Die Anwälte von Aktionären aus Deutschland gehen davon aus, dass Volkswagen Schadenersatz zahlen muss.

Chefredaktion: Anne Guhlich (agu)

Stuttgart - Die Anklage gegen den einstigen VW-Chef Martin Winterkorn gibt Anwälten von VW-Aktionären Aufwind. „Ob Winterkorn in den USA verurteilt wird, interessiert uns zwar zunächst nicht, denn wir sind nicht an der strafrechtlichen Dimension des Falls interessiert“, sagt der Rechtsanwalt Andreas Tilp aus Kirchentellinsfurt. „Was für uns aber positiv ist, ist die Tatsache, dass es das Verfahren in den USA nun überhaupt gibt“, so Tilp. „Denn in diesem Verfahren versuchen die Strafverfolgungsbehörden das zu beweisen, was in der Anklageschrift steht“, so der Experte.

 

Nach der Lesart Tilps gilt Winterkorn dort nun seit Mai 2006 als Mitverschwörer im Skandal um manipulierte Abgaswerte. „Die Periode, ab der wir Schadenersatzansprüche für Aktionäre geltend machen, beginnt am 6. Juni 2008.“ An dem Tag wurde die Modellreihe zertifiziert, in der erstmals die Schummelsoftware eingebaut war. Für Tilp ist daher entscheidend, dass spätestens am 6. Juni 2008 ein Organ wie Martin Winterkorn oder aber eines sogenannten verfassungsmäßigen Vertreters Kenntnis von dem Betrug hatte.

Die Anklage ist noch kein Beweis

„Die Anklage selbst beweist noch nichts, aber das Gericht wird die Anklage nicht zugelassen haben, wenn es keine stichhaltigen Gründe dafür gibt.“ Andreas Tilp vertritt in Braunschweig in einem Musterverfahren den sogenannten Musterkläger und darüber hinaus über 600 institutionelle Anleger, die gemeinsam über 5,3 Milliarden Euro von VW fordern.

Auch der Frankfurter Rechtsanwalt Klaus Nieding kämpft an der Seite von Anlegern gegen den Volkswagenkonzern. Seine Kanzlei vertritt nach eigenen Angaben eine hohe vierstellige Zahl VW-Aktionäre. Bislang hat Nieding knapp eine Milliarde Euro Schadenersatz eingeklagt. Bis zum Jahresende will er weitere Klagen einreichen, die es noch mal auf ein Volumen von 1,5 Milliarden Euro bringen. Der Großteil sind institutionelle Anleger, und der Rest sind Privataktionäre. Nach Ansicht von Nieding ist die Anklage in den USA ein weiterer Stein im Mosaik. „Am Ende wird man ein Gesamtbild sehen, das zu einer Schadenersatzverpflichtung von Volkswagen führt“, sagt Nieding. Die Anleger haben durch den VW-Abgasskandal viel Geld verloren. Die Vorzugsaktien des Autobauers verloren nach Bekanntwerten des Abgasbetrugs zeitweise fast die Hälfte ihres Werts. Die Anleger werfen Volkswagen vor, dass der Autobauer die Märkte zu spät über das Dieseldrama informiert habe. Laut Gesetz müssen Nachrichten, die den Firmenwert beeinflussen können, umgehend veröffentlicht werden. Volkswagen soll genau das versäumt zu haben.

Die Aktionäre haben viel Geld verloren

In der VW-Klageerwiderung heißt es aber, die Ad-hoc-Pflicht setze „ein erhebliches Kursbeeinflussungspotenzial der betreffenden Information voraus“. Diese Kursrelevanz habe gefehlt, sagen mit der Sache vertraute Personen. Und: Laut Klageerwiderung wurde beim viel zitierten „Schadenstisch“ am 27. Juli 2015 mit Winterkorn nicht mitgeteilt, dass es um eine nach US-Recht unzulässige Abschalteinrichtung (defeat device) gehen könne. Der „Schadenstisch“ stand immer wieder im Zentrum des Verdachts.

Insgesamt belaufen sich die Forderungen der 1650 am Oberlandesgericht Braunschweig eingereichten Aktionärsklagen auf mehr als neun Milliarden Euro. Die erste Anhörung beginnt am 3. September.