Der ehemalige Bundespräsident geht in die Offensive. Seine Anwälte greifen die Staatsanwaltschaft an und die Medien. Wulff wird als Opfer dargestellt. Tatsächlich ist von den Anklagepunkten nicht mehr viel übrig geblieben.

Berlin - Christian Wulffs Rechtsanwälte, Bernd Müssig und Michael Nagel, lassen bei ihrem kurzen Auftritt im Saal 4 des Courtyard Hotels in Hannover keinen Zweifel. Für ihren Mandanten ist der von der Staatsanwaltschaft Hannover erhobene Vorwurf der Bestechlichkeit ein Angriff auf seine Ehre. Er werde sich deshalb auf keinerlei Geschäfte zur Verkürzung des Verfahrens einlassen. „Wir kämpfen hier für die Würde und die Rechte des Bundespräsidenten a. D. Christian Wulff“, sagen die Anwälte. Deshalb akzeptiere Wulff „die Verfahrensbeendigung zu den von der Staatsanwaltschaft genannten Bedingungen nicht“. Die erhobenen Vorwürfe seien „unbegründet“, so die Anwälte.

 

Die mit Wulff abgestimmte Erklärung verfolgt vor allem ein Ziel – man will zum Angriff übergehen, raus aus der Defensive, sich nicht mehr ducken, sondern das ehemalige Staatsoberhaupt als Opfer präsentieren, das aus Sicht seiner Anwälte niemals Täter war: Opfer einer Medienhatz, Opfer einer eifernden Anklagebehörde, die jedes Maß verloren habe.

Die Anwälte verteidigen nicht, sie klagen an

Die Anwälte haben erkannt, dass sich die öffentliche, jedenfalls die veröffentlichte Meinung mehr und mehr gegen die nicht enden wollende Suche der Staatsanwaltschaft Hannover nach belastendem Material richtet. Sie verteidigen deshalb nicht, sie klagen an. Die Rechtslage sei nach einem „langen und mit beispielloser Intensität geführten Ermittlungsverfahren eindeutig“, sagen sie. Man habe feststellen müssen, „dass die Schutzmechanismen für einen Betroffenen in einem Ermittlungsverfahren für Christian Wulff nicht griffen“. Das Verfahren sei von „öffentlichen Vorverurteilungen geprägt“, Wulff „medial gleichsam schutzlos gestellt“ worden. Christian Wulff werde deshalb kämpfen – und am Ende des Verfahrens ganz gewiss „vollständig entlastet und rehabilitiert“. Man vertraue da voll und ganz „auf die Unabhängigkeit, die Souveränität und das Augenmaß des Gerichts“.

Es bedarf keiner großen Mühe, die Aussagen zu deuten. Wulffs Rechtsbeistände wähnen ganz offensichtlich die Staatsanwaltschaft in der Klemme. Viel ist nicht mehr übrig geblieben an Material, das aus Sicht der Anklagebehörde strafrechtlich ausgewertet werden kann. 14 Monate lang haben die Ermittler des Landeskriminalamtes Niedersachsen gemeinsam mit der Staatsanwaltschaft 21 Spuren verfolgt, rund 100 Zeugen befragt, 45 Bankkonten geprüft. Stets auf der Suche nach Hinweisen, dass Wulff in seiner Amtszeit als niedersächsischer Ministerpräsident korrupt gewesen sein könnte. Sie fanden viele Ungereimtheiten, aber wenig handfeste Beweise.

Am Ende geht es um gerade mal 754 Euro

Am Ende ist ein Fall übrig geblieben, der für eine Aklageerhebung reichen soll: ein Oktoberfest-Besuch des Ehepaars Wulff im Jahr 2008. Der Filmunternehmer David Groenewold hat die beiden an diesem Wochenende begleitet und sich dabei als großzügig erwiesen. Die Wulffs logierten im Bayerischen Hof, entgegen der ursprünglichen Planung wurde eine Suite gebucht. Groenewold übernahm die Mehrkosten von angeblich 754 Euro, wie er sagt, ohne Wissen des damaligen Ministerpräsidenten.

Die Staatsanwaltschaft allerdings erkennt einen Zusammenhang zwischen der Gefälligkeit und einem Bittbrief Wulffs an den Siemens-Chef Peter Löscher kurze Zeit später. Darin ermuntert Wulff Löscher, sein Konzern möge doch bitte intensiver als bisher das Andenken an den ehemaligen Siemens-Manager John Rabe hochhalten. John Raabe hatte 1937 im chinesischen Nangking Tausende Chinesen vor japanischer Willkür gerettet. Japan stand damals in unheilvoller Allianz mit dem Dritten Reich. Weil in Groenewolds Unternehmen ein Film fertig gestellt worden war, der vom Leben Rabes handelt, ist die Staatsanwaltschaft dem Vernehmen nach davon überzeugt, dass es sich bei der Abfolge – erst Kostenübernahme bei der Übernachtung, dann Bittbrief Wulffs – nicht um einen Zufall handelt.

Ein langwieriges Verfahren könnte die Folge sein

Berichten zufolge argumentieren Wulffs Anwälte, das Filmprojekt sei zu diesem Zeitpunkt längst abgeschlossen und finanziert gewesen. Außerdem könne man nachweisen, dass sich Wulff schon 2005 für eine Würdigung Rabes eingesetzt habe, als der Film noch gar nicht in Planung gewesen sei.

Die Staatsanwaltschaft dürfte deshalb Mühe haben, einen direkten Zusammenhang zu beweisen. Ein langwieriges Gerichtsverfahren könnte die Folge sein. Sie hält zwar bislang einen „hinreichenden Tatverdacht“ auf Bestechlichkeit für begründet, um eine aufwendige Beweisaufnahme um einen Streitwert von gerade mal 754 Euro zu vermeiden, hat sie gleichwohl Wulff angeboten, das Verfahren gegen eine Geldauflage von 20 000 Euro einzustellen. Auch Groenewold erhielt ein Angebot, er solle 30 000 Euro zahlen, um einer Anklage wegen Bestechung zu entgehen. Beide lehnten ab. Wulff wohl vor allem deshalb, weil in dem Schreiben der Staatsanwaltschaft von einer „Übernahme strafrechtlicher Verantwortung“ die Rede ist. Das liest sich wie die Forderung nach einem Schuldeingeständnis, auch wenn rein rechtlich Wulff bei einer Einstellung des Verfahrens nach Paragraf 153a als unschuldig gelten würde.

Das Ringen geht weiter

Von der Staatsanwaltschaft hieß es nach der Erklärung der Wulff-Anwälte gestern in einer knappen Mitteilung: „Der Abschluss der Ermittlungen steht unmittelbar bevor.“ Ob und wann nun Anklage gegen Wulff erhoben werde, wollte ein Sprecher der Behörde zunächst nicht sagen. Das Ringen geht weiter.