Die einen lieben ihn, die anderen hassen ihn: den noch relativ jungen Hessen-Tatort mit Ulrich Tukur, der nie wie ein gewöhnlicher Krimi daherkommt. Auch an diesem Sonntag setzen die Tatort-Macher wieder auf Extreme.

Digital Desk: Anja Treiber (atr)

Stuttgart - Die einen Tatort-Fans lieben ihn, die anderen hassen ihn: den noch relativ jungen Hessen-Tatort mit Ulrich Tukur, der nie wie ein gewöhnlicher Krimi daherkommt. Auch an diesem Sonntag wagen die Tatort-Macher wieder einen besonderen Film. „Im Schmerz geboren“ (Sonntag, 12. Oktober, 20.15 Uhr im Ersten und in der ARD-Mediathek) verbindet Züge eines Shakespeare-Melodrams mit Elementen altmodischer Wild-West-Filme und einem spannenden Krimi-Plot.

 

Klingt ungewöhnlich? Das ist es auch. Der Hessen-Tatort mit Ermittler Felix Murot (Ulrich Tukur) ist in jeder Sequenz extrem und mutig inszeniert. Viele Szenen driften ins Groteske ab, unterstützt durch die starke klassische Filmmusik, die vom Sinfonieorchester des Hessischen Rundfunks zum Teil eigens für den Tatort eingespielt wurde. Für den ein oder anderen Tatort-Fan ist das sicher ein Kulturschock. Wer sich allerdings auf diese Machart eines Sonntagabendkrimis einlassen kann, wird mit feinsinniger Fernsehunterhaltung belohnt.

Nicht nur für den Bildungsbürger

Die Handlung nach dem Drehbuch von Michael Proehl führt den Zuschauer in die Vergangenheit des Wiesbadener LKA-Ermittlers Felix Murot (Ulrich Tukur). In den wilden Siebzigern hat der mit seinem besten Freund auf der Polizeischule, Richard Harloff (Ulrich Matthes), und einer Frau in einer Ménage à trois gelebt. Das ging so lange gut, bis Harloff hinausgeworfen wurde, weil er bei einem Einsatz Drogen unterschlagen hat. Er wanderte mit der von den beiden Männern geliebten Frau nach Südamerika aus und begann eine steile Karriere als Drogenbaron – ehe er nach mehr als dreißig Jahren gemeinsam mit seinem Sohn, dem Profikiller David (Golo Euler), nach Deutschland zurückkehrt, um mit Murot eine alte Rechnung zu begleichen. Dabei wird kaltblütig gemordet.

Dem Regisseur Florian Schwarz ist es zwar gelungen, mit ungewöhnlichen, manchmal auch verstörenden Stilmitteln unterschiedlicher Genres ein feinsinniges Gesamtkunstwerk zu komponieren. Aber diejenigen, die den Tatort nur gut finden, wenn sie vom Wohnzimmersessel aus über die Frotzeleien der Kommissare lachen und am Ende einen Mörder in Handschellen sehen können, sollten lieber erst Ende Oktober bei den Kommissaren aus Ludwigshafen wieder einschalten. Dann wird es sicher wieder gewöhnlicher.

Der Tatort „Im Schmerz geboren“ im Kurzcheck:

Schönste Krimifloskel: „Drei Tote? Wir übernehmen!“, ruft Ermittler Murot ins Telefon und scheint froh zu sein, sich in die Arbeit stürzen zu können. Diese Tatort-Kommissare sind einfach immer verdammt motiviert.

Heimliche Stilikone: Alexander Bosco (Alexander Held). Er sieht aus, wie man sich einen gewöhnlichen kriminellen Autowerkstatt-Besitzer vorstellt: Goldkettchen, bis zum Brusthaar-Ansatz geöffnetes Karo-Hemd, Zigarette im Mundwinkel. Aber Achtung, jetzt kommt’s: Seine Leidenschaft gehört der klassischen Literatur, vor allem Shakespeare. Seine Söhne hat er nach Hamlet-Protagonisten benannt.

Gefühlter Moment, in dem der Fall gelöst ist: Nach genau einer Stunde wird dem Zuschauer klar, wie die Hintergründe gelagert sind. Langweilig werden die nächsten dreißig Minuten trotzdem nicht, auch weil Murots Assistentin Magda Wächter (Barbara Philipp) darin zur Hochform aufläuft.