Aygül Aras aus Waiblingen und der Schorndorfer Journalist Thomas Milz berichten von ihrer Reise in den kurdischen Teil der Türkei im Dezember. Was sie erlebten, lässt sie nicht mehr los, zumal ihnen das Interesse hierzulande zu gering erscheint.

Manteldesk: Thomas Schwarz (hsw)

Waiblingen - Die Bilder sprechen eigentlich für sich: Sie zeigen Spuren von Einschüssen an Gebäuden, die deutlich machen, dass hier mit mehr als nur Handfeuerwaffen geschossen wurde; Händler, die angesichts einer bevorstehenden Ausgangssperre schnell ihre Läden schließen; rennende Menschen, die nach Hause kommen wollen, bevor es auf der Straße gefährlich wird. „Wohlgemerkt, das ist nicht das wilde Kurdistan, sondern eine moderne Großstadt“, sagt der Schorndorfer Journalist Thomas Milz, der zusammen mit Aygül Aras am Freitagabend im Waiblinger Kulturhaus Schwanen Fotos zeigte, die sie im Dezember in Dyarbakir, Cizre und Derzim gemacht haben.

 

Stadtviertel moderner Großstädte werden abgeriegelt

„Wir waren an der Nahtstelle einer Eskalation, die noch immer weiter Fahrt aufnimmt“, sagt Milz, den das Erlebte nicht mehr loslässt. „Ich träume davon, es beschäftigt mich nach wie vor. Deshalb wollen wir auch hier davon berichten.“ Für den Waiblinger Verein Freunde helfen Freunden war Milz gemeinsam mit Aygül Aras in deren Heimat gereist. „Ich wollte unbedingt da hin, nachdem ich den Film über Aygüls Kindheit gesehen hatte“, berichtet er. In Diyarbakir, einer Stadt mit einer Million Einwohnern, erlebten sie, wie die historische Altstadt Sur von der Armee und der Polizei abgeriegelt wurde, wie Menschen darauf warteten, hinein oder hinaus gelassen zu werden.

Während der Ausgangssperren gebe es in Sur und mittlerweile auch in vier anderen Teilen der Stadt heftige Gefechte , die viele Todesopfer forderten. Offiziell heiße es, die Armee kämpfe gegen die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK. „Zu 98 Prozent sind es aber die Einwohner der Städte, da sind höchsten ein paar Leute der PKK als Unterstützer dabei“, sagt Ercan Ayboga von der Verwaltung Diyarbakirs, der extra zu der Veranstaltung im Schwanen angereist ist. Der Umwelt-Ingenieur, der 1976 in Rüsselsheim geboren ist und dort aufwuchs, ist in der Stadt am Tigris und der angeschlossenen Region sowohl für umweltpolitische Themen als auch für internationale Beziehungen zuständig.

In Deutschland steht das Thema am Rand

Ayboga kennt die gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse in der Kurdenregion und der Türkei genau. Und er kann die überaus verwickelten Konstellationen und Konflikte anschaulich darstellen. In einem Abriss erläutert er, wie es nach einer Annäherungsphase, die sich über mehrere Jahre erstreckte, im vergangenen Sommer wieder zu der Eskalation zwischen dem türkischen Staat und den kurdisch dominierten Gebieten kam. Diese zählen zu den Hochburgen der prokurdischen HDP, jener Partei, die im gesamten Gebiet der Türkei durch ein modernes gesellschaftlich attraktives Programm Erfolge erzielte und die Erdogans AKP die absolute Mehrheit streitig gemacht hatte. „Nachdem ich in Deutschland zurück war, habe ich vergeblich auf eine intensivere Berichterstattung in deutschen Medien gewartet“, sagt Milz, der ob der Gleichgültigkeit hierzulande betroffen ist. „Wenn in einem europäischen Staat dermaßen gegen die Bevölkerung vorgegangen würde, wäre die Betroffenheit groß“, ist er überzeugt.

Was also könne man tun, um mehr Aufmerksamkeit zu erzeugen? „Wenn mehr Delegationen dorthin reisen würden und darüber berichtet wird, würde das helfen“, ist sich Ercan Ayboga sicher. Einer Zuhörerin, die sofort privat hinreisen will, rät er jedoch wegen der gefährlichen Situation ab.