Auf dem europäischen Automarkt sind die Neuzulassungen eingebrochen. Auch deshalb rechnet der Branchenexperte Willi Diez mit einem deutlichen Stellenabbau in den nächsten Jahren.

Genf - Der Autosalon in Genf ist traditionell die wichtigste europäische Neuheitenschau vor dem Start in die Frühjahrssaison. In dieser Woche weht den Automanagern bei den Premierenfeiern am Genfer See ein eisiger Wind entgegen – zumindest was die Konjunktur angeht. Denn der europäische Automarkt ist in den vergangenen Jahren bereits deutlich geschrumpft (sieht Schaubilder) und auch 2013 hat schlecht angefangen. Im Januar sind die Pkw-Neuzulassungen nach Angaben des Branchenverbands Acea in Westeuropa um fast neun Prozent eingebrochen. Die Absatzkrise dürfte sich weiter verschärfen, heißt es in einer Studie von Ernst & Young. Nach Meinung der von dem Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsunternehmen befragten europäischen Automanager werden die Pkw-Verkäufe 2013 um weitere zwei Prozent sinken.

 

„Dieses Jahr muss man abschreiben“, urteilt Willi Diez, der Leiter des Instituts für Automobilwirtschaft (IFA) in Geislingen. Der Wissenschaftler sieht die Gefahr, dass auch Märkte wie Deutschland, die bisher relativ glimpflich davongekommen sind, von den Schuldnermärkten „psychologisch angesteckt“ werden. Im Januar sind die Pkw-Neuzulassungen in Deutschland ähnlich stark wie in Europa zurückgegangen.

Anders als Hersteller wie Opel, Fiat, Peugeot oder Renault, die stark auf Europa ausgerichtet sind, hat die deutsche PS-Branche nach Einschätzung von Ernst & Young jedoch bessere Aussichten. „Dank des Wachstums des weltweiten Pkw-Markts kann sich die stark globalisierte deutsche Autoindustrie zumindest teilweise von der Krise abkoppeln“, heißt es in der Studie. Immerhin 45 Prozent der deutschen Autohersteller und Zulieferer bewerten ihre aktuelle Geschäftslage als gut. Europaweit ist dagegen nur jedes dritte Unternehmen rundum zufrieden, in Italien bezeichnet kein einziges befragtes Unternehmen die Geschäftslage als gut.

Viele Stellen sind gefährdet

Soweit sich die Schuldenkrise nicht noch einmal zuspitzt, rechnet IFA-Chef Diez in den kommenden Jahren indes mit einer gewissen Erholung auf dem europäischen Markt. „Es gibt einfach einen Nachholbedarf in Ländern wie Italien oder Spanien“, meint der Autoexperte. Dieser werde sich in den nächsten Jahren auflösen. Dennoch rechnet er weiter mit einem harten Wettbewerb in Europa, weil die Fabriken auch bei guter Konjunktur bei Weitem nicht ausgelastet werden können. „Es muss einen Kapazitätsschnitt geben“, urteilt der Wissenschaftler. „Derzeit haben wir in Europa eine Überkapazität, die eher bei 40 Prozent als bei 30 Prozent liegt.“ Ein Arbeitsplatzabbau sei nicht zu vermeiden, befürchtet Diez und schätzt, dass in den nächsten Jahren rund 250 000 der insgesamt 3,7 Millionen Stellen in der europäischen PS-Branche bedroht sind. Auch in Deutschland rechnet er auf mittlere Sicht eher mit einem Rückgang der Produktion als einer Zunahme. Optimistisch ist Diez für die Entwicklungsabteilungen in Deutschland. „Der Bedarf an Entwicklungsingenieuren wird sehr hoch bleiben“, sagt der Wissenschaftler voraus, „weil gleich zwei technologische Revolutionen zu bewältigen sind: die Entwicklung alternativer Antriebe und die Vernetzung der Fahrzeuge durch moderne Kommunikations- und Informationstechnik“.

Alternative Antriebe spielen in diesem Jahr in Genf allerdings nur eine Nebenrolle. Zwar wird beispielsweise Audi den A3 als Plug-in-Hybrid vorstellen, also einen Wagen mit einer Kombination aus Verbrennungs- und Elektromotor, der sich an der Steckdose aufladen lässt. Doch im Rampenlicht stehen in den Messehallen vor allem Autos mit großen Motoren: Porsche präsentiert zum 50. Geburtstag seiner wichtigsten Baureihe den 911 GT3 mit 430 PS, bei Mercedes-Benz feiert unter anderem eine von der Tuningtochter AMG veredelte A-Klasse mit 360 PS Premiere, VW schickt die Neuauflage des Golf GTI ins Rennen. „Genf läuft Gefahr, Ausgangspunkt eines neuen PS-Rennens der deutschen Autobranche zu werden“, kritisiert Ferdinand Dudenhöffer vom Forschungsinstitut CAR in Duisburg und fügt mit Blick auf die Verhandlungen mit der EU über strengere Grenzwerte für Spritverbrauch und Emissionen warnend hinzu: „Die Autoindustrie muss aufpassen, mit ihren PS-Boliden nicht in eine neue Glaubwürdigkeitsfalle zu laufen.“