Großbritannien verhängt nach dem Angriff auf Ex-Doppelagent Skripal Sanktionen gegen Russland. Kurz vor der Wahl in Russland kommen die Vorwürfe Londons dem Kreml nicht ungelegen.

Korrespondenten: Inna Hartwich

Moskau/London - „Der Beruf des Verräters ist einer der gefährlichsten, die es gibt.“ Der Moderator der Abendnachrichten des Staatssenders Erster Kanal sagt diesen Satz, kaum sind der einstige Doppelagent Sergej Skripal und seine Tochter Julia nach einem Giftanschlag im englischen Salisbury ins Krankenhaus eingeliefert worden. Schnell spricht man von einer Spur nach Russland. Verräter hätten kein besseres Schicksal verdient, senden russische Medien noch Tage später. Mittlerweile haben Großbritannien und Russland eine ernsthafte Krise. London hat an diesem Mittwoch angekündigt, 23 russische Diplomaten auszuweisen. Die russische Antwort dürfte nicht lange auf sich warten lassen.

 

Der Ton ist auf beiden Seiten scharf. „Wir werden alle bilateralen Kontakte einfrieren, dafür sorgen, dass weder die Mitglieder der Königsfamilie noch andere Offizielle bei der Fußball-WM in Russland dabei sind“, sagte die britische Premierministerin Theresa May vor dem Parlament. Eine Isolation des Landes hat bislang allerdings auch in anderen Konfliktfällen mit der russischen Führung kaum dazu beigetragen, dass diese sich bewegt.

Russland will eigene Analyse der Substanz vornehmen

„Russland ist nicht schuldig“, betont Russlands Außenminister Sergej Lawrow immer wieder und fordert den kompletten Zugang zu den Ermittlungen und den verdächtigen Proben des Nervengifts, das zur Klasse von Chemiewaffen gehört, mit denen das sowjetische Militär noch in den siebziger Jahren experimentiert haben soll. Russland wolle eine eigene Analyse der verdächtigen Substanz vornehmen.

Lawrow verglich – als Antwort auf die angekündigte Ausweisung – die britische Regierung mit einem Staatsanwalt unter Stalin. Dem für die Säuberungskampagne der 1930er Jahre zuständigen Andrej Wyschinski wird der Satz zugerechnet: „Das Geständnis ist die Königin des Beweises.“ So gehe es nicht, sagte Lawrow in seinem sonoren, ruhigen Stil. Moskau sei immer noch nicht offiziell über die vermutete verbotene Substanz unterrichtet worden. Dabei müsse sich London an den Rahmen der Konvention über das Verbot von Chemiewaffen halten. Demnach muss der Staat, aus dem das Gift vermutet wird, unverzüglich informiert werden und darauf innerhalb von zehn Tagen antworten.

Verdächtigungen kommen dem Kreml gelegen

Das Ultimatum Mays hatte der Kreml genüsslich verstreichen lassen. „Wem geben sie denn diese 24 Stunden? Angst einjagen muss uns niemand“, hatte die Sprecherin des russischen Außenministeriums gesagt und später darauf hingewiesen, welch effektive Atomwaffensysteme Russlands Präsident bei seiner Rede an die Nation präsentiert habe. Auch Putins Sprecher wies die „Sprache der Ultimaten“ zurück. Man müsse der Sache auf den Grund gehen, erst dann werde man weiter diskutieren, hieß es aus dem Kreml. Skripal ist derweil auch ein Fall für die Vereinten Nationen.

Die Verdächtigungen Großbritanniens kommen dem Kreml nicht ungelegen. An diesem Sonntag wählt Russland seinen Präsidenten, auch in den kommenden sechs Jahren wird Wladimir Putin das Land regieren. In all den Jahren an der Spitze vermittelte er den Russen das Bild, ihre Heimat sei von Feinden im Inneren wie auch von solchen aus dem Ausland umzingelt. Und nur einer könne der Welt, die sich gegen Russland verschworen habe, die Stirn bieten: er, Putin. So kommt nun auch die Krise mit London Moskau durchaus zupass. „Da, seht her, wieder hat die Welt sich etwas gegen uns ausgedacht“, schreiben etliche Medien – und viele Russen springen darauf an.

Kreml verkauft sich als unschuldig

Das Regime trägt mit Stolz das Image des bösen Buben vor sich her und lässt in dieser vermeintlichen Bedrohungslage die Menschen zusammenhalten. So bringen Sanktionen nur bedingt etwas. Manch ein Betroffener wird murren. Die Mehrheit der Bevölkerung findet sich mit der Lage allerdings ab und zettelt keine Proteste gegen die Regierung an. Zumal sich der Kreml bestens als unschuldig zu verkaufen versteht und in unendlich wiederholten Floskeln stets „die anderen“ für die Misere im Land verantwortlich macht.