erfreuen ihre Kunden, oder sagen wir, einige ihrer Kunden, im neuen Jahr mit dem, was sie sich so unter Ökofahrzeugen vorstellen: im Juni mit dem Mercedes SLS AMG Electric Drive und Ende des Jahres mit dem Porsche 918 Spyder. Der eine kommt mit vier Elektromotoren und Formel-1-Technik auf 750 PS und wird für 416 500 Euro zu haben sein. Der andere ist etwas weniger preisgünstig (768 026 Euro), hat 795 PS und kombiniert V8-Benzinmotor und Elektroantrieb. Die Auflage des Hybrid-Porsche ist auf 918 Exemplare limitiert, und wer sich eins davon bestellt, bekommt zur Überbrückung der Wartezeit ein Sondermodell des 911 Turbo S.

Juni: Das Royal Baby tut seinen ersten Schrei

Das hier ist eine Vorschau, insofern wirkt es vielleicht ein bisschen komisch, wenn vom soeben zu Ende gehenden Jahr die Rede ist. Aber manche Dinge müssen einfach mal raus. Was sind wir beschimpft worden, wie hat man sich über uns lustig gemacht! Nichtigkeiten würden wir aufblasen, unsere Leser mit Nachrichten belästigen die überhaupt keine seien, sondern Blähungen des Boulevard. Und warum? Weil wir, zusammen mit all denen, die „diese Klatschblätter“ nur beim Zahnarzt, die „Gala“ nur im Flugzeug und die „Bunte“ nur beim Frisör lesen, monatelang die Kleiderwahl von Herzogin Kate daraufhin inspiziert haben, ob sich darunter endlich ein Babybäuchlein verbergen könnte. Das ist nun erst einmal nicht mehr nötig. Wenn die Kollegen von der Yellow Press richtig gerechnet haben, müsste der kleine Prinz oder die kleine Prinzessin im Rosenmonat das Licht der Welt erblicken. Vorausgesetzt, die mit den „Royal-Baby“-Tassen, den Wetten auf Geschlecht und Namen des königlichen Sprösslings und die anderen Auguren haben sich nicht zu früh gefreut. Aber das Beste hoffen wird man ja dürfen, und die Taufe wird sicher zum Niederknien. Hach.

29. Juni: Startschuss zur Tour de France

Zurück zu den wirklich wichtigen Dingen des Lebens: 2013 fegt zum hundertsten Mal die Grand Boucle über die Straßen zwischen Porto Vecchio und Paris, zwischen Saint Malo und Nizza. Und es wird eine ganz arg saubere Tour sein, garantiert, denn das Thema Doping ist ja mit Lance Armstrong aus dem Radsport exorziert worden. Das Stärkste, was die Fahrer an leistungsfördernden Substanzen zu sich nehmen, wird Fencheltee und Pferdesalbe sein. Endlich können die Zuschauer unbeschwert die übermenschlichen Anstrengungen stahlharter Männermuskeln genießen, ohne andauernd von der quälenden Frage gepeinigt zu werden, ob das nun alles mit rechten Dingen zugeht. – Wie bitte, die Frage hat die Zuschauer bisher auch nicht besonders gepeinigt? Na dann.

