Vergesslichkeit erschreckt viele Menschen. Doch das Vergessen hat auch Vorteile. Hirnforscher Konrad Beyreuther referiert darüber bei der Leser-Uni.

Heidelberg - Manche Menschen malen sich ein Kreuz auf die Hand oder machen einen Knoten ins Taschentuch, wenn sie etwa den Hochzeitstag, den Einkauf am Abend oder ein wichtiges Telefonat nicht vergessen wollen. Konrad Beyreuther von der Universität Heidelberg setzt weniger auf derartige Erinnerungshilfen. Der Hirnforscher trainiert sein Gedächtnis, indem er jeden Morgen bei einbeinigen Kniebeugen Rechenaufgaben löst.

 

Knoten im Taschentuch oder sportliche Rechenaufgaben, je älter ein Mensch wird, desto mehr muss man dem Gehirn auf die Sprünge helfen, weil die Vergesslichkeit zunimmt. Mit steigendem Alter kann es schließlich auch zu krankhaften Störungen des Gedächtnisses und des Denkens kommen, zur Demenz.

In Deutschland leidet jeder dritte Mensch, der das achtzigste Lebensjahr hinter sich hat, an irgendeiner Form der Demenz - die Alzheimer'sche Krankheit ist die häufigste Variante. Doch das muss nicht unbedingt sein. "Altern ohne Alzheimer - Experimente und Visionen", nennt der Heidelberger Neurowissenschaftler seinen Vortrag bei der Leser-Uni, zu der sich Interessierte jetzt anmelden können.

 Ältere Menschen vergessen schlechter

Die meisten Menschen führen einen ständigen Kampf gegen das Vergessen. Doch das Vergessen hat auch Vorteile, für das Gehirn ist es sogar unerlässlich. "Wer nicht vergessen kann, kann auch nichts Neues lernen", sagt Beyreuther. Man weiß dank der Hirnforschung heute, dass man das Gedächtnis nicht wie eine riesige Lagerhalle immer weiter vollstellen kann, ohne vorher Platz zu schaffen.

Dies gilt vor allem für das Kurzzeitgedächtnis, in dem ständig neue Informationen verarbeitet und gespeichert werden. Im Langzeitgedächtnis, in dem die Erinnerung an Omas Apfelkuchen schlummert, sind die Ressourcen größer.

Um dem ständigen Einprasseln der Eindrücke des täglichen Lebens gewachsen zu sein, bedient sich das Gehirn des Mechanismus, den der Mensch so gar nicht mag: das Vergessen. Wer vergisst, kann sich Wichtiges besser merken. Es gibt Studien, die postulieren, dass das Gedächtnis älterer Menschen nachlässt, weil sie schlechter vergessen können.

Vergessen um zu lernen

Das Gedächtnis, und damit das Lernen, basiert darauf, dass neue Inhalte Nervenzellen aktivieren. Diese Neuronen nehmen bei völlig Neuem Kontakt zu anderen Nervenzellen auf, bei bereits bekannten Ereignissen werden die früher geknüpften Kontakte vertieft.

Da die Kapazität aber nicht unendlich ist, muss allerlei im Kurzzeitgedächtnis gelöscht und überlagert, also vergessen werden. Ob diese Informationen für immer verschwinden oder vielleicht doch noch irgendwo in den Tiefen der grauen Zellen schlummern, ist eine der vielen Fragen der Gedächtnisforschung.

Gesichert ist jedoch, dass das aktive Vergessen - das man so als aktiven Prozess aber nicht bemerkt - unerlässlich für das Lernen ist. Dies konnten Wissenschaftler bei verschiedenen Tierversuchen auch auf molekularer Ebene feststellen. Bei der Fruchtfliege etwa hat man ein Protein gefunden, das vermutlich eine der wichtigsten Substanzen beim Vergessen ist. Dieses Protein namens Rac hat sich während der Evolution kaum verändert und ist bei Drosophila, Mäusen und dem Menschen ursprünglich geblieben.

 Protein sorgt für die Gehirnentrümpelung

Fruchtfliegen können in einem klassischen Konditionierungsexperiment lernen, einen bestimmten Futterduft mit einem anderen Duft mit einem leichten Stromschlag zu verbinden. In einer Gruppe hatte man Rac stillgelegt. Die nichtmanipulierten Tiere mit Rac konnten sich eine Stunde an die beiden Düfte erinnern.

Tiere ohne Rac erinnerten sich noch einen Tag später daran, welcher Duft mit dem Stromschlag gekoppelt war. Und Tiere mit besonders aktivem Rac haben das Experiment schon nach einer halben Stunde wieder vergessen. So könnte es sein, dass Rac eine von vielen Substanzen ist, die Unwichtiges entsorgt und Platz für Wichtiges und Neues schafft.

Auch traumatische Ereignisse werden unterschiedlich erinnert oder vergessen: Manche brennen sich in das Gedächtnis ein, manche werden einfach ausgeblendet. Dieses Vergessen oder Nichtvergessen beschäftigt auch Alzheimer-Forscher wie Konrad Beyreuther. Denn die Alzheimer-Problematik spiele sich, so erklärt er, in dem Bereich des Gehirns ab, in dem man traumatisierte Erlebnisse abspeichere, die man nicht vergessen könne.

Konrad Beyreuther ist fasziniert vom Gehrin

Forschung Falsch gefaltete Proteine im Gehirn haben fatale Wirkung: Bei Schafen lösen sie die langsam, aber tödlich verlaufende Traberkrankheit (Scrapie) aus, bei Rindern den bekannten Rinderwahn BSE. Für diese infektiösen Proteine interessierte sich der Chemiker Konrad Beyreuther schon in den 80er Jahren. Während eines Kongresses in Schottland lernte er den australischen Neuropathologen Colin L. Masters kennen, der ihm von der Alzheimer'schen Erkrankung erzählte und ihm eine Zusammenarbeit anbot. Gemeinsam analysierten sie die veränderten Hirnstrukturen der Alzheimer-Patienten, die sogenannten Amyloid Plaques, sowohl chemisch als auch genetisch. Mittlerweile leitet der 70-Jährige das Netzwerk Alternsforschung an der Universität Heidelberg. Der Chemiker ist sicherlich der bekannteste deutsche Alzheimer-Forscher und hat während der BSE-Krise das Land beraten.

Persönlich Aus der wissenschaftlichen Zusammenarbeit entwickelte sich eine langjährige Freundschaft. Auch in dieser Woche hält Beyreuther einen Vortrag in Melbourne.

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