Vorstoß von Ministerin Bauer Gentechnik als Glaubensfrage

Keine Gentechnik auf dem Acker – das war bisher die Linie in Baden-Württemberg Foto: Factum/Weise/z

Kann die neue Gentechnik Probleme lösen, oder schafft sie erst welche? Wissenschaftsministerin Bauer hat mit ihrem Forschungsprogramm eine kontroverse Debatte entfacht – zum ungünstigen Zeitpunkt, meint unser Kommentator.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Schlechter hätte das Timing kaum sein können. Egal, wie man das Forschungsprogramm zur neuen Gentechnik in der Landwirtschaft inhaltlich bewertet – für die Ausschreibung hätte Wissenschaftsministerin Theresia Bauer keinen ungünstigeren Zeitpunkt wählen können. Kurz bevor der Landtag ein Gesetzespaket für mehr Artenschutz beschließt, mit dem die Landesregierung auf das Volksbegehren „Pro Biene“ reagiert hatte, reißt die Grüne neue Gräben auf.

 

Zu den wichtigsten Vorhaben gehört es, den ökologischen Landbau kräftig voranzubringen. Binnen zehn Jahren soll sich sein Flächenanteil auf bis zu 40 Prozent mehr als verdoppeln – gerade für die Ökopartei ein wichtiges Signal. Ausgerechnet jetzt aber provoziert Ministerin Bauer die Biobauern mit dem Plan, auch Versuche mit der Freisetzung von gentechnisch veränderten Pflanzen zu fördern. Bisher war das im Südwesten tabu, weil die Ausbreitung in der kleinräumigen Agrarlandschaft kaum zu kontrollieren wäre. Der Pflanzenanbau im Land solle „weiterhin gentechnikfrei“ bleiben, hatten Grüne und CDU sogar im Koalitionsvertrag vereinbart. Was Wunder, dass die Ökoverbände von einem Frontalangriff sprechen und eine rote Linie überschritten sehen.

Empörung bei den Parteifreunden

Im Ton moderater, aber in der Sache nicht minder deutlich fällt das Echo aus der grünen Landtagsfraktion aus. Selten ist ein Kabinettsmitglied bei den Abgeordneten auf derart breiten Widerstand gestoßen. Ökologischer Landbau und Freilandversuche – das passe gar nicht zusammen, heißt es einhellig. Hätte Bauer den Weiterbetrieb der Atomkraftwerke gefordert, die Empörung wäre kaum größer gewesen. Der Dissens wird offen eingeräumt, die Fronten zwischen Fraktion und Ministerin wirken verhärtet. Während die eigenen Parteifreunde sie auf den Koalitionsvertrag verweisen, kommt ihr der CDU-Agrarminister Hauk argumentativ zu Hilfe – verkehrte Welt.

Die Wogen schlagen deshalb so hoch, weil es um eine Grundsatzfrage geht. Bei der alten Gentechnik war die Abwehrfront bei den Grünen noch geschlossen. Die Absage an den Einsatz in der Landwirtschaft gehörte zu ihren Grundüberzeugungen. Wie die „neue“ Gentechnik zu bewerten ist, darüber gehen die Meinungen auseinander – in der Ökopartei wie in der Gesellschaft. Ist es überhaupt noch Gentechnik, wenn keine fremden Gene eingebracht werden, sondern das Erbgut mittels „Genschere“ punktuell verändert wird? Oder handelt es sich nur um eine moderne Form der Züchtung, schneller und effizienter als die konventionelle? Braucht man solche Methoden nicht, um die wachsende Weltbevölkerung in Zeiten des Klimawandels ernähren zu können? So argumentieren Befürworter wie Bauer oder Hauk, so sehen es viele Wissenschaftler – und rufen daher nach einem Abbau der rechtlichen Hürden.

Gentechnik auf dem Teller unerwünscht

Die Skeptiker dagegen halten die Risiken für größer als die Chancen. Sie sind gegen immer neue, raffiniertere Methoden, um der Natur ins Handwerk zu pfuschen. Sie wollen die Landwirtschaft weiter ökologisch umbauen. Wie die alte Gentechnik fördere auch die neue weltweit industrielle Strukturen, wie bei dieser würden vor allem Konzerne profitieren. Egal, welchem Lager man zuneigt – die Kritiker haben zwei mächtige Verbündete. Da ist zum einen der Europäische Gerichtshof: Erst 2018 hat er entschieden, auch die neue Gentechnik sei Gentechnik und daher entsprechend zu regulieren. Und da ist die nach allen Umfragen übergroße Mehrheit der Deutschen, die genveränderte Lebensmittel ablehnt. Bei den Grünen-Wählern dürfte deren Anteil noch höher liegen. Will die Ökopartei im Südwesten es wirklich riskieren, sie wenige Monate vor der Wahl zu verprellen? Auch das könnte kein gutes Timing sein.

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