Über den Rechtsruck in der Gesellschaft und seine Ursachen spricht Tobias Kaphegyi, Gewerkschaftssekretär beim DGB, am Montag, 23. Juni, in Winnenden.

Rems-Murr: Eva Schäfer (esc)

Über den Rechtsruck in der Gesellschaft und seine Ursachen spricht Tobias Kaphegyi, Gewerkschaftssekretär beim DGB, am Montag, 23. Juni, 19 Uhr, in der Awo-Begegnungsstätte in Winnenden. (Rems-Murr-Kreis)

 

Herr Kaphegyi, was ist wichtig, um eine lebendige Demokratie zu erhalten?

Entscheidend sind aus meiner Sicht ein spürbarer, unterstützender Staat und eine funktionierende Infrastruktur. Außerdem gehört eine soziale Absicherung der ökologischen Transformation im Autoland Baden-Württemberg unbedingt dazu. Am Ende wird es darum gehen, ob das demokratische Gemeinwesen es wieder schafft, die großen Vermögen an den Zukunftsinvestitionen zu beteiligen, um die „kleinen Leute“ vor den kommenden Verwerfungen zu schützen.

Welche Rolle spielen die Angst um den Arbeitsplatz und die rasanten Veränderungen etwa durch KI bei einer Tendenz zum Rechtsruck?

Alles, was verunsichert, kann den Rechtsextremismus befördern. Der Soziologe Leo Löwenthal studierte die Methoden von Faschisten in den 1930er Jahren. Seine Studie „Falsche Propheten“ wurde wieder neu aufgelegt. Löwenthal bezeichnet die politische Demagogie als umgekehrte Psychoanalyse. Ängste werden dabei aufgegriffen und bewusst verstärkt. Am Ende bietet sich der Rechtsextremist den verunsicherten Menschen als bester Problemlöser an.

Welche Hürden gibt es bei Ihrer Recherche?

Der Beziehungsaufbau in AfD-Kreise ist nicht einfach. Es herrscht ein großes Misstrauen gegenüber universitärer Forschung.

Im Rems-Murr-Kreis gibt es Gemeinden, etwa Althütte, die einen hohen Anteil von AfD-Wählern haben. Wie kann man dieser Entwicklung aus Ihrer Sicht entgegentreten?

Aus meiner Sicht sollte man eine ablehnende Linie gegen die rechtsextreme Partei ziehen. Gleichzeitig sollte es aber offene Türen und einen kritischen Dialog mit denjenigen geben, die der AfD hinterher laufen. Deutlich sollte werden, dass die AfD die Zukunft der Menschen zerstört, wenn sie Gestaltungsmacht gewinnt. Die Probleme des Landes können nur demokratisch mit sozialer und ökonomisch vernünftiger Zukunftspolitik gelöst werden.

Was macht Menschen für rechtes Gedankengut anfällig – unter diesem Titel steht der Vortrag. Welche Punkte sind entscheidend aus Ihrer Sicht?

Ich beobachte eine verstärkte Tendenz zur sozialdarwinistischen Ideologie und zum Schüren von Ressentiments. „The winner takes it all“ - denken Sie an die Popularität eines Donald Trump. Er steht für Konkurrenz, Machertum und eine Verachtung für sogenannte „Opfer“. Soziale Medien fördern das ebenfalls. Das alltägliche Erleben des zunehmend zusammengekürzten Wohlfahrtsstaats deuten viele Menschen dementsprechend entpolitisiert nicht als gesellschaftlichen Verteilungskampf von oben, sondern als den kulturellen Niedergang Deutschlands.

Sie beschäftigen sich vor allem mit dem Rechtsruck bei Arbeitern. Was hat Sie bei Ihrer Recherche besonders überrascht?

Früher war der Antrieb von Arbeitern, politisch für Umverteilung, Demokratisierung und ein gutes Leben für die sogenannten kleinen Leute einzutreten. Diese Politisierung ist bei AfD-Anhängern verschwunden. Wenn ich beispielsweise den Unternehmer und Tech-Milliardär Elon Musk als geniales Vorbild („Maker“) bewundere, belästige ich ihn nicht mit Ansprüchen. Die Verbreitung von Verschwörungstheorien, die häufig einen Antisemitismus schüren, als Ersatz für richtige Interessenpolitik von und für Arbeiter hat mich überrascht.

Recherche

Tobias Kaphegyi
Der Gewerkschaftssekretär beim DGB in der Region Neckar-Alb-Obere-Donau promoviert zu den wirtschafts- und sozialpolitischen Einstellungen rechtsradikaler Arbeiter und Arbeiterinnen. Für seine Recherchen besuchte er Partei-Kreisverbände, Veranstaltungen und Demonstrationen und führte Interviews mit rechtsradikalen Arbeitern. Er war Mitglied des Promotionskolleg „Rechtspopulistische Sozialpolitik und exkludierende Solidarität“ an der Universität Tübingen und Stipendiat der Hans-Böckler-Stiftung.