Seit Jahren warten Astrophysiker darauf, dass die Raumsonde Voyager 1 das Sonnensystem verlässt. Doch die Sonde funkt seltsame Signale zur Erde. Offenbar ist sie noch nicht im interstellaren Raum, doch die Übergangszone ist anders als gedacht.

Stuttgart - Die Menschheit lebt in einer gigantischen Blase, die von der Sonne aufrecht erhalten wird: die Heliosphäre. Dadurch, dass die Sonne immer wieder in gewaltigen Eruptionen Teilchen ins All schleudert, drängt sie das dünne Medium zurück, das sonst den Raum zwischen den Sternen ausfüllt. Dort, wo die Sonnenpartikel auf die galaktischen Teilchen stoßen, liegt die Grenze des Sonnensystems. Die Blase darf man sich nicht als Kugel vorstellen, denn die Sonne und ihre acht Planeten kreisen mit fast 900 000 Kilometern in der Stunde um das Zentrum der Galaxie. In Flugrichtung erzeugt der Strom der Sonnenpartikel eine Bugwelle, wenn er auf die Teilchen stößt, die nicht aus dem Sonnensystem stammen. Astrophysiker nennen diese Region Heliopause.

 

Diese Grenze hat die Raumsonde Voyager 1 nach 35 Jahren Flugzeit durchquert – oder etwa doch nicht? Seit neun Jahren registrieren die Instrumente galaktische Teilchen, die Sonde hat also den Anfang der Heliopause erreicht. Im März hatte die Amerikanische Union der Geophysiker gemeldet, dass die Raumsonde als erster Bote der Menschheit das Sonnensystem verlassen habe. Sie fliegt mit einer Geschwindigkeit von rund 60 000 Kilometern pro Stunde und hat inzwischen mehr als 18 Milliarden Kilometer zurückgelegt. Voyager 1 ist 123-mal weiter von der Sonne entfernt als die Erde. Doch kurz darauf dementierte die US-Raumfahrtbehörde Nasa: Das für die wissenschaftlichen Untersuchungen zuständige Voyager-Team sei anderer Meinung. Es herrsche Konsens, dass Voyager 1 noch innerhalb des Sonnensystems sei.

Die Teilchenströme wirbeln ziemlich durcheinander

Im Wissenschaftsmagazin „Science“ versuchen die Forscher nun, den Streit aufzulösen: Voyager 1 sei zwar in eine bisher unbekannte Region des Universums vorgestoßen, befinde sich aber noch nicht wirklich außerhalb des Sonnensystems, sondern sozusagen in einer Übergangszone. Und in diese Zone, das zeigen die Analysen der Messgeräte, soll die Raumsonde im Herbst 2012 gleich fünfmal vorgestoßen sein. Dass es immer wieder in die Zone hinein und aus ihr heraus geht, deutet darauf hin, dass in der Übergangszone solare und galaktische Teilchenströme ziemlich durcheinander wirbeln.

Das Messgerät für kosmische Teilchen, CRS genannt, ist eines von fünf Instrumenten an Bord von Voyager 1, das noch funktioniert. Andere Geräte sind ausgefallen oder mussten abgeschaltet werden, weil der Strom nicht mehr reicht, um die Sensoren und ihre Heizung zu betreiben. Das CRS registrierte im vergangenen Jahr mehrmals, dass das Magnetfeld plötzlich stärker wird und zugleich die Zahl der Teilchen abnimmt, die von der Sonne stammen. Das irritiert die Wissenschaftler: Wie kann Voyager 1 noch im Sonnensystem sein, wenn doch plötzlich die solaren Teilchen fehlen? Ihre Theorien überschreiben sie im Wissenschaftsmagazin „Science“ mit dem offenen Titel: „Auf der Suche nach einem Ausgang“.