Jama Maqsudi nimmt bei einem Vortrag in Gerlingen die Politik des Westens in die Verantwortung. Die Krise sieht der Stuttgarter, der vor 40 Jahren als Student aus Afghanistan nach Deutschland kam, als hausgemacht.

Gerlingen - Wenn es um das Thema Flüchtlinge geht, dann werden in diesen Tagen viele Menschen zu Experten. Zwischen der abebbenden Willkommenskultur und Angriffen auf Flüchtlingsunterkünfte schwappen die Emotionen über. Den „teils hysterischen Diskussionen“ will Reinhard Neil mit Informationen begegnen. Die Gerlinger Volkshochschule (VHS), die er leitet, setzt wohl auch deshalb auf das Schwerpunktthema Islamische Welt und Flüchtlinge. Und deshalb hängen in der VHS nun bis Ende April Tafeln mit Zahlen und Fakten zum Thema Flüchtlinge; um Fluchtwege und -ursachen geht es ebenso wie Tote entlang der Grenzen.

 

„Es herrscht Verunsicherung und Angst in der Gesellschaft, und es wird viel auf die Politik geschimpft “, sagt Neil. Das helfe jedoch nicht – reden hingegen schon. Deshalb hat die VHS Jama Maqsudi zu einem Vortrag eingeladen. Der Stuttgarter kam vor 40 Jahren als Student aus Afghanistan nach Deutschland und engagiert sich seit vielen Jahren in der Flüchtlingshilfe, unter anderem mit einem eigenen Verein in Afghanistan. Für sein Engagement wurde er von der Stuttgarter Zeitung und der Stuttgarter Versicherungsgruppe im vergangenen Jahr zu einem von zehn „Stuttgartern des Jahres“ gewählt.

„Niemand geht aus freien Stücken“

Maqsudi war eingeladen, von den Beweggründen der Flüchtlinge zu berichten. Er fand klare Worte: „Niemand verlässt seine Heimat aus freien Stücken, auch nicht für Taschengeld in Deutschland.“ Stattdessen seien die Ursachen der Flüchtlingskrise hausgemacht: „Der Anteil der westlichen Politik an den Fluchtursachen wird in der Debatte oft ausgeblendet.“

Maqsudi beleuchtete das Engagement des Westens im Nahen Osten. Er kritisierte Waffenlieferungen als Nahrung für die dortigen Konflikte und wies darauf hin, dass die USA viele Terroristen, darunter Osama bin Laden, dereinst selbst ausgebildet habe. Maqsudi regte an, die Beziehungen zu Ländern wie Saudi-Arabien oder Katar zu überdenken, die Geldquellen des sogenannten Islamischen Staats seien. Auch die in die syrischen Oppositionellen gesetzte Hoffnung sieht er kritisch: „Das sind überwiegend Extremisten, mit denen wir nichts zu gewinnen haben.“ Maqsudi sprach sich zudem gegen die Verurteilung von Wirtschaftsflüchtlingen aus: Die Doktrin grenzenlosen Wachstums führe zu einem Ungleichgewicht, das „nicht gut gehen kann“: „Wir müssen mit anderen teilen.“

Fehlinformationen in sozialen Netzen

Bei vielen Flüchtlingen, das räumte Maqsudi offen ein, gebe es Fehlinformationen, die sich insbesondere über soziale Netzwerke schnell verbreiteten. „Es sind auch nicht alle Syrer Akademiker.“ Dass Deutschland syrische Flüchtlinge „heroisiert“ habe, sei nicht gut: „Viele geben sich als Syrer aus.“ Dass viele junge Männer fliehen, liegt laut Maqsudi vor allem daran, dass sie „Kanonenfutter“ seien. Viele wollten ihre Familien nachholen. Ein rasches Abebben des Migrationsstroms erwartet Maqsudi nicht: „Da helfen auch keine Zäune.“ Man müsse alles daran setzen, dass Menschen gar nicht erst flöhen. Dazu müsse man auch die Entwicklungszusammenarbeit überdenken. Mit seinem Verein, der Deutsch-Afghanischen Flüchtlingshilfe, hat Maqsudi in seiner alten Heimat einen Kindergarten gegründet. „Afghanistan ist damit nicht zu retten“, sagt er. „Aber es ist ein Tropfen, und aus vielen Tropfen kann ein Fluss werden.“ Ende März reist er wieder an den Hindukusch, „auch wenn mir alle davon abraten“: „Ich muss etwas tun.“