Das Gustav-Siegle-Haus beherbergt die Stuttgarter Philharmoniker, einen Jazzclub und eine Kunstgalerie. Insofern spielt dort schon die Musik. Die CDU und die Grünen im Gemeinderat wollen aber noch mehr daraus machen. Das soll auch auf das Rotlichtviertel nebenan ausstrahlen.

Stuttgart - Vorhang auf für das Gustav-Siegle-Haus: Mit dem Flaneursalon des Autors und Stuttgarter-Nachrichten-Kolumnisten Joe Bauer lockt dort am kommenden Montag, 20 Uhr, wieder einmal eine Veranstaltung der etwas anderen Art, was die Nutzung dieser Gemäuer angeht. Die Lieder- und Geschichtenshow mit Stefan Hannibal Hiss, Timo Brunke, Marie Louise & Zura Dzagnidze (wenige Restkarten an der Abendkasse) könnte ein Vorgeschmack sein auf künftige Zeiten. Wie schon das Schmuddelbankett, ein Kulturevent mit Bewirtung, das Joe Bauer Anfang Dezember vergangenen Jahres mit Unterstützung der Stuttgarter Philharmoniker hier ausgerichtet hatte.

 

Ein Vorgeschmack deshalb, weil die CDU und die Grünen die weitere Aktivierung dieser Kulturstätte unterstützen, sie sozusagen aus dem Dornröschenschlaf erwecken wollen – und das benachbarte Leonhardsviertel gleich mit. Darauf zielt ein gemeinsamer Antrag, den sie Anfang Dezember im Gemeinderat eingebracht haben. Das Ziel: mehr kulturelle Veranstaltungen in diesem stattlichen Gebäude.

Darin spielt längst die Musik. Früher, so erinnern sich ältere Semester, traten hier Knaller wie die Hard-Rock-Band AC/DC oder die Dead Kennedys auf. Seit 1994 ist das Gebäude Heimat der Stuttgarter Philharmoniker. Seit rund zehn Jahren beherbergt es in Anbauten den Jazzclub Bix und seit 2007 auch die Galerie Kunstbezirk. Mit diesem Nutzungsmix, meinen die CDU und die Grünen, sei das Gebäude aber nicht ausgelastet, seine Rolle für das öffentliche Leben und für die Belebung des Leonhardviertels nicht ausgereizt. Und bei diesem Urteil fühlen sich die Antragsteller auch im Einklang mit den Philharmonikern. „Dieses Orchester ist und bleibt der Platzhirsch. Uns ist wichtig, niemandem etwas wegzunehmen, aber wir möchten das Haus weiter öffnen“, sagt Stadtrat Jürgen Sauer (CDU).

Kulturbürgermeister findet die Idee „überlegenswert“

Den Vorgängerbau hatte der Industrielle Gustav Siegle vom Jahr 1910 an für eine Stiftung bauen lassen, die der Bildung des Volkes gewidmet war. Im Zweiten Weltkrieg wurde der Komplex zerstört, später wiederaufgebaut. Der große Saal mit knapp 500 Sitzplätzen und der kleine Saal für gut 150 Besucher würden zurzeit ausschließlich von den Philharmonikern für Proben und Konzerte genutzt, heißt es im Antrag der Fraktionen. Das werde dem Potenzial des Hauses nicht gerecht.

Was die Philharmoniker womöglich selbst zusätzlich planen und wie es um Restkapazitäten bestellt ist, lotet zurzeit die Stadtverwaltung aus. Ebenso, was für eine bessere Nutzung organisatorisch, baulich und finanziell zu tun wäre.

Kulturbürgermeister Fabian Mayer (CDU) hat die Initiative der Fraktionen gleich im Dezember interessant und überlegenswert genannt. Die Verwaltung werde „aufgeschlossen“ prüfen, ob das „schöne Haus“ jenseits der Konzerte und Proben der Philharmoniker weiter zur Kulturlocation ausgebaut werden könnte. Dabei würden auch der Brandschutz und die Barrierefreiheit eine Rolle spielen. Spätestens Ende März soll das Ergebnis vorliegen, damit Kosten und Nutzen abzuwägen sind – und damit das Resultat Eingang finden kann in die Planungen für die städtischen Haushaltsberatungen im Herbst.

Sollte aus der Initiative etwas entstehen, würden sich Vorkämpfer dieser Idee wie Joe Bauer sehr freuen. Er bespielt mit dem Flaneursalon jetzt den Kleinen Saal, in dem jenseits der philharmonischen Aktivitäten „viele Jahre keine öffentlichen Veranstaltungen stattfanden“. Seit dem Schmuddelbankett, das vom Vorplatz der Leonhardskirche ins Foyer des Sieglehauses schwappen durfte, kann Bauer schon gut das „große Potenzial“ erahnen, das sich hier für das Kulturleben bietet.

Schöne Räume, zentrale Lage im Stadtzentrum, wo es sonst kaum vergleichbare Veranstaltungsstätten gibt: Die Vorzüge liegen auf der Hand. Doch die Bevölkerung hat kaum Nutzen davon. Die Philharmoniker bitten für die großen Konzerte wegen des größeren Sitzplatzangebotes oft in die Liederhalle.

Kenner der Verhältnisse wie Bauer warnen aber auch vor Illusionen. Man werde das Haus nicht einfach öffnen und brummen lassen können. Zuerst werde man – Stichwort Vertragsverhältnisse und Kartenverkauf – bürokratisch anmutende Strukturen verändern müssen. Außerdem bräuchten die Philharmoniker personelle Unterstützung, wenn in ihrem Domizil neue Nutzer zu betreuen wären, so Bauer.