10. Juli: Die Frauen Fußball-EM wird angepfiffen

Sportlich geht’s weiter. Die Schmach von Wolfsburg muss und kann überwunden werden, Japan spielt zum Glück nicht mit, und das schwedische Publikum baut vielleicht nicht ganz so viel Druck auf die Rekord-Titelverteidigerinnen auf, wie es 2011 bei der Heim-WM passiert ist. Allerdings ist der alte Rivale Norwegen Gegner in der Gruppenphase . . . Manche Redaktionen sollen sich schon wahnsinnig auf die Bilder vom Torjubel freuen und eifrig an Schlagzeilen über „schöne Schwedinnen“ und die „blonde Gefahr“ feilen, während sie lustige Bemerkungen über Trikottausch und Manndeckung wechseln. Die einschlägigen Sammlungen „fieser Chauvisprüche“ sind ebenfalls schon in der Mache. Die Spielerinnen werden es hoffentlich so gelassen nehmen wie Birgit Prinz, die einmal sagte: „Wenn jemandem Frauenfußball nicht gefällt, habe ich da überhaupt kein Problem damit. Soll er ihn sich eben nicht ansehen.“ Jedenfalls wird sich zeigen, ob die fähnchenschwenkende neue Massenbegeisterung für Frauenfußball, die Deutschland vor zwei Jahren ergriffen hatte, nicht doch nur ein Strohfeuer war.

September: Bundestagswahl und Landtagswahl in Bayern

Im September, am 15. oder am 22., ist es endlich so weit: der Wahlkampf ist zu Ende. Ach was, im Dezember wählt ja noch Hessen. Aber dann ist Ruhe. Vielleicht ein Vierteljahr, denn im Herbst 2014 sind wieder Sachsen, Thüringen und Brandenburg dran. Wäre das erholsam: eine Zeit ohne Klientelbeglückung, Fensterreden, Politiksimulation für die Galerie. Aber nein, natürlich reicht es nicht, dass das ganze letzte Jahr gezeichnet war vom Ringen ums Betreuungsgeld und von Talkshows über das Ringen ums Betreuungsgeld, von Parteitagsinszenierung, Kandidatenkür mit Applaus bis zum Karpaltunneltrauma, Scheindebatten und Gertrud Höhler auf jedem TV-Sofa, das bei drei nicht auf dem Baum war. Nein, damit muss ein weiteres geschlagenes Dreivierteljahr verplempert werden: Steinbrück tut so, als wäre er Sozialdemokrat. Merkel schwört auf konservative Erneuerung und umgekehrt. Seehofer redet Hauptsache irgendwas. Die Grünen finden sich klasse. Die FDP hält die Freiheitsrechte so hoch, dass keiner mehr drankommt, sie selbst auch nicht. Die Piraten lernen immer noch Politik, das aber gern mal mit lautem Vorsagen. Und irgendwann wird die Linkspartei schon auch wieder anfangen, ihrem Daseinszweck nachzukommen und sich an der SPD abzuarbeiten. – Und wozu das alles? Damit am Ende Große Koalition herauskommt.

10. Dezemebr: Philip Roth bekommt den Literaturnobelpreis

Das ist natürlich ein schaler Scherz beziehungsweise hoffnungsloses Wunschdenken. Der Schriftsteller Philipp Roth, die letzte der wirklichen Grand Old Schachteln der US-Literatur des 20. Jahrhunderts, hat vor ein paar Wochen – wohl mit Blick auf seinen Achtzigsten im März 2013 – seine Leser mit der Ankündigung verschreckt, er habe genug Bücher geschrieben, jetzt sei Schluss. Dabei hatte er sich zuvor gelegentlich auch schon überzeugt gezeigt, mit seiner Generation ende dieses ganze Modell literarischer Öffentlichkeit als Diskursraum von Autor, Kritiker und Leser, das einiges dazu beigetragen hat, die freien Gesellschaften des Westens halbwegs zu zivilisieren. Das wirkt so trübselig wie arrogant, ist aber vermutlich genau die Sorte heroischer Selbstverortung, die einen befähigen kann, dranzubleiben und immer weiter zu machen (vergleiche Günter Grass). Und wenn Ende des neuen Jahres dann doch wieder jemand in Stockholm den Lorbeer aufs Haupt gedrückt bekommt, bei dessen Namen alle erstmal fragen müssen, wie man den buchstabiert, wäre der Ansporn womöglich noch größer. Insofern nehmen wir das Wunschdenken zurück. Vielleicht wäre Bob Dylan doch der geeignetere Kandidat.