Der neue „Tatort“ aus Berlin schneidet zwei Wahn-Welten gegeneinander. In „Dein Name sei Harbinger“ wird weiter am Gender-Narrativ gestrickt, und Mark Waschkes Ermittler Karow beweist sich abermals als wahre Zynismus-Schleuder.

Kultur: Ulla Hanselmann (uh)

Stuttgart - Mit Karacho rauscht die U-Bahn in die Röhre. Tunnel, Bunker und Keller, Kanäle, Schächte und Gänge: Nachtschwarz wie der Hauptstadt-Hades ist auch die Seele jenes Mannes, der dem neuen Berlin- „Tatort“ seinen Titel gibt: „Dein Name sei Harbinger“ hat sich dieser Werner Lothar (irre gut: Christoph Bach) befohlen, der unter schizophrener Psychose leidet. Im U-Bahnhof Alexanderplatz betreibt er einen Schlüsseldienst, hauptberuflich pflegt er aber die ganz große Weltverschwörung und spioniert Leute aus.

 

Die Ermittler Rubin (Meret Becker) und Karow (Mark Waschke) stoßen auf den Psychopathen bei den Recherchen, die der Fund einer verkohlten Leiche in einem ausgebrannten Transporter anstößt. Drei ähnliche ungelöste Fälle spuckt das Archiv aus. Geht in Berlin ein Serienmörder um? Als sich herausstellt, dass alle Opfer als Retortenbabys zur Welt gekommen waren, lernen die Kriminalhauptkommissare die ehemaligen Chefinnen (Almut Zilcher, Eleonore Weisgerber) einer Kinderwunsch-Klinik kennen, wobei eine dieser miteinander liierten Pionierinnen der Reproduktionsmedizin sterbenskrank ist. Und sie begegnen eben jenem Sonderling, der sich Harbinger nennt und im Alter von 16 Jahren einen Anschlag auf eine der IVF-Ärztinnen verübte.

Man weiß nicht so recht, welche der beiden Wahnwelten gruseliger ist, die Regie (Florian Baxmeyer) und Buch (Michael Comtesse, Matthias Tuchmann) so durchschaubar gegeneinander schneiden: der unterirdische Freak-Kosmos oder das kriminelle Gottesgebaren der Befruchtungshelferinnen. Das atmosphärische Potenzial der Berliner Unterwelten reizt Baxmeyer jedenfalls kunstvoll aus – wie bei fast allen Rubin/Karow-Krimis ist die Stadt die dritte Hauptfigur.

Es wird weiter am Gender-Narrativ gestrickt

Leider gelingt es den Autoren aber nicht, beim Plot, bei Figurenpsychologie und Dialogen gleichzuziehen. Was nützt der perfekte ästhetische Realismus, wenn der Zauber durch Floskeln auf Vorabendserien-Niveau und unmissverständlich volksaufklärerische Botschaften zerstört wird? So hält der im Reagenzglas gezeugte Lesben-Sohn und Klinikleiter (Trystan Pütter) ein Plädoyer für alternative Familienmodelle, womit wieder ein bisschen am Gender-Narrativ weitergestrickt wird, das der Berlin-„Tatort“ gern hegt und pflegt.

Rubin, die Frau mit der Problemfamilie, spielt dieses Mal eine Nebenrolle, dafür bekommt Kommissarsanwärterin Anna Feil (Carolyn Genzkow) mehr Raum. Karow hingegen macht seinem Namen als Zynismus-Schleuder alle Ehre und begibt sich wie schon wie in der Folge „Dunkelfeld“ in die Hände des Hauptverdächtigen. Dafür muss er ein Laugenbad und andere körperliche, sein Leben gefährdende Unannehmlichkeiten in Kauf nehmen.

Mit seinen ersten, über vier Folgen hinweg horizontal erzählten Fällen hat das Berliner Gespann Hoffnungen geweckt, doch was danach an episodisch abgeschlossenen Krimis folgte, enttäuscht: überkonstruierte, abstruse Fälle mit extrem niedrigen Plausibilitätsfaktor. Licht am Ende des Tunnels ist nicht in Sicht.

ARD, Sonntag, 10. Dezember, 20.15 Uhr