Wurde der als überteuert kritisierte Verkehrsvertrag mit Blick auf Stuttgart 21 geschlossen? Das wollen Projektgegener umfassend untersuchen lassen: durch einen Sonderausschuss des Landtags, die Justiz und die EU-Kommission.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Der Landtag, die Justiz und die EU-Kommission sollen einen möglichen Zusammenhang zwischen dem umstrittenen Großen Verkehrsvertrag und dem Bahnprojekt Stuttgart 21 umfassend untersuchen. Das haben Vertreter des Aktionsbündnisses gegen Stuttgart 21, des Verkehrsclubs Deutschland (VCD) und der „Parkschützer“ gefordert. Sie reagierten damit auf Recherchen von Stuttgarter Zeitung und SWR-Fernsehen, nach denen der als überteuert kritisierte Vertrag zwischen dem Land und der Deutschen Bahn im Jahr 2003 auch deshalb geschlossen wurde, um die Wirtschaftlichkeit des Bahnprojekts zu verbessern und dieses damit zu retten. Mehr als 140 Millionen Euro, die zu viel bezahlt worden sein sollen, will das Verkehrsministerium von Winfried Hermann (Grüne) bekanntlich einbehalten.

 

VCD-Chef vermutet verbotene Beihilfe

Nach Ansicht des VCD-Landesvorsitzenden Matthias Lieb handelt es sich angesichts der Konditionen des Verkehrsvertrages um eine verbotene Beihilfe, mit der der Wettbewerb zu Gunsten der Bahn beeinflusst worden sei. Chancen und Risiken des Vertrages seien völlig ungerecht zu Lasten des Landes verteilt worden: Obwohl die Fahrgastzahlen und damit die Einnahmen der Bahn deutlich gestiegen seien, habe das Land weiter hohe Zuschüsse zahlen müssen; so komme es zu einer klaren „Überkompensation“.

Laut Lieb hat sich der VCD bereits 2010 und 2012 an die EU-Kommission gewandt, um eine Prüfung anzustoßen. Inzwischen seien der Vertrag selbst und weitere Dokumente bekannt geworden, sodass in Brüssel genug Unterlagen vorlägen, „um Ermittlungen einzuleiten“.

Landtag soll Hintergründe des Vertrags klären

Das Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 appelliert derweil an Grüne und SPD, einen Untersuchungsausschuss im Landtag zum Verkehrsvertrag einzurichten. Wenn „auf einem illegalen Umweg“ Haushaltsmittel für ein auf der Kippe stehendes Projekt verwendet würden, dürfe dies das Parlament nicht kalt lassen, sagte der Bündnissprecher Eisenhart von Loeper. Der Ausschuss müsse Umstände und Hintergründe beim Zustandekommen des Vertrages klären. In diesem Sinne habe man die Fraktionschefs im Landtag und Finanzminister Nils Schmid angeschrieben; auch von CDU und FDP erhoffe man Unterstützung. Mit einer Entscheidung sei aber erst nach der Sommerpause zu rechnen, hieß es.

Anzeige gegen Ex-Ministerin Tanja Gönner

Der Rechtsanwalt von Loeper fordert zudem „strafrechtliche Konsequenzen“ des Verkehrsvertrages. Dazu habe man bei der Staatsanwaltschaft Stuttgart Strafanzeige gegen Ex-Ministerin Tanja Gönner (CDU) erstattet. Weil Untreue nach fünf Jahren verjähre, könne nur Gönner noch zur Rechenschaft gezogen werden, nicht aber die Verantwortlichen von 2003, Ex-Minister Ulrich Müller und sein damaliger Staatssekretär Stefan Mappus (alle CDU). Gönner müsse sich als Juristin „der Brisanz der Sache bewusst gewesen sein“. Noch 2010 und wohl auch 2011 habe die Ex-Ministerin die „sittenwidrig überhöhten“ Zahlungen an die Bahn ausführen lassen.