Jahrelang sind in Baden-Württemberg Nebenstrecken von der Bahn stillgelegt worden. Verkehrsminister Winfried Hermann will jetzt landesweit die Entwicklung umdrehen.
Stuttgart - Im Mörtelsteiner Tunnel wachsen Champignons, im Bahnwärterhäuschen wohnt eine Familie. Schienen muss man zwischen Mosbach und Aglasterhausen (Neckar-Odenwald-Kreis) lange suchen. Bereits seit 1971 ist die Strecke stillgelegt. Als vor einigen Jahren die SPD im Mosbacher Kreistag eine Wiederinbetriebnahme forderte, kassierte sie mehr Spott als Zustimmung.
Doch das könnte sich jetzt ändern. Das Landesverkehrsministerium bereitet eine Potenzialanalyse vor. Ziel sei es, ein landesweites Reaktivierungsprogramm für stillgelegte Schienenstrecken aufzulegen. Als jüngst ein Brief des Ministeriums im Mosbacher Landratsamt einging, in dem um Vorschläge gebeten wurde, erinnerten sich auch die Verkehrsplaner von Landrat Achim Brötel (CDU) wieder an diesen einstigen, 14 Kilometer langen Abschnitt der badischen Odenwaldbahn. Es seien durchaus einige größere bauliche Herausforderungen zu bewältigen, sagte der Sprecher des Kreises, Jan Egenberger. „Aber wir haben die Strecke benannt.“
So wie im Mosbacher Kreishaus hat die Anfrage aus dem Stuttgarter Ministerium auch andernorts Überlegungen angestoßen oder bereits laufende Planungen befördert. „Wo immer es vor Ort Interesse gibt, werden wir die Reaktivierung von Bahnstrecken unterstützen, wenn es sinnvoll und praktikabel ist“, sagte der Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne).
Hesse-Bahn als Vorbild
Dabei ist das Thema der Streckenreaktivierung nicht neu. So ist man im Fall der Hesse-Bahn zwischen Calw und Weil der Stadt (Kreis Böblingen) schon recht weit. Dort sollen bereits Ende 2020 die ersten Züge fahren. Unklar ist hier noch das Betriebskonzept und der Ausgang einer Klage des Naturschutzbunds Nabu. Eine Bezuschussung von 50 Prozent hat das Land den Anrainerkommunen in Aussicht gestellt.
Doch jetzt will das Ministerium landesweit und systematisch vorgehen. Die Abfrage in den Landratsämtern, bei den kreisfreien Städten und den Branchenverbänden sei mittlerweile abgeschlossen, sagte der Ministeriumssprecher Edgar Neumann. In höherer zweistelliger Zahl seien dem Ministerium Projekte gemeldet worden. Sie sollen nun von einem externen Gutachter bewertet werden. Dabei gehe es im ersten Schritt um eine reine Nachfrageanalyse, also um die Frage, ob die Strecke vom Güter- oder Personenverkehr ausreichend angenommen würde. In einem zweiten Schritt könnten dann in einer Detailuntersuchung Vorschläge für eine konkrete Realisierung erarbeitet werden.
218 Kilometer Gleis stillgelegt
Es handle sich um recht unterschiedliche Projekte, sagte Neumann. In den vergangenen 25 Jahren gab die Deutsche Bahn in Baden-Württemberg Schienenstrecken mit einer Gesamtlänge von 218 Kilometern auf. Darunter befinden sich eigenständige Linien wie die 24 Kilometer lange Strecke von Waldenburg nach Forchtenberg (Hohenlohekreis), die sieben Kilometer lange Bahn von Ludwigsburg nach Markgröningen und die 20 Kilometer lange Strecke von Lauffen nach Leonbronn (Kreis Heilbronn), aber auch nur wenige hundert Meter lange Ausweichgleise.
Auch deren Reaktivierung könne sinnvoll sein, wie der bahnpolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Matthias Gastel, betont. So fehle es im Filstal (Kreis Göppingen) an Ausweichmöglichkeiten. „Es kommt immer wieder zu Verspätungen, weil die früheren Überholgleise abgebaut wurden.“
Speziell in dicht besiedelten Gebieten dürfte die Streckenreaktivierung schwer fallen. So wurden im Heidelberger Stadtgebiet in den vergangenen Jahren 17 Kilometer Gleis entfernt. Es habe sich größtenteils um Parallelstrecken gehandelt. An einer Reaktivierung habe man kein Interesse, erklärte eine Stadtsprecherin. Sie sei schlicht nicht möglich. Die betroffenen Gleise seien längst überbaut. Auf einem großen Teil der frei gewordenen Strecken entstehe gegenwärtig der neue Stadtteil Bahnstadt.