Votum über Schwarz-Rot Die SPD-Mitglieder haben keine Wahl

Zu einer Koalition zwischen Union und SPD gibt es keine Alternative. Hier SPD-Chef Lars Klingbeil und der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz im Bundestag. Foto: AFP/RALF HIRSCHBERGER

Wird Friedrich Merz wirklich Kanzler? Die SPD-Mitglieder könnten es mit einem Nein zum Koalitionsvertrag tatsächlich verhindern. Wenn sie an die Folgen denken, haben sie aber praktisch keine Wahl, kommentiert unser Hauptstadtkorrespondent Tobias Peter.

Korrespondenten: Tobias Peter (pet)

Im Kinderbuch „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“ gibt es die Figur des Scheinriesen Tur Tur. Je weiter er weg ist, desto größer erscheint er. So ist es gelegentlich auch mit der Macht. Erst wenn man ihr nahekommt, erlebt man, wie sie durch die Umstände auch wieder klein werden kann.

 

358 000 SPD-Mitglieder sind jetzt, wenn man so will, so mächtig wie vielleicht nie wieder in ihrem Leben. Sie könnten die Koalition mit der Union ablehnen und damit Friedrich Merz den Weg ins Kanzleramt verbauen. Einerseits. Andererseits dürften den meisten SPD-Mitgliedern klar sein, dass ihr Nein das Land in eine existenzielle politische Krise stürzen würde.

Verachtung für Merz

Denn was würde passieren? Große Teile der Bevölkerung würden das Vertrauen in die Funktionsfähigkeit der politischen Mitte verlieren, die teils rechtsextreme AfD würde jubilieren. Eine mögliche Neuwahl könnte zu Horrorergebnissen führen, die Land und Demokratie in der Bundesrepublik für immer verändern würden. Und all das in einer Zeit, in der Deutschland sich gegen die russische Bedrohung rüsten muss, US-Präsident Donald Trump die bisherige Weltordnung schreddert und deutsche Führung in Europa so wichtig wäre wie vielleicht noch nie.

Es ist Teil der sozialdemokratischen DNA sich für die Interessen bestimmter Menschen einzusetzen, etwa jene mit kleineren Einkommen – aber immer auch an das ganze Land zu denken. Viele SPD-Mitglieder verachten Merz dafür, dass er im Bundestag vor der Wahl bei Anträgen zur Migrationspolitik eine gemeinsame Mehrheit mit der AfD in Kauf genommen hat. Aber wie irrational wäre es, die Rechtspopulisten noch stärker zu machen und die Union potenziell gar in die Arme der AfD zu treiben?

Die Sozialdemokraten werden dem Koalitionsvertrag also voraussichtlich mehrheitlich zustimmen. Inhaltlich ist das, was linke Parteifunktionäre besonders stören mag, für einen größeren Teil der Mitgliedschaft unproblematisch. Den Wunsch nach einer stärkeren Begrenzung der irregulären Migration haben auch viele Genossen an der Basis. Auch beim Bürgergeld erwarten diejenigen, die jeden Tag zur Arbeit gehen, von der Politik, dass sie faire Regeln durchsetzt. Sie finden: Wer arbeiten kann, soll sich auch um Arbeit bemühen. Und sie haben Recht.

Lars Klingbeil hat stark verhandelt

Unterm Strich haben die Verhandler um SPD-Chef Lars Klingbeil der Basis viele Gründe geliefert, dem Koalitionsvertrag zuzustimmen. Nach der Reform der Schuldenbremse können die Sozialdemokraten so in die Infrastruktur investieren, wie sie es in den vergangenen Jahren gern getan hätten – und es wegen der FDP nicht konnten. Klingbeil hat es geschafft, bei einem desaströsen Wahlergebnis von 16,4 Prozent sieben Ministerien für die SPD zu sichern, darunter das Finanzministerium und das Verteidigungsministerium. Viel spricht dafür, dass Klingbeil selbst Finanzminister wird. Ein Finanzminister hat keine Richtlinienkompetenz, aber ohne seine Zustimmung geht in der Praxis nichts.

Umso wichtiger ist es, dass Merz und Klingbeil gut zusammenarbeiten. Die Art, wie Union und SPD den Finanzierungsvorbehalt im Koalitionsvertrag schon jetzt vor allem für die Lieblingsprojekte des jeweils anderen geltend machen, lässt allerdings nichts Gutes ahnen. Es darf keine neue Koalition des Dauerstreits geben. Sonst werden Wut und Enttäuschung der Bürger riesig sein.

Merz räumt ein, die Befürchtung sei nicht unberechtigt, dass die Menschen am Ende der Regierungszeit weniger Netto in der Tasche hätten. Das darf nicht passieren. Schwarz-Rot muss liefern. Sonst wird es nur eine Unterbrechung auf dem Weg zu einer großen Krise der Demokratie sein.

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