Die Regierungszentrale ließ Informationen zu Stuttgart-21-Ermittlungsverfahren abfragen. CDU und FDP werfen dem baden-württembergischen Staatsministerium nun illegale Einflussnahme auf die Justiz vor.

Stuttgart - Ist die grün-rote Landesregierung auch nicht besser als die alte schwarz-gelbe? Hat auch Ministerpräsident Winfried Kretschmann auf unstatthafte Weise politischen Druck ausgeübt – nicht auf die Polizei, so wie dies seinem Vorgänger Stefan Mappus (CDU) vorgehalten wird, dafür aber auf die Staatsanwaltschaft? Diese Fragen hat die Opposition im Landtag jetzt mit großer rhetorischer Geste aufgeworfen und bejaht. Grün-Rot bestreitet dies vehement – und spricht stattdessen von einem Ablenkungsmanöver.

 

Den Anlass für die Skandalisierungsbemühungen von CDU und FDP gibt ein Aktenfund aus den Unterlagen für den neu aufgelegten Untersuchungsausschuss des Landtags zum „schwarzen Donnerstag“ im Herbst 2010. In einer Mail vom 10. Oktober 2011 begehrte eine Referatsleiterin aus der Regierungszentrale vom Justizministerium eine Übersicht über die Ermittlungs- und Strafverfahren zum Komplex Stuttgart 21 seit dem Polizeieinsatz vom 30. September 2010. Dargestellt werden sollte, so berichtete das Justizministerium später aus Anlass einer parlamentarischen Anfrage des CDU-Abgeordneten Reinhard Löffler, „gegen wen sich die Verfahren richten (Deutsche Bahn, Land, Stadt, S-21-Gegner, S-21-Befürworter, Polizeibeamte etc.), wie deren aktueller Stand ist, ob es Verfahren zum Thema Mischfinanzierung gibt und wer die Anzeigeerstatter sind (z. B. Juristen zu S 21)“.

Timm Kern: Regierung wollte an persönliche Daten kommen

Für den FDP-Abgeordneten Timm Kern steht damit außer Frage, dass das von den Grünen geführte Staatsministerium an die persönlichen Daten von Befürwortern von Stuttgart 21 sowie von Polizisten herankommen wollte. Dafür habe es keinerlei dienstliche Gründe gegeben. Und als dieses Unterfangen ruchbar wurde, sei verzweifelt versucht worden, den Regierungschef aus der Sache herauszuhalten – obwohl doch in der Mail aus der Regierungszentrale darauf hingewiesen wurde, man handle „auf Wunsch“ des Ministerpräsidenten sowie der Staatsministerin Silke Krebs. Im Landtag forderte Kern Auskunft darüber, was das Staatsministerium mit den eingeforderten Informationen anzufangen beabsichtigte.

Während Kern seine Vorwürfe noch in Fragen kleidete, fackelte der CDU-Parlamentarier Löffler nicht lang und warf den Grünen vor, politischen Einfluss zu nehmen auf die Strafverfahren zum Polizeieinsatz im Schlossgarten. „Herr Ministerpräsident, das ist Unrecht“, sagte Löffler. Seine Vermutung: die Regierung habe Gegner und Befürworter von Stuttgart 21 namentlich erfassen wollen, „um die einen zu schützen und die anderen zu diskreditieren“. Mit einem solchen Vorgehen werde nicht nur die Unabhängigkeit der Justiz infrage gestellt; der Regierungschef spiele mit dem Vertrauen der Menschen. Löffler sieht am Horizont einen „grünen Überwachungsstaat“ heraufziehen: „Herr Ministerpräsident, die heimlichen Aktivitäten des Staatsministeriums machen Angst.“

Staatsministerin weist Vorwürfe zurück

Staatsministerin Krebs warf der Opposition vor, der Regierung „einen Skandal ans Bein binden“ zu wollen, den es nicht gebe. Was schon daran ersichtlich sei, dass auch der Ständige Ausschuss des Landtags ein halbes Jahr zuvor auf Wunsch aller Fraktionen ein vergleichbares Auskunftsbegehren an das Justizministerium gerichtet habe. Das Staatsministerium habe zudem keine personenbezogene Daten abgefragt – und schon gar nicht erhalten. Vielmehr sei es darum gegangen, die verschiedenen Verfahren der Justiz zu kategorisieren – deshalb die Frage nach Befürwortern und Gegnern von Stuttgart 21 oder nach Polizisten. Krebs beteuerte mehrfach, weder sie noch Regierungschef Kretschmann hätten die Anfrage an das Justizministerium veranlasst, die Formulierung „auf Wunsch des Herrn Ministerpräsidenten“ sei standardmäßig verwandt worden, um – so die von Krebs so direkt nicht ausgesprochene, aber in ähnlichen Fällen häufig zu vernehmende Begründung – die Antwort zu beschleunigen.

Den Darlegungen von Krebs sowie des Grünen-Fraktionsgeschäftsführers Hans-Ulrich Sckerl ließ sich entnehmen, dass das Staatsministerium in jenen Tagen mit einer Vielzahl von Bürgerbriefen geflutet wurde, in denen Beschwerde über einseitige Ermittlungen der Justiz gegen Kritiker von Stuttgart 21 geführt wurde. Dem sollte entgegengehalten werden, dass die Justiz keineswegs auf einem Auge blind sei. Sckerl sagte, die Antwort des Justizministeriums sei hilfreich gewesen, „um in der Debatte deutlich zu machen, es wird nach allen Seiten ermittelt“ – nicht nur gegen die Gegner von Stuttgart 21.

Der CDU-Abgeordnete Löffler stellte auch einen Zusammenhang her zwischen der Verfahrenseinstellung gegen einen Stuttgart-21-Gegner, der mit einer Spam-Aktion das elektronische Postfach des Projektbefürworters und SPD-Abgeordneten Martin Rivoir lahmgelegt hatte, und einem Abgeordnetenbrief der Landtagsvizepräsidentin Brigitte Lösch an Justizminister Rainer Stickelberger (SPD). In dem Brief hatte Lösch die Verhältnismäßigkeit des staatsanwaltschaftlichen Vorgehens in Zweifel gezogen. Der SPD-Mann Sascha Binder entgegnete, Stickelberger habe „nie Einfluss auf Ermittlungsverfahren genommen“. Hans-Ulrich Sckerl von den Grünen sagte, man könne sich natürlich „mit der Kollegin Lösch kritisch auseinandersetzen“, aber eine Debatte über das Handeln von Staatsanwaltschaften müsse es schon geben dürfen – und gebe es auch, wie etwa die Debatte über die Rolle der Staatsanwaltschaft im Fall des früheren Bundespräsidenten Christian Wulff zeige. Sckerl warf der Opposition vor, ihr gehe es lediglich darum, mit Ablenkungsmanövern den Untersuchungsausschuss zum „schwarzen Donnerstag“ zu behindern.