Vor dem Landesparteitag der Grünen an diesem Wochenende redet der Parteinachwuchs Tacheles und nimmt auch den Übervater Kretschmann nicht von Kritik aus. Lena Schwelling, die Sprecherin der Grünen Jugend, verlangt von ihrer Partei mehr Kompromissfähigkeit.

Stuttgart - Die baden-württembergischen Grünen treffen sich an diesem Wochenende zum Landesparteitag in Schwäbisch Gmünd. Dabei schlägt der Parteinachwuchs kritische Töne an. „Wir müssen die moralische Überheblichkeit ablegen“, sagt Lena Schwelling, eine der beiden Sprecherinnen der Grünen Jugend.

 
Frau Schwelling, werden nach dem Parteitag in Münster die linken Stimmen auch bei den baden-württembergischen Grünen wieder lauter?
Ich bin sehr zufrieden aus Münster zurück gekommen, aber mich nervt das Flügeldenken. Das müssen wir überwinden, wenn wir bei der Bundestagswahl erfolgreich sein wollen. Ich wünsche mir sehr, dass sich die alten Herren auf beiden Seiten der Flügel mal zusammen reißen.
Wie wird Bundesparteitag auf den Landesparteitag an diesem Wochenende ausstrahlen?
Wahrscheinlich nicht so sehr. Es geht ja hauptsächlich um die Aufstellung der Landesliste. Da wird sich auf den ersten zehn Plätzen nicht viel ändern, da alle bisherigen Abgeordneten wieder antreten. Wir als Grüne Jugend erwarten aber, dass ein Kandidat unter 30 Jahren unter den ersten 15 auf der Liste ist. Wir erreichen junge Leute nur, wenn wir ihnen auch ein Angebot machen.
Was erwarten Sie von Sandra Detzer, die voraussichtlich neue Landesvorsitzende wird?
In den vergangenen Monaten unter Grün-Schwarz hat sich in der Partei eine neue Kritikkultur entwickelt. Damit bin ich sehr zufrieden. Wir haben die Zurückhaltung aus dem Wahlkampf abgelegt. Vor allem unser Landesvorsitzender Oliver Hildenbrand macht bei vielen Themen deutlich, dass die Partei anders steht als die Regierung. Das finde ich gut, ich hoffe, dass auch in Zukunft die beiden Parteivorsitzenden klar sagen, dass es Unterschiede gibt zwischen dem, was die Partei richtig findet, und dem, was das Regierungshandeln erforderlich macht. Es ist richtig und wichtig, dass es Reibungen gibt, gerade in einer Partei wie den Grünen.
Winfried Kretschmann hat in Münster gesagt, es gebe zu viel politische Korrektheit. Teilen Sie diese Auffassung?
Nein, das sieht die Grüne Jugend komplett anders. Ich werde in Schwäbisch Gmünd deutlich machen, dass das ein großes Missverständnis ist. Wir Grünen gendern, wir sagen nicht Negerküsse. Das mag besserwisserisch wirken. Aber wir müssen doch klar machen, warum wir so sprechen. Wir haben uns den respektvollen Umgang mit allen, auch und gerade mit Minderheiten auf die Fahnen geschrieben. Wenn wir die Menschen erreichen wollen, die jetzt zur AfD tendieren, dürfen wir das gerade nicht aufgeben, sondern müssen erklären, warum wir das tun. Vor allem müssen wir den respektvollen Umgang ausweiten auf Menschen, die nicht unserer Meinung sind.
Wie kann das gehen?
Der richtige Weg ist nicht, unsere Werte mit weniger Nachdruck zu vertreten, oder unsere Sprache aufzugeben, vielmehr müssen wir anfangen, mit den anderen darüber zu diskutieren. Wir dürfen uns nicht immer in dieser Selbstvergewisserungsblase bewegen. Aber wir müssen auch innerhalb der Partei etwas ändern. Man redet doch in der Krise immer vom Kompromiss der Demokraten. Der fängt aber nicht bei der Kanzlerin an, sondern doch schon im eigenen Laden. Ich kann nicht vom Kompromiss der Demokraten sprechen und gleichzeitig beim Kompromiss, den die eigene Partei zur Vermögensteuer gefunden hat, zum größten Kritiker des Kompromisses werden. Das ist eine Diskrepanz. So vieles was gesagt wird, wird gerade in der eigenen Partei nicht gelebt. Das ist ein großes Problem.
Was erwarten Sie künftig von den Grünen?
Man muss aufhören, sich ständig gegenseitig in Flügeln zu beharken. Das kostet Ressourcen und das nervt die Leute. Gerade in Baden-Württemberg kann man erwarten, dass zum Beispiel von Boris Palmer aus Tübingen und auch aus dem Staatsministerium nicht immer so besserwisserische Analysen kommen, was die Grünen sind und wie sie zu sein haben. Ich erwarte, dass man sich einbringt, dass man mitmacht, wenn in der Bundespartei Kompromisse geschlossen werden und sich nicht immer als der Gegenspieler der Bundespartei versteht. Das hilft gar nicht. Wie soll man die gesellschaftliche Spaltung überwinden, wenn man gleichzeitig eine Spaltung zwischen Baden-Württemberg und den Bundesgrünen aufmacht? Ich finde es richtig, diese grüne Besserwisserei und moralische Überheblichkeit abzulegen, aber dann bitte auch innerhalb der Grünen.
Die Grüne Jugend feiert beim Landesparteitag ihren 25. Geburtstag. Wie sehen Sie die Rolle der Nachwuchsorganisation?
Wir haben uns immer als stachelig empfunden, das wollen wir bleiben. Unsere Stacheligkeit zeichnet uns aus. Wir stacheln unsere Mutterpartei an. Wir sehen, dass die Welt im Umbruch ist. Die offene Gesellschaft, in der wir aufgewachsen sind, ist nicht so selbstverständlich, wir gedacht haben. Jetzt müssen wir uns engagieren und die Welt, wie wir sie haben wollen, verteidigen. Das ist eine wichtige Aufgabe für die Grüne Jugend.

Zur Person: Lena Christin Schwelling ist Stadträtin in Ulm und schon seit 2007 bei den Grünen. Die 24-Jährige führt seit 2015 zusammen mit Leonie Wolf die Grüne Jugend Baden-Württemberg, bereits im Alter von 16 Jahren wurde Lena Schwelling in den Landesvorstand der Grünen Jugend gewählt. Sie studierte Germanistik und Geschichte in Stuttgart und hat vor einem Monat ihren Bachelorabschluss abgelegt.