Die Stuttgarter Staatsanwaltschaft hat Anklage gegen Anton Schlecker erhoben. Sie wirft dem Inhaber des einstigen Drogerieimperiums vor, Geld beiseite geschafft zu haben. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Chefredaktion: Anne Guhlich (agu)

Stuttgart - Warum erhebt die Staatsanwaltschaft Anklage gegen Anton Schlecker?

 

Anton Schlecker war bis zur Insolvenz der Drogeriemarktkette Schlecker Alleininhaber der Firma Anton Schlecker e.K. Er hat das Unternehmen 1975 gegründet und zu einem Drogerieimperium aufgebaut, bei dem 2012 noch 36 000 Menschen arbeiteten. Keine andere Drogeriemarktkette war größer als Schlecker. Doch 2000 geriet die Handelskette in eine strategische Krise. Die Umsätze brachen ein, die Gewinne schrumpften. Am 23. Januar 2012 stellte Schlecker schließlich den Insolvenzantrag. Aufgrund der Rechtsform des Unternehmens – eingetragener Kaufmann (e.K.) – haftet Anton Schlecker mit seinem Privatvermögen für die Verbindlichkeiten der Firma. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Patriarchen vor, dass er geahnt hat, dass sein Unternehmen in die Pleite schlittert. Darum habe er versucht, vorher Vermögen beiseite zu schaffen – etwa indem er es an Familienmitglieder übertragen hat. Die Unternehmerfamilie gehörte einmal zu Deutschlands Superreichen. Noch im März 2009 lag Anton Schlecker laut dem amerikanischen Magazin „Forbes“ mit einem Vermögen von über drei Milliarden Euro auf Platz zehn der reichsten Deutschen.

Was sagt der Anwalt von Anton Schlecker zu den Vorwürfen?

Die Verteidiger der Familie Schlecker wollten sich auf Anfrage unserer Zeitung nicht zu den Vorwürfen äußern.

Um wie viel Geld geht es?

Nach Recherchen unserer Zeitung werfen die Ermittler Anton Schlecker vor, dass er in 36 Fällen Geld beiseite geschafft haben soll. Insgesamt geht es dabei um einen Betrag von 20 Millionen Euro. Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Stuttgart bestätigte gegenüber unserer Zeitung, dass die Behörde Klage vorm Stuttgarter Landgericht erhoben hat. Details, die sich aus der Anklageschrift ergeben, wollte er jedoch nicht kommentieren.

Wie soll Anton Schlecker das Geld beiseite geschafft haben?

Die Ankläger werfen dem einstigen Unternehmer nach unseren Informationen vor, er habe sein Geld vor allem durch überteuerte Verträge mit Firmen seiner Kinder und durch Schenkungen an die Familienmitglieder übertragen. So soll er der Logistikfirma seiner Kinder namens LDG Logistikdienstleistungen, die diese Firma für die Drogeriemarktkette Schlecker erbracht hat, nach Stundensätzen bezahlt haben, obwohl die Abrechnung nach erbrachter Leistung für Schlecker günstiger gewesen wäre. Zudem seien die vereinbarten Stundensätze nicht auf marktüblichem Niveau gewesen und sogar mitten in der Krise noch erhöht worden. Marktüblich seien für die entsprechenden Dienstleistungen rund 18 Euro pro Stunde, sagen mit den Vorgängen vertraute Personen, gezahlt wurden bis zu 30 Euro. Durch einen solchen Vertrag hat Schlecker dem Unternehmen seiner Kinder 2011 offenbar insgesamt elf Millionen Euro übertragen.

Gab es solche Verträge nur zwischen LDG und der Drogeriekette Schlecker?

Nein. Beim summenmäßig zweitgrößten Einzelpunkt handelt es sich zwar ebenfalls um einen überteuerten Vertrag mit der Firma LDG von Lars und Meike Schlecker. Dieses Mal geht es aber um einen Vertrag zwischen Schlecker Home Shopping – der Tochter fürs Internetgeschäft – und der Logistikfirma LDG. Durch überhöhte Stundensätze seien auch hier zwischen 2010 und 2012 weitere 3,5 Millionen Euro übertragen worden, heißt es. Bei den restlichen, laut Anklage beiseite geschafften Beträgen, handelt es sich es um Zuwendungen zum täglichen Leben an Familienmitglieder – in der Regel liegen sie bei unter einer Million Euro. So habe Anton Schlecker seinem Sohn die Renovierung seiner Wohnung im Wert von rund einer Million Euro bezahlt. Außerdem soll er die Kosten für einen Luxusurlaub seiner Kinder auf die Insel Antigua im Wert von fast 60 000 Euro übernommen haben, berichten Insider. Im März 2011 soll er außerdem seinen vier Enkelkindern je 200 000 Euro geschenkt haben. Der Sprecher der Staatsanwaltschaft bestätige diese Informationen nicht.

Warum kann ein eingetragener Kaufmann oder eine sonstige juristische Person mit ihrem Geld nicht machen, was sie will?

Ein eingetragener Kaufmann haftet mit seinem Privatvermögen für die Verbindlichkeiten seines Unternehmens. Schafft er bei drohender Insolvenz Geld aus dem Firmen- oder seinem Privatvermögen beiseite, entzieht er es dem Zugriff der Gläubiger. Das ist nicht erlaubt. Juristen Sprechen hier von vorsätzlichem Bankrott. Fürs Beiseiteschaffen oder Verheimlichen von Vermögenswerten, die zur Insolvenzmasse gehören, sieht das Strafgesetzbuch eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder eine Geldstrafe vor.

Ist das alles?

Nein. Die Staatsanwaltschaft wirft Anton Schlecker nach Informationen unserer Zeitung außerdem vor, dass er in der Bilanz der Geschäftsjahre 2009 und 2010 die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit seines Unternehmens nicht richtig angegeben hat. So soll er in diesen Jahren stille Beteiligungen seiner Kinder und Darlehen von Firmen der Kinder zum Eigenkapital hinzu gerechnet haben. Dadurch fiel die tatsächliche Misere, in der das Unternehmen steckte, offenbar erst später auf. Hätte er richtig bilanziert, wäre das Eigenkapital angeblich bereits im Geschäftsjahr 2010 negativ gewesen, berichten Insider. Negatives Eigenkapital bedeutet jedoch nichts anderes als bilanzielle Überschuldung. Darum richtet sich die Anklage auch gegen die beiden Wirtschaftsprüfer, die in den betreffenden Geschäftsjahren den Jahresabschluss testiert haben.

Gegen wen richtet sich die Klage noch?

Zu den Angeschuldigten zählen auch Lars und Meike Schlecker sowie deren Mutter Christa Schlecker. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen vor, sie hätten Anton Schlecker dabei geholfen, das Geld beiseite zu schaffen. Außerdem sollen die Kinder von der Firma LDG Gewinne an sich selbst abgeführt haben, obwohl das Unternehmen nach Ansicht der Ankläger zu dem Zeitpunkt offenbar verschuldet war. Den Kindern wird außerdem zur Last gelegt, sie hätten vom Geschäftskonto der LDG über 50 000 für Beratungsleistungen an ihre Mutter überwiesen, obwohl diese Beratungen angeblich gar nicht stattgefunden haben